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Das Regierungskomplott von Kanzleramtschef Hans Globke und BND-Präsident Reinhard Gehlen, das die Bonner „Baracke“ der sozialdemokratischen Parteiführung zwischen 1953 und 1962 in ein gläsernes Haus verwandelte, war die umfassendste, aber nicht die einzige Anti-SPD-Aktion des Auslandsnachrichtendienstes. Im Umfeld von „Adenauers Watergate“ finden wir weitere.
Bild: Klaus-Dietmar Henke beschreibt in seiner Studie die Ausforschung der SPD als "Demokratieverbrechen"
Bild: Siegfried Ortloff (links), hier mit Paul Löbe, lieferte als Sicherheitsbeauftragter des SPD-Parteivorstands über seinen Parteifreund Siegfried Ziegler geheime Informationen an Reinhard Gehlen; von AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Der Sozialdemokrat Siegfried Ziegler wurde von Gehlen angeworben und mit der Bespitzelung des SPD-Vorstands beauftragt; Bildrechte: von Bildarchiv Bayerischer Landtag
Bild: Hans Globke, Chef des Bundeskanzleramts und enger Vertrauter von Konrad Adenauer, sah die illegale Überwachung der SPD als Feindbeobachtung an; von J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Otto Scheugenpflug, 2. Vorsitzender des hessischen DGB-Landesverbands, spionierte seit 1947 für die Organisation Gehlen; von fpa
Bild: Auch der ehemalige Kommunist Erich Wollenberg lieferte Informationen über die SPD an die Organisation Gehlen; von unbekannt
Bundeskanzler Konrad Adenauer versicherte den Bürgern der jungen Bundesrepublik wiederholt, für ihn und seine Partei gebe es nur einen Weg: „den Weg des Rechtsstaates“ (Bulletin). Gegenüber seinen Vorstandskollegen machte der CDU-Chef jedoch deutlich, dass er die Grenzen des Rechtsstaats im Kampf gegen die Opposition auf „krummen Wegen“ überschreite (Protokolle, S. 74 f.). Ohne diese Bereitschaft zum Machtmissbrauch, bei dem der Zweck die Mittel zu heiligen hatte, wäre das spät entdeckte „German Watergate“, wie die Washington Post im Frühjahr 2022 sogleich titelte, unmöglich gewesen. Dem geheimdienstlichen Angriff auf die sozialdemokratische Parteiführung als dem Kernprojekt verfassungswidriger Gegnerbekämpfung lag dieselbe Überzeugung zugrunde wie den übrigen Anti-SPD-Aktivitäten: Adenauers, Gehlens und Globkes Gewissheit nämlich, eine Regierungsübernahme der explizit als Feind eingestuften Sozialdemokratie bedeute eine akute Gefährdung der Bundesrepublik; Finis Germaniae, sowjetischer Satellitenstaat, usw.
Wie ausführlich beschrieben (Henke, III), waren es zwei SPD-Genossen, die dem BND in Bonn zum Durchbruch verhalfen und als Top-Innenquellen zum Rückgrat von Adenauers Watergates wurden: Der eine, der NS-Gegner und Emigrant Siegfried Ortloff avancierte als Sekretär des SPD-Vorstands, Sicherheitsbeauftragter und rechte Hand Erich Ollenhauers zur Schlüsselfigur des großen Verrats. Der andere, Siegfried Ziegler, karrieristischer SPD- und BND-Mann zugleich, der seinen Parteifreund Ortloff anwarb und betreute, hob die Ausforschung der SPD-Führung dadurch auf Spitzenniveau. Namentlich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre konnten der CDU-Vorsitzende und Hans Globke als „heimlicher Generalsekretär der CDU“ (Bösch, S. 361) die Meinungs- und Strategiebildung des „Feindes“ SPD samt aller Einzelheiten ihrer inneren Verfassung wie in einem offenen Buch studieren.
Anders als bei dieser professionell dirigierten Großoperation, eine der bedeutendsten des BND überhaupt, haben wir es bei den weiteren Aktivitäten gegen die SPD mit fließenden Strukturen zu tun. Die Zuträgerschaft wurde oft erst aktiviert, wenn sich eine Beobachtungsmöglichkeit eröffnete oder bereits bewährte Informanten dafür umorientiert werden konnten. Von den ungefähr 20 hierbei tätigen BND-Zuträgern befassten sich manche über Jahre hinweg mit dem sozialdemokratischen Lager, manche eher beiläufig, einige aus nächster Nähe, wieder andere bloß vage und von Ferne.
