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Das Projekt „HAMREA – Hamburg rechtsaußen“ untersucht rechtsextreme Gewalt und Aktionsformen in, mit und gegen städtische Gesellschaft von 1945 bis Anfang der 2000er-Jahre. In einem Gastbeitrag präsentieren Kerstin Thieler und Daniel Gerster erste Ergebnisse.
Während die Geschichte der extremen Rechten in Deutschland in ihrem nationalen und internationalen Bezugsrahmen in den letzten Jahren verstärkt in den Blick genommen wurde, mangelt es bisher an regionalen und lokalen Studien. Diese sind jedoch entscheidend, um die „alltägliche Vergesellschaftung“ der extremen Rechten zu analysieren. Mit diesem Zugang lässt sich nachvollziehen, wie sich rechte Akteure vor Ort organisierten, wie sie ihre Vorstellungen gegenüber anderen Akteuren konkret vertraten und sich durch (Gewalt-)Praktiken Räume aneigneten.
Im Forschungsprojekt „Hamburg rechtsaußen“ (HAMREA) werden diese Prozesse aus verschiedenen Perspektiven untersucht: erstens in Bezug auf die Großstadt Hamburg und ihre Umgebung, zweitens mit Hinblick auf engere lokale Konstellationen, die einzelne Stadtteile in den Blick nehmen, und zum dritten die Interaktionen mit Akteur:innen der extremen Rechten in der Bundesrepublik.
Bereits Mitte der 1950er-Jahren hatte die Deutsche Reichspartei (DRP) dazu aufgefordert, Hamburg „von außen“ zu erobern. Der rechten Kleinpartei blieben zentraler gelegene Versammlungsorte häufig verschlossen, sie musste daher auf die Peripherie ausweichen. Seit Beginn der 1970er-Jahre formierten sich in der gesamten Bundesrepublik neonazistische Gruppen. Insbesondere nach der Wahlniederlage der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) bei der Bundestagswahl 1969 radikalisierten sie sich auf der ideologischen Ebene und setzten gleichzeitig auf Gewalt und Provokation als probate Aktionsmittel. In Hamburg waren zwei Stadtteile für die Geschichte der extremen Rechten der 1970er- und 1980er-Jahre von zentraler Bedeutung: Bergedorf-Lohbrügge am südöstlichen Stadtrand und Blankenese, weit im Westen Hamburgs und repräsentativ an der Norderelbe gelegen. 1976 war Blankenese noch knapp auf der Hauptkarte des Falk-Stadtplans enthalten, während für Bergedorf eine kleine, gesonderte Karte die periphere Lage betonte.
Blankenese und Bergedorf könnten auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein: Während Bergedorf-Lohbrügge als eine Gegend wahrgenommen wird, in der vor allem sozial benachteiligte Menschen unter teilweise beengten Verhältnissen leben, hat sich Blankenese zu einem Ort entwickelt, mit dem vor allem das wohlhabende Bürgertum Hamburgs assoziiert wird. Beide Stadtteile sind in ihrer Sozialstruktur allerdings diverser als ihr Image. Es stellt sich für beide die Frage, warum sie seit den 1970er-Jahren zu wichtigen Orten rechter Vergemeinschaftung in Hamburg wurden und welche Eigenschaften sie zu Ermöglichungs- und Rückzugsräumen machten.
Der Hamburger Stadtteil Bergedorf-Lohbrügge gilt seit den späten 1970er-Jahren als eine Hochburg der extremen Rechten in der Stadt. Dieser Ruf begründete sich vor allem auf der Tatsache, dass rechtsextreme Gruppierungen wie Michael Kühnens Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) seit dieser Zeit verstärkt vor Ort in Erscheinung traten. Von den frühen 1980er-Jahren bis zur Jahrtausendwende überfielen sie wiederholt lokale Jugendclubs, sprengten Stadtfeste und Partys und schlugen Personen zusammen, die sie als „links“ oder „migrantisch“ identifizierten. So markierten sie den Stadtteil mit Aufklebern und Plakaten, die ihre Gegner so schnell wie möglich zu entfernen versuchten, oder störten etwa im März 1988 eine Veranstaltung der Jusos zum Thema „Rechtsradikalismus“, auf der der Verfassungsschutz informieren sollte.
