Die FES wird 100! Mehr erfahren

Wir befinden uns in einem Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte

Die SPD-Bundestagsfraktion diskutierte auf ihrer Fraktionskonferenz über Migrationspartnerschaften. Wir sprachen dazu mit Sebastian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.


 

Herr Hartmann, im Koalitionsvertrag 2021 ist von einem Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik die Rede.  Ein wichtiger Teil davon sind umfassende Migrationsabkommen mit anderen Ländern, welche  Komponenten wie den Ausbau von wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Visa-Erleichterungen und die Zusammenarbeit bei der Rückkehr abgelehnter Asylbewerber_innen enthalten können. Gerade in den dafür zuständigen Ministerien (BMZ, AA, BMI, BMAS) sind aber erhebliche Kürzungen zu erwarten. Was bedeutet das für den Abschluss zukünftiger Abkommen?

 

Sebastian Hartmann: Hier ergeben sich für mich zwei Aspekte: Wenn Menschen hier leben, lange in Duldungen sind und weitere Voraussetzungen erfüllen – unsere Sprache sprechen, sich rechtstreu verhalten, eine Arbeitsstelle haben –, dann muss man damit pragmatisch umgehen. Warum sollte man mit einem Riesenaufwand diesen Aufenthalt beenden und jemanden außer Landes schaffen, der dann am Ende doch die Voraussetzungen erfüllt, auch wieder einreisen und hier arbeiten zu dürfen? Hierzu das Stichwort: Chancen-Aufenthaltsrecht mit Stichtagsregelung.

Manche Wörter wie Migrationsabkommen mögen Begriffen aus der Vergangenheit gleichen. Aber der Ansatz ist ein anderer. Es geht um Politik auf Augenhöhe, um eine Verhandlung zwischen Partnern. Dabei spielt auch die Rücknahmebereitschaft eine Rolle. Unterm Strich stehen aber andere Punkte im Mittelpunkt, wie zum Beispiel die Bekämpfung des Fachkräftemangels, als ganz wesentliches Interesse Deutschlands. Diese Fach- und Arbeitskräftemigration muss so gestaltet sein, dass die individuellen Interessen des Partnerstaats berücksichtigt werden. Auch die Gesellschaft dieses Landes muss einen Vorteil daraus ziehen können.

Das bringt mich zum zweiten Punkt: Deutschland ist ein angesehener Partner im Ausland und unsere Entwicklungszusammenarbeit ein Merkmal und eine Werbung für unser Gesellschafts- und Souveränitätsverständnis. Europa und Deutschland sind positiv wahrgenommene Orte der Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. In dem Moment, in dem wir uns nicht mehr für eine ausgewogene Migrationspolitik einsetzen, eröffnen wir einen Raum für andere Mächte, die eben nicht auf die Verbreitung von ethischen Prinzipien und völkerrechtlichen Standards abzielen, sondern die nur auf wirtschaftliche Vorteile aus sind oder knallharte Machtpolitik betreiben. Hier sagen wir als Regierung unter Olaf Scholz ganz klar, dass die innere, äußere und auch die soziale Sicherheit nicht gekürzt werden darf. In meinem Verständnis von äußerer Sicherheit ist auch Entwicklungszusammenarbeit und die Möglichkeit, voneinander zu lernen, ein wesentlicher Punkt.

 

Bleiben wir beim Stichwort Gewinnung von Fachkräften: Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurden die Barrieren beim Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt deutlich gesenkt. Allerdings gibt es für Interessenten weiterhin enorme Hürden z.B. in Form von Visa-Wartezeiten. Sind da nicht Enttäuschungen auf Seiten der Partner vorprogrammiert?

Wir befinden uns in einem Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte. Es geht um Menschen, die sich schon innerlich damit auseinandergesetzt haben, ihre Heimat zu verlassen und  dieser Mobilitätswunsch ist nicht auf Deutschland begrenzt. Über die Schwierigkeiten der deutschen Sprache wird oft diskutiert, aber auch das Lohnniveau, Standards der sozialen Sicherheit oder Geschlechtergerechtigkeit können zentrale Aspekte sein, warum ich mich als Fachkraft für eine Region entscheide oder nicht. Und da ist Deutschland nicht in allen Feldern Nummer eins.

Außerdem müssen wir, um attraktiver zu werden, die Prozesse komplett digitalisieren und vereinfachen – insbesondere die Beantragung der Visa. Wir haben einerseits bei der Fachkräfteeinwanderung ein einfacheres Punktesystem als Kanada. Das heißt, wir haben uns im Wettbewerb schon gut aufgestellt. Aber andererseits müssen wir anerkennen, dass bestimmte Dinge auch im Inland nachgeholt werden müssen, Beispiel Anerkennungspartnerschaften. Das heißt, dass man kann Dokumente und Zeugnisse auch im Rahmen einer Beschäftigung und mit Unterstützung des Arbeitgebers erst später vorlegen kann. Die momentanen Engpässe sind tatsächlich im Bereich der Bearbeitungskapazitäten und der mangelnden Digitalisierung.

