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Arbeit und Zukunft – Gegenwärtige Beobachtungen und historische Perspektiven

Die Corona-Epidemie hat Fragen nach einer neuen Gestaltung von Arbeit und ihrer veränderten Bewertung in kurzer Zeit sehr dringlich werden lassen. Millionen von Arbeitenden weltweit entwickeln angesichts ihrer gegenwärtigen, alltäglichen Arbeitserfahrung Vorstellungen davon, was die Zukunft wohl bringen wird.

Sie versuchen, Strategien zu entwickeln, um ihr Handeln danach auszurichten – freilich mit unterschiedlichen Maßstäben und Zeithorizonten: Die einen kämpfen im Home-Office nicht nur mit der schier unmöglichen Vereinbarung von Beruf und Familie, sondern zusätzlich auch mit einer überlasteten Technik. Dieser vermeintliche Vorgeschmack auf eine einst verheißungsvoll propagierte Zukunft der Arbeit schmeckt angesichts solcher Hindernisse von Tag zu Tag schaler. Andere bangen unter den derzeitigen Krisenbedingungen viel grundsätzlicher um ihr Einkommen, ihren Arbeitsplatz und damit um ihre Existenzgrundlagen und stellen sich täglich die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Denn die Zukunft, mit der sie bisher rechneten, scheint unweigerlich vergangen zu sein. Das Personal im Gesundheits-, Forschungs- und Sicherheitssektor wiederum ist mit Überlastung und einer totalen Entgrenzung von Arbeit konfrontiert. Auch der Produktionssektor oder die Logistik- und IT-Branche versuchen, eine gesellschaftliche Zukunft durch Arbeit zu ermöglichen und über Innovationen mit und an der Zukunft zu arbeiten.

So sehr angesichts gegenwärtiger und zukünftiger Herausforderungen auch das Gemeinsame beschworen wird, so heterogen und fragmentiert sind die Aussichten, Ängste und Aneignungen, mit denen Individuen der Zukunftsungewissheit begegnen. Obwohl die gegenwärtige Ausnahmesituation mit ihrem staatlich verordneten „lock down“ weiter Teile der Arbeitsgesellschaft keine historischen Vorbilder besitzt, legt er Strukturen im Verhältnis von Zukunft und Arbeit offen, die bereits im 20. Jahrhundert angelegt waren. Das zeigt ein tieferer Blick in die Umgangsweisen mit Zukunftsvorstellungen und -entwürfen, wie sie individuelle und kollektive Akteur_innen in unterschiedlichen Branchen und Gesellschaftssystemen im vergangenen Jahrhundert entwickelten. Grob gesprochen lassen sich vier zentrale Themenkreise benennen,  um die Zukunftsdebatten damals kreisten:  Erstens avancierten Arbeitslosigkeit und ihre Bewältigung im 20. Jahrhundert zu Zukunftsfragen par excellence für Individuen, Kollektive und Staaten. Zweitens provozierte die rasante technische Entwicklung einflussreiche Zukunftsvisionen und wirklichkeitsprägende Dystopien. Drittens waren aktive Innovationsstrategien im Feld der Arbeit eine dominante Form der Zukunftsaneignung. Und viertens ging es immer wieder um die Möglichkeiten und Grenzen bei der politischen Planung und Steuerung der Zukunft.

Einzelne Befunde verdienen dabei besondere Beachtung: Das 20. Jahrhundert gilt gemeinhin als Zeitalter unbegrenzter Machbarkeit. Politische Akteure unterschiedlicher politischer Systeme formulierten Steuerungsversprechen und unternahmen Planungsversuche, um Zukunft zu gestalten, vorhersagbar zu machen und gegebenenfalls auch einzuhegen. In den Zukunftsdiskursen dominierte jedoch über Jahrzehnte hinweg ein Imperativ der Anpassung.  Ob Arbeitgeber_innen, Gewerkschaften oder Politiker_innen – viele propagierten Zukunft als einen äußerlichen, zwangsläufigen und unaufhaltsamen Prozess, der von der arbeitenden Bevölkerung eine permanente Veränderungsbereitschaft erforderte. Typisch dafür waren Verweise auf den „technischen Fortschritt“ oder auch auf die „Rationalisierung“, die als quasi naturnotwendige Entwicklungen imaginiert wurden, anstatt auf ihre menschengemachten Ursprünge zu verweisen.