Es entstand eine Neonazi- und Skinhead-Szene, die mit Gruppen wie der Lohbrügger Army über den Stadtteil und teilweise über die Stadt hinaus bekannt wurden. Sie verübte neben den bereits aufgeführten Attacken Brandanschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten und trat vor allem um die Jahrtausendwende durch Aufmärsche und Versammlungen öffentlich in Erscheinung. Auch die Skinheads, die Ende 1985 Ramazan Avcı zu Tode hetzten, stammten aus Bergedorf. Die lokale Verortung der extremen Rechten zeigte sich schließlich darin, dass die von Christian Worch – einem über Jahrzehnte führenden neonazistischen Kader – gegründete und 1995 von den Hamburger Behörden verbotene Nationale Liste ihre Zentrale in Bergedorf hatte.
Dokumentiert wurde das Agieren der extremen Rechten häufig durch ihre Gegner:innen, die etwa mit der „Antifa Info Bergedorf“ hierüber auch die interessierte Öffentlichkeit informierten. Erklärungsbedürftig bleibt die Konzentration der rechtsextremen Szene im Südosten Hamburgs. Es gilt, weitere Sozial- und Wirtschaftsdaten zu erheben und auch Wahlergebnisse kleinteiliger zu untersuchen und zu vergleichen, zumal im öffentlichen Diskurs auf die soziale Zusammensetzung der Bergedorfer Bevölkerung rekurriert wird. Zu fragen gilt es darüber hinaus, welchen Einfluss die historische Entwicklung des Stadtteils hatte, so zum Beispiel der Umstand, dass Bergedorf in der Nähe des ehemaligen KZ Neuengamme liegt, mit dessen Geschichte die lokale Bevölkerung lange haderte. Beobachten lässt sich zudem, dass es nach 1945 eine Kontinuität rechtsextremer Vergemeinschaft vor Ort gab. Sie zeigte sich unter anderem darin, dass rechte Parteien wie die Sozialistische Reichspartei, die DRP und später die NPD regelmäßig gut besuchte Versammlungen in Bergedorf abhielten. Hierbei kam es immer wieder zu Vorfällen, die deutlich die Handschrift der extremen Rechten trugen. So legten unbekannte Personen im November 1953 einen Kranz mit SS-Runen am lokalen Kriegerehrenmal ab. Insgesamt ist danach zu fragen, welche Bedeutung es für die Entwicklung hatte, dass einige der führenden Personen der Hamburger Neonazi-Szene wie etwa Thomas Wulff aus Bergedorf stammten, und welchen Einfluss schließlich der Umstand hatte, dass es auch stets sehr aktive linkspolitische Gruppierungen in Bergedorf-Lohbrügge gab, die sich zudem zur Wehr setzten. Wie unterschied sich dieses Setting von dem in Blankenese, das am anderen Ende der Stadt lag und liegt?
Im Juni 2001 vermeldete die Hamburger Morgenpost, dass in einem Blankeneser Park ein Hakenkreuz aus 200 rausgerissenen Stiefmütterchen gelegt worden sei. Man ist versucht, dies für eine zum Stadtteil passende Aktionsform zu halten. Blankenese war und ist allerdings bei weitem nicht so homogen, wie das Image des Stadtteils es suggeriert. Dennoch ist es auf den ersten Blick überraschend, wie sehr sich spätestens seit den 1970er-Jahren rechte Aktionsformen auch in den sogenannten noblen Elbvororten registrieren lassen.
Auch in den direkten Nachkriegsjahrzehnten waren rechte Aktionen und Veranstaltungen durchaus sichtbar: So marschierten im Mai 1947 Anhänger der DRP in Reih und Glied am Blankeneser Bahnhof vorbei, man sah hier Hakenkreuzschmierereien wie in anderen Stadtviertel auch, Parteien wie die NPD oder die Europäische Föderalistische Partei führten ab Mitte der 1960er-Jahre regemäßig gut besuchte Veranstaltungen durch. Mit dem wachsendem Engagement Jürgen Riegers (1946–2009) zunächst in der Hamburger rechten Szene, das er parallel zum Jurastudium ausbaute, wurde auch sein Wohnort und später seine Anwaltskanzlei in einer Blankeneser Villa zum Treffpunkt der extremen Rechten weit über Hamburg hinaus. Rechte Taten in Bergedorf führten häufiger dazu, dass Rieger in das eine Stunde entfernte Amtsgericht Bergedorf fahren musste, um etwa Ursula Worch, die Frau Christian Worchs, im März 1983 wegen Volksverhetzung zu verteidigen.