Obwohl die Doppelstrategie Reinhard Gehlens, korrekte offizielle Beziehungen zur SPD bei deren gleichzeitiger Ausspähung zu unterhalten, längst festlag, blieb die nachrichtendienstliche Ausbeute zur Sozialdemokratie während der ersten Legislaturperiode bescheiden. Sie erschöpfte sich in Spekulationen über den Gesundheitszustand Kurt Schumachers, in Mutmaßungen über die Chancen der Opposition bei der nächsten Bundestagswahl und in nie endenden Variationen über das „unlösbare Rätsel“ Herbert Wehner (Verschlußsache, S. 114). Die Platzierung einer weiblichen Agentin beim Vorstandsmitglied Carlo Schmid verlief im Sande.
Am ergiebigsten erwiesen sich anfangs FDP-Politiker. Der 1949 angeworbene Bundestagsabgeordnete und spätere Bundesbauminister Victor-Emanuel Preusker verriet zwar ebenso wie sein schon drei Jahre länger in Pullachs Diensten stehender persönlicher Referent Rudolf Finke hauptsächlich die eigene Partei, beide erfuhren im Gespräch mit SPD-Kollegen aber auch manches mitteilenswerte Internum. Finke beschaffte über ein Mitglied des DGB-Vorstands zudem interne Papiere, aus denen Gehlen und Globke ersahen, wie die SPD-Führung auf ihre verheerende Niederlage bei der Bundestagswahl 1953 zu reagieren gedachte. Beide V-Leute brachten über die Jahre manche im Kanzleramt gut verwertbare Information bei.
FDP-Bundesgeschäftsführer Lothar Weirauch zeigte sich ebenfalls auskunftsfreudig. Für ein monatliches Fixum von 2000 DM bediente er Hans Globke unter anderem mit SPD-Nachrichten, die das ihm unterstellte Ostbüro der FDP beschaffte – so etwa die Warnung vor einer geplanten Wahlkampfbroschüre über die „Korrumpierung der Regierungsparteien“ durch das große Geld (II, 613), Einblicke in ein Nachwahl-Scherbengericht in Anwesenheit von Parteichef Erich Ollenhauer oder Nachrichten aus der deutschlandpolitischen Unterredung führender Genossen mit dem amerikanischen Hochkommissar. 1954 flog Weirauchs Nebentätigkeit auf, die FDP trennte sich von ihm, doch fand er dank Globkes Vermittlung als Unterabteilungsleiter im neuen Bundesministerium der Verteidigung ein Auskommen.
Der kurzzeitige Landesgeschäftsführer der FDP in Nordrhein-Westfalen August Hoppe, der im WDR bis zum stellvertretenden Chefredakteur der Hauptabteilung Politik aufstieg, gehörte seit 1948 zu den unermüdlichsten kulturkämpferischen Agenten. Über ein Vierteljahrhundert lang berichtete über alles und jedes, was er über das Bonner Personal oder aus Parteigremien in Erfahrung bringen konnte. In militanten Berichten legte er beispielsweise den Einfluss der SPD im Rundfunk dar. Aus einem Privatissimum mit dem späteren FDP-Chef Erich Mende gab er Gehlen kurz vor der Bundestagswahl eine Liste künftiger Ministerkandidaten weiter und unterrichtete ihn außerdem über Mendes Planspiele für eine Koalition mit den Sozialdemokraten. Später wurde Hoppe Hauptinformant über die Turbulenzen bei der Ausbootung der CDU durch eine SPD/FDP-Koalition in Nordrhein-Westfalen. Via Pullach gab er Adenauer und Globke Empfehlungen, wie sie den liberalen, „den Funktionären der SPD gesinnungsverwandten“ Spitzenpolitikern dort Paroli bieten könnten (II, 360).
Diese Art indirekter Nachrichtengewinnung über die SPD rundete die Erträge der parteipolitischen Inlandsspionage ebenso ab wie die Information der Innenquelle Otto Scheugenpflug. Der 2. Vorsitzende des DGB-Landesverbandes Hessen spionierte seit 1947 für die Organisation Gehlen und berichtete kontinuierlich über Parteiinterna, sobald sie ihm als Verbandsfunktionär oder in der Landespolitik zu Ohren kamen. Das betraf beispielsweise den Dissens zwischen dem SPD-Vorsitzenden und dem DGB-Chef in der Sozialisierungsfrage, häufiger jedoch Politik und Person des hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn. Der sozialdemokratische Hoffnungsträger mache sich von der Bonner „Baracke“ zunehmend unabhängiger, schrieb er, man müsse geradezu von einer „zweiten (inoffiziellen) Parteispitze neben Ollenhauer sprechen“. Manchmal überlege der eigenwillige Regierungschef sogar, wie man nach der Wiedervereinigung „von Mitteldeutschland her ein sozialistisches Deutschland entwickeln könne“ (I, 759 sowie I, 621).
