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Eine Frage des Geschlechts? Arbeitsbedingungen aus der Perspektive von Männern und Frauen

Dr. Eileen Peters geht in dieser Analyse der Frage nach, inwiefern sich die Wahrnehmung von Erwerbsarbeit, den Arbeitsbelastungen und Arbeitsmerkmalen zwischen Männern und Frauen und Personen mit Kindern und ohne unterscheidet.


Die Studie ist Teil des ProjektsKartographie der Arbeiter:innenklasse, mit dem wir eine Vermessung der (erwerbs-)arbeitenden Gesellschaft vornehmen.

 

Die Arbeitswelt befindet sich derzeit in einem großen Wandel. Digitalisierung, Fachkräftemangel und Vereinbarkeit von Beruf und Familie treiben diesen stetig voran, um nur ein paar der gegenwärtigen Herausforderungen zu nennen. Das Alleinverdienermodell in Familien scheint zunehmend ausgedient zu haben, Pflege und Sorgearbeit müssen daher mit Erwerbsarbeit in Einklang gebracht werden. Doch noch immer arbeiten mehr Frauen in Teilzeit als Männer, sie übernehmen oftmals auch den größeren Anteil an Sorgearbeit und Pflege in den Familien.

Wie wirken sich diese Veränderungen und Anforderungen auf die Wahrnehmung der Arbeitsbedingungen bei Frauen und Männern aus? Die vorliegende Studie zeigt, dass vor allem Frauen mit Kindern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als äußerst wichtiges Arbeitsmerkmal erachten. Gleichzeitig bewerten vor allem Frauen ohne Kinder ihre Arbeitsbelastungen als hoch. Der Beitrag ergänzt die aktuelle Debatte um eine moderne Arbeitswelt, die den geänderten Bedürfnissen der Arbeitnehmer:innen gerecht wird. Besonders in Zeiten des Arbeits- und Fachkräftemangels ist dies ein dringender Appell.

Ausgewählte Ergebnisse der Studie präsentieren wir auf dieser Seite, die gesamte Studie ist hier kostenfrei abrufbar.
 

Berufsklassen nach Geschlecht

Arbeitsbedingungen unterscheiden sich stark nach Branchen, daher ist beim Blick auf die Geschlechterperspektive auch die Verteilung von Männern und Frauen in den Erwerbsklassen aufschlussreich.
In der zu Grunde liegenden Studie „Kartographie der Arbeiterklasse“ und dem hier verwendeten Datensample finden sich unter den Befragten insgesamt 18 Prozent Väter, 34 Prozent Männer ohne Kinder unter 18 Jahren im Haushalt, 33 Prozent Frauen ohne Kinder unter 18 Jahren im Haushalt und 15 Prozent Mütter.
 


Aufgeschlüsselt nach dem Erwerbsklassenmodell nach Oesch (6er Schema) zeigt sich, dass die weiblichen Befragten vor allem in den Erwerbsklassen der Dienstleistenden und der soziokulturellen (Semi-)Expert:innen tätig sind. Dabei fällt auf, dass Mütter in hohem Maße im Bereich der soziokulturellen (Semi-)Expert:innen berufstätig sind.

Die männlichen Befragten sind insbesondere in der Produktion und als technische (Semi-)Experten vertreten, wobei es kaum Unterschiede zwischen Vätern und Männern ohne Kinder gibt. Der Anteil im Management ist bei allen Gruppen am höchsten, was mit der Systematik der Erwerbsklassen nach Oesch im 6er Schema zu erklären ist: Hier werden neben der Erwerbsklasse des Managements die der freien Berufe und Unternehmer:innen und die Erwerbsklasse der Kleingewerbetreibenden und Soloselbstständigen in einer Gruppe zusammengefasst.
 

Begriffsdefinitionen

Die Studie verwendet die Begriffe Mütter/ Väter für Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung angeben, Sorgearbeit im eigenen Haushalt gegenüber minderjährigen Kindern zu erfüllen. Frauen/ Männer ohne Kinder bezeichnen solche Befragten, die angeben, dass derzeit keine minderjährigen Kinder im eigenen Haushalt leben. Ein Gegenstand der Analyse ist die Wahrnehmung der eigenen Arbeitsbedingungen vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hier spielt die Situation im Alltag und im Haushalt eine bedeutende Rolle. Der Leserlichkeit halber werden daher die genannten vereinfachten Begriffe verwendet, auch wenn natürlich Eltern, deren Kinder nicht (mehr) im eigenen Haushalt leben, weiter Eltern bleiben.

Frauen ohne Kinder berichten am häufigsten von hoher mentaler Belastung

Im Mittelpunkt der Analyse steht, wie Frauen und Männer mit und ohne Kinder die Arbeitsbedingungen und Arbeitsmerkmale ihrer Erwerbsarbeit wahrnehmen. Dabei geben vor allem Frauen ohne Kinder an, häufig an die Grenzen ihrer mentalen Belastbarkeit zu kommen, 15 Prozent von ihnen stimmen dieser Aussage „voll und ganz“ zu. Im Gegensatz hierzu trifft dies nur auf 9 Prozent der Väter und Männer ohne Kinder sowie 12 Prozent der Mütter zu. Sowohl Frauen ohne Kinder als auch Mütter, die hohe mentale Belastungen verspüren, sind am häufigsten als soziokulturelle (Semi-)Expert:innen tätig, und hiervon ist die Mehrheit im Gesundheits- und Sozialwesen beschäftigt. Vor dem Hintergrund, dass Beschäftigte in Kitas und in der Altenpflege im Jahr 2023 die höchste Anzahl an Krankentagen aufgrund von psychischen Erkrankungen vorwiesen, erscheinen die hohen mentalen Belastungen in diesem Bereich wenig überraschend.