Ab den 1980er-Jahren trafen sich vermehrt rechte Skinheads im Garten der Villa, von den Nachbarn durchaus registriert. Im Mai 1983 marschierten dann 20 uniformierte Neonazis im Stechschritt durch die Blankeneser Bahnhofstraße, die vom Bahnhof zur Kanzlei führte, und verteilten Flugblätter der ANS. Auch eine Wehrsportgruppe, die in einer nahe gelegenen Kiesgrube ihre Übungen durchführte, konfrontierte die Blankeneser Bevölkerung in ihrem Alltag mit der Existenz neonazistischer Gruppierungen. Überfälle wie an Silvester 1980 oder 1983 auf das traditionelle Osterfeuer an der Elbe verdeutlichten die steigende Gewaltbereitschaft. Rieger agierte zwar zunehmend auf nationaler Ebene und an anderen Orten, dennoch führte seine Vernetzung – man könnte auch sagen Mandantenschaft – dazu, dass Blankenese lange Zeit ein Ort rechter Gewalt und Zusammenkünfte blieb.
Vor allem gegen Riegers Anwaltskanzlei regte sich Widerstand, etwa in Demonstrationen vor der Villa oder im Wurf von Farbbeuteln. Auch seine Funktion im Blankeneser Grundeigentümerverein stand in der Kritik – Riegers Interesse für Immobilien dürfte zu diesem Engagement im Blankeneser Bürgertum beigetragen haben. Räume bzw. Grundstücke zu besetzen oder mit dem Kauf von Gebäuden zu drohen, sollte zu einem essenziellen Teil von Riegers Aktionsrepertoire zur Stärkung der extremen Rechten werden. Die Präsenz der extremen Rechten scheint in hohem Maße an seine Person und seine Angebote gekoppelt gewesen zu sein. Riegers Blankeneser Herkunft war zwar zufällig, allerdings bot der Stadtteil auch weitere Ermöglichungsräume: Er war nicht durch linke Gruppierungen besetzt, man konnte sich geschützt treffen oder aufgrund der Abgelegenheit in der Nähe sogar Wehrsportübungen abhalten.
Im Forschungsprojekt wird derzeit weiteren Fragen nachgegangen: Wie gestaltete sich dies an Jürgen Riegers eigener ‚Heimatfront‘ in Blankenese, war die Präsenz rechter Gruppen hier vor allem an seine Person gekoppelt und weniger auf lokale und soziale Strukturen zurückzuführen? Wo rührte sich gesellschaftlicher Widerstand und wie war Rieger in der Blankeneser Bevölkerung selbst verortet? Ist es schließlich möglich, das Zustimmungspotential der Blankeneser zu Positionen der extremen Rechten genauer zu verfolgen – warum sah beispielsweise der Blankeneser Grundbesitzerverein in Riegers Engagement zunächst kein Problem? Die Übergänge vom konservativem zum rechten Milieu sind ein Feld, das im Falle Blankeneses als besonders lohnenswert für eine lokale Analyse erscheint und weiterverfolgt werden soll.
Welches Merkmal war nun entscheidend für die geographische Konzentration extrem rechter Gruppierungen? Am Rande der Stadt ließ es sich zumeist ungestörter agieren als in den Hochburgen linker Gruppierungen. Auch die Rekrutierung neuer Mitglieder ließ sich in sozial schwachen Stadtteilen einfacher bewältigen. Auch wenn die Protagonisten der extremen Rechten zumeist nicht aus noblen Elbvororten wie Blankenese stammten, so folgten sie doch den Möglichkeiten, die ihnen ein wohlhabender Akteur wie Jürgen Rieger bot – sei es in Blankenese oder im Schulungszentrum Hetendorf südlich von Hamburg.
Kerstin Thieler und Daniel Gerster
Anmerkung: Das in der Überschrift verwendete Zitat war der Titel eines Beschlusses des Hamburger DRP-Landesvorstands vom 24. Februar 1954, vgl. Monatsberichte des Kriminalamts mit polizeilicher Kriminalstatistik 1954, STA HH 331-1 II Polizeibehörde 1399, Februar 1954, 5.
Kerstin Thieler und Daniel Gerster sind wissenschaftliche Mitarbeiter:innen im Projekt HAMREA – Hamburg rechtsaußen. Rechtsextreme Gewalt- und Aktionsformen in, mit und gegen städtische Gesellschaft 1945 bis Anfang der 2000er Jahre.
Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute, Katalog zur Ausstellung, hrsg. von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen, Hamburg 2023.
Rechte Gewalt in Hamburg. Kooperationsprojekt der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg
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