 

Aktuell kreist die öffentliche Debatte zum Thema Migrationsabkommen um die Externalisierung von Asylverfahren. Das wird auch im Ausland wahrgenommen. Welche Auswirkungen hat dies auf die Gestaltung von Migrationsabkommen und die Positionierung potentieller Partnerländer in den Verhandlungen ?

Da darf man sich überhaupt nichts vormachen. Am Ende ist es ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das zuallererst einheitliche Standards, Verfahren und ein einheitliches Rechtsstaatlichkeitsniveau innerhalb von Europa vorsieht, weil Entscheidungen der Nationalstaaten schlichtweg auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gegenseitiger Anerkennung bedürfen. Kapazitäten bestehen von deutscher Seite eher in Bereichen wie der Unterstützung von Frontex, was den Eintritt in die Europäische Union darstellt, Stichwort Polizei, Grenzpolizei oder aber im Bereich des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit seinen Entscheidungskapazitäten. Insgesamt sehe ich viel Potenzial zur Zusammenarbeit mit anderen europäischen Staaten, auch in Bezug auf eine bessere Verteilung und einen Neustart des europäischen Asylsystems. Unterm Strich braucht es aber auch einfach schnellere Entscheidungen. Eine bessere Ausstattung der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Ausländerbehörden würde vor Ort viel mehr bewirken, als jetzt Geld in eine Externalisierung von Asylverfahren zu stecken.

 

Mit der heutigen Fraktionskonferenz hat die SPD-Fraktion eine breite Diskussion über Migrationsabkommen eröffnet, die unterschiedliche Perspektiven einbezieht. Inwiefern kommen diese auch bei der Auswahl potentieller Partnerländer für Migrationsabkommen zum Tragen? Konkret: Welche Rolle spielen innenpolitische Kriterien und welche sind das?

Als wir z.B. das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verhandelt haben, lag die Federführung im Innenministerium, da es eben auch um aufenthaltsrechtliche Fragen geht. Beim Migrationsabkommen mit Georgien und bei den Verhandlungen mit Moldau haben wir innenpolitische Schwerpunkte gesetzt, weil wir dort verschwindend geringe Anerkennungsquoten von Asylbewerbern haben. Hinzu kommt, dass Staaten nicht immer daran interessiert sind, Arbeits- und Fachkräfte ziehen zu lassen, was wiederum zu Wettbewerb führt. Wir konkurrieren übrigens auch mit Polen und Frankreich. Trotz eines einheitlichen, freizügigen europäischen Arbeitsmarkts bleibt der Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte aber sehr nationalstaatlich.

Hinzu kommt, dass wir wissen, wo die Menschen herkommen und wo sogenannte Schleuser aktiv sind. Das ist ein gigantischer Markt, den wir bekämpfen wollen, weil mit falschen Hoffnungen von Menschen gespielt wird. Da werden falsche Vorstellungen davon verbreitet, wie die Prozesse bei uns tatsächlich ablaufen. Wir  wollen dafür sorgen, dass am Ende die Möglichkeit besteht, in unseren Arbeitsmarkt integriert zu werden, eben weil wir die Fach- und Arbeitskräfte brauchen und wir vermeiden wollen, dass das Asylrecht als Fast-Track missverstanden wird. Daher sind die Migrationsabkommen wichtig, weil dadurch die richtigen Informationen festgehalten werden und ein klarer Rahmen geschaffen wird.

 

Wie geht es nach der Fraktionskonferenz weiter?

Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, dass es Migrationsabkommen mit Kenia und Usbekistan geben wird. Wir kommen also jetzt in die parlamentarische Bearbeitung. Hier kommen weitere Diskussionspunkte, die auch in den Workshops der heutigen Fachkonferenz aufgeworfen wurden, dazu: Was macht ein erfolgreiches Migrationsabkommen aus? Gibt es bestimmte Erfolgsfaktoren? Wo kann man auch etwas voneinander lernen?

Und schlussendlich sind wir auch stolz auf diesen Austausch. Die SPD besetzt das Thema offensiv. Wir wollen uns in der Migrationspolitik überhaupt nicht verstecken. Die Fachkonferenz ist in diesem Sinne ein Startschuss.

 

Die Fragen stellten Joscha Wendland und Annette Schlicht.

Unter dem Titel "Migrationsabkommen - Wie wir Einwanderung gut regeln können" fand am 03.06.2024 die Migrationskonferenz der SPD-Bundestagsfraktion im Paul-Löbe-Haus in Berlin statt.

 


Zur Person

Sebastian Hartmann ist seit 2013 Bundestagsabgeordneter der SPD im Wahlkreis 97 (Rhein-Sieg-Kreis I) und seit Dezember 2021 der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Im Rhein-Sieg-Kreis war er seit seinem Eintritt in die SPD im Juli 1993 auf unterschiedlichen Ebenen politisch aktiv. Unter anderem als Vorsitzender der Jusos im Rhein-Sieg-Kreis, als Vorsitzender der SPD in Bornheim und im Rhein-Sieg-Kreis sowie als langjähriges Mitglied des Kreistages. Von 2018 bis März 2021 war er darüber hinaus Landesvorsitzender der NRWSPD. 

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.

nach oben