Befragt nach dem Ausmaß der körperlichen Belastung geben Frauen ohne Kinder am häufigsten (13 Prozent) an, oft an die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit zu kommen, am wenigsten fühlen sich Väter körperlich belastet. Wie lässt sich erklären, dass Frauen ohne Kinder höhere körperliche Belastungen haben als Mütter, die genauso häufig als soziokulturelle (Semi-)Expertinnen tätig sind? Mütter verbringen weniger Zeit auf der Arbeit als Frauen ohne Kinder und sind somit den belastenden Arbeitsbedingungen weniger ausgesetzt. Weiterhin könnte vermutet werden, dass Frauen ohne Sorgeverantwortung eher Überstunden machen können, die gerade in Zeiten starken Arbeits- und Fachkräftemangels anfallen.

Hohen Zeitdruck bei der Erwerbsarbeit verspüren vor allem Mütter (18 Prozent), gefolgt von Vätern und Männern ohne Kinder (14 Prozent) und Frauen ohne Kinder (16 Prozent). Der Anteil der Befragten insgesamt, die der Aussage „Ich fühle mich bei der Arbeit oft gehetzt oder unter Zeitdruck“ zustimmen ist von allen drei abgefragten Arbeitsbedingungen am höchsten, jedoch sind die Unterschiede zwischen den hier betrachteten Gruppen am geringsten.
 


Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem für Mütter äußerst wichtig

Die Studie befasst sich auch mit der Bewertung von Arbeitsmerkmalen, da dies Aufschluss darüber geben können, wie den oben beschriebenen Belastungen in den einzelnen Gruppen entgegengewirkt werden kann.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist vor allem Müttern äußerst wichtig (durchschnittliche Zustimmung von 5,8 auf einer Skala von 0 – 7). Diese hohe Zustimmung zeigt sich auch ein einem linearen Regressionsmodell als signifikanter Unterschied im Vergleich zu den anderen Gruppen, auch zu Vätern. Dies verdeutlicht die Doppelrolle, in der sich Mütter sehen: Sie gehen einer Erwerbstätigkeit nach und gleichzeitig leisten sie den Löwenanteil der Sorgearbeit im Privaten. Diese beiden Rollen miteinander zu vereinen stellt vor allem sie vor große Konflikte, wodurch es kaum überraschend ist, dass dieses Arbeitsmerkmal den zentralsten Aspekt für viele Mütter darstellt. Karrierechancen werden hingegen vor allem von Personen ohne Kinder als wichtig bewertet, insgesamt stellt diese Kategorie jedoch bei allen Gruppen die niedrigsten Werte dar.
 


Fazit und Handlungsempfehlungen

Die Voraussetzungen für Erwerbsarbeit unterscheiden sich für Männer und Frauen, da Frauen auch heute noch oftmals hauptverantwortlich für die zusätzlich anfallende unbezahlte Sorgearbeit sind (Statistisches Bundesamt 2024). Zudem kommt es durch die im umfassenden Wandel begriffene Erwerbsarbeitswelt sowie den Arbeits- und Fachkräftemangel in vielen Branchen, insbesondere in den Gruppen der soziokulturellen (Semi-)Expert:innen und der Dienstleistende, zu sehr hohen Arbeitsbelastungen, die gesundheitsschädlich ausfallen können. Der Diskurs in der öffentlichen Debatte rund um längere Arbeitszeiten und mehr Bock auf Arbeit berücksichtigt diese Herausforderungen allerdings nicht.

Die Ergebnisse unterstreichen viel mehr den hohen Handlungsbedarf in Betrieben des Gesundheits- und Sozialwesens, um die zeitlichen, mentalen und körperlichen Arbeitsbelastungen zu reduzieren. Dies würde vor allem Frauen entlasten, da sie insbesondere hohen Arbeitsbelastungen, vor allem körperlichen, ausgesetzt sind.

Ansatzpunkte, um die Arbeitsbedingungen attraktiver und gesundheitsförderlicher zu gestalten, finden sich auch in den Bewertungen der präferierten Arbeitsmerkmale. Die erfassten Arbeitsmerkmale stoßen insgesamt auf große Zustimmung. Allerdings sind Unterschiede in den Bewertungen der Wichtigkeit dieser Arbeitsmerkmale vorzufinden.  Für Väter zeigt sich, dass sowohl ein angemessenes Einkommen als auch die Vereinbarkeit von Familie/Privatleben und Beruf die höchsten Zustimmungen vorweisen. Insbesondere Mütter schätzen die Arbeitsmerkmale „flexible Arbeitszeitmodelle“ sowie „Vereinbarkeit von Familie/ Privatleben und Beruf “. Drei Viertel stufen die Vereinbarkeit von Familie/Privatleben und Beruf als äußerst wichtiges Arbeitsmerkmal ein (73 Prozent).

Damit wird deutlich: Wenn Arbeitgeber:innen und Politik eine höhere Erwerbsbeteiligung von Müttern erreichen möchten, sollten insbesondere diese Rahmenbedingungen der Erwerbsarbeit angepasst werden.
 

 

Über die Autorin


Dr. Eileen Peters, Soziologin, ist seit 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung im Projekt ,,Covid-19 und Arbeitsmarktentwicklungen in Bezug auf Geschlechterungleichheiten (CAme_BaG)“.


Ansprechpartnerin in der FES


annika.arnold(at)fes.de
 

Peters, Eileen

Eine Frage des Geschlechts?

Arbeitsbedingungen aus der Perspektive von Männern und Frauen
Berlin, 2024

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Ansprechpartnerin

Annika Arnold
Dr. Annika Arnold
0228 883-8329
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