Die angesprochenen Akteur_innen suchten angesichts dieser Appellationen einen Ausgleich zwischen der Bewahrung einer „besseren Vergangenheit“, präventiven Kalkülen und einer aktiven Gestaltung ihrer Handlungsspielräume. Das lässt sich beispielsweise an der Geschichte der Kreativarbeit nachvollziehen: Bekämpften Musikergewerkschaften seit den 1920er-Jahren die Technisierung von Musik als Bedrohung für den Live-Auftritt, machten sie sich die neuen Aufnahme-Möglichkeiten im Laufe der Zeit über Rechteverwertungen zu Nutze. Derzeit scheint das Internet das Medium der Wahl zu sein,  das Live-Konzerte auch ohne Publikum vor Ort möglich macht und damit die beruflichen Risiken von Musikern angesichts eines Kontaktverbotes einzuhegen vermag.

Eine solch flexible Ausdeutung und die Entwicklung von Misch-Strategien gegenüber der Zukunft waren umso erfolgreicher, je mehr sie sich in andere Entwicklungen einschrieben, die spezifische Zukunft der Arbeit also diskursiv beispielsweise an die Zukunft der Wirtschaft, der Umwelt, der Familie oder eben auch der Gesundheit gekoppelt wurde. Dazu gehörte, dass individuelles Zukunftshandeln auch als Beitrag zur Ausbildung einer harmonischen Gesellschaftsordnung plausibilisiert wurde – eine diskursive Strategie, die wir auch gegenwärtig erleben. Die Anfänge der Telearbeit in den 1980er-Jahren bargen beispielsweise das Versprechen einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Kindeserziehung und damit auch einer Emanzipation der Frau. Diese Annahme wurde zwar schon damals von der Empirie widerlegt, beansprucht jedoch derzeit wieder eine gewisse Gültigkeit.

Zukunftsbewältigung wurde trotz der wiederholt diagnostizierten Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile in der (Post-)Moderne vielfach kollektiv und grenzüberschreitend vollzogen. Gewerkschaften spielten dabei eine herausragende Rolle, aber auch persönliche Netzwerke, die sich schicht- oder branchenspezifisch, in Arbeits- oder familiären Kontexten bildeten und dabei auch Landes- und Systemgrenzen überwinden konnten. Politische Ideale einer besseren Zukunft durchdrangen beispielweise während des Kalten Krieges den gar nicht so „eisernen Vorhang“ und konnten zu Vorbildern für die persönliche Lebens- und kollektive Arbeitsgestaltung auf der anderen Seite werden. Wenn seit einigen Tagen über die Vorteile der chinesischen Kontrolle sämtlicher Lebensbereiche als wirksamer Überlebensstrategie für Wirtschaft und Gesellschaft nachgedacht wird, verweist das ebenfalls auf die transnationale Wirksamkeit von Zukunftshandeln in der Arbeitswelt.

Zuletzt begegnen uns in der Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht nur Versuche, mit der unendlichen Vielfalt potenzieller Zukünfte der Arbeit fertig zu werden, sondern auch diese Vielfalt ins Unendliche zu steigern. Zukunft durch Arbeit neu entstehen zu lassen, zu erlernen, sie wie im Labor zu erschaffen, war eine der großen Utopien des 20. Jahrhunderts und wurde durch Arbeitsstrukturen und Weiterbildung zu realisieren versucht. Ideologisch präformierte Projekte zeugen davon ebenso wie der ökonomische Appell zu Kreativität und die labormäßige Erzeugung von Innovation, die auch derzeit die Zukunftshoffnungen bestimmen.

Vergangene Zukünfte und gegenwärtige Zukünfte der Arbeit sind, wie diese Skizze zu zeigen versucht, unweigerlich aneinander gebunden. Sich mit ihren Logiken auseinanderzusetzen, kann dabei helfen, die Tiefenstrukturen unserer Arbeitsgesellschaft auch als je spezifische Ausformungen eines Zukunftsverhältnisses zu begreifen, das bereits in der Vergangenheit über, in oder durch Arbeit entwickelt wurde.

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