Im Unterschied zu dem ein wenig provinziellen Scheugenpflug exzellierte der „großrahmige“ Intellektuelle Erich Wollenberg in endlosen Feuilletons über Glanz und Elend der Sozialdemokratie. Als KPD-Mann der ersten Stunde und militärischer Führer der Münchener Räterepublik war der stalinistische Apparatschik, der spektakulär mit dem Sowjetkommunismus gebrochen hatte, im Gehlen-Apparat eine Größe für sich. Sein Feld war die Welt, doch ließ er sich mitunter auch gern zu Diagnosen der inneren Verfassung der SPD herbei – schwungvolle Ausarbeitungen allesamt, die allerdings darunter litten, dass sie gewöhnlich vom Hass auf seinen einstigen Kampfgenossen Herbert Wehner diktiert waren; die innere Revision erkannte diese Schlagseite durchaus. Greifbarer und brauchbarer waren die offenherzigen Auskünfte über innerparteiliche Konflikte, die Wollenberg von einem weit links stehenden Unterbezirksvorsitzenden hörte, abschöpfte und weiterleitete. Als ihm ein alter Freund den Inhalt einer hitzigen Unterredung Ollenhauers mit dem norwegischen Außenminister hintertrug, unterrichtete er Gehlen darüber genauso pointiert wie über dessen Einschätzung Willy Brandts.
Auch andere hauptamtliche Mitarbeiter Gehlens trugen ihre Steinchen für das SPD-Mosaik herzu. So meldete etwa Konrad Gallen, der in Pullach eigentlich mit Ostblock-Spionage befasst war, dass die „links extremistisch militante“ deutsche Gruppe des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) zunehmend Einfluss auf die Partei gewinne und „ein sozialistisch geführtes Gesamtdeutschland“ ohne Anlehnung an den Westen anstrebe. Es gebe sogar Generalstreikpläne mit dem Ziel, eine Große Koalition herbeizuführen. Bevor Gallen dann verstummte, lieferte er noch einen Bericht über eine gemeinsame Sitzung von SPD-Spitzengremien, in der beschlossen worden sei, im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Westverträge die Streikvorbereitungen so fortzusetzen, „dass eine Art nationaler Notstand entsteht, der die Bildung einer Großen Koalition zur absoluten Notwendigkeit werden lässt“ (II, 597 sowie II, 600).
Diese Anti-SPD-Aktivitäten bereicherten die Ausforschung der Sozialdemokratie, steuerten manche Facette zum Gesamtbild bei, krankten aber doch daran, dass noch weitere ähnlich gut platzierte Innenquellen wie Ortloff und Ziegler nicht gewonnen werden konnten. Daran änderte auch die Zusammenarbeit mit dem Widerstandskämpfer Alfred Weber („Peter Wandel“) wenig, der das wichtige Ostbüro der SPD in West-Berlin leitete. Anfangs als inoffizieller, dann hauptamtlicher Mitarbeiter überließ er dem BND zwar vorzügliche Materialien, die sein ausgedehntes Informantennetz in Ostdeutschland beibrachte und Pullachs dürftiger DDR-Spionage aufhalfen, doch bei der Ausspähung der SPD-Spitze spielte der innerparteiliche Gegner Wehners keine Rolle. Gegen Ende der Ära Adenauer lief seine Mitarbeit im BND aus.
Die Sozialdemokraten ahnten, dass sie von irgendwelchen Regierungsstellen beobachtet würden. Schon vor der Konsolidierung des durchschlagenden Angriffs auf die „Baracke“ hielt ein Vermerk für den Vorstand fest, dass die Organisation Gehlen „über Herrn Globke in den letzten Jahren der Bundeskanzlei zahlreiche wertvolle politische und persönliche Mitteilungen zugeleitet hat“ (I, 764). Solche Warnungen wiederholten sich noch öfter, doch das „Loch“ in der SPD blieb beinahe sieben Jahrzehnte lang unentdeckt. Alle Mitwisser, nicht mehr als sieben oder acht, nahmen das Geheimnis von Adenauers Watergate mit ins Grab. Doch auch nach Abbruch dieser Großoperation politischer Inlandsspionage und dem Ende der Ära Adenauer 1963 setzte der Auslandsnachrichtendienst seine Anti-SPD-Aktivitäten fort. Zehn Jahre später glaubten die Sozialdemokraten dem Verrat und den Verrätern endlich auf die Spur gekommen zu sein. Doch da irrten sie sich.
Klaus-Dietmar Henke
Teil 2 des Beitrags finden Sie hier.
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke, Jahrgang 1947, ist Zeithistoriker und war Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND. Am 29. Februar 2024 stellt er in Bonn seine jüngste Studie "Adenauers Watergate. Die Geheimoperation des BND gegen die SPD-Spitze" vor. Weitere Informationen hier
Die Anti-SPD Aktivitäten des BND kamen mit dem Ende der Ära Adenauer nicht an ihr Ende, sondern wurden auf neue Informanten und Operationen gestützt,…