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Könnten Medienvielfalt und -verbreitung durch öffentliche Mittel und eine gemeinsame Initiative der Verlage gestärkt werden? Im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundestags vom Juli, im Zuge der Corona-Hilfen maximal 220 Millionen Euro bereitzustellen, um die digitale Transformation des Printjournalismus zu unterstützen, hat der Abgeordnete Martin Rabanus (SPD) die Einrichtung einer digitalen Plattform vorgeschlagen, die als „Spotify für Journalismus“ umschrieben wird.
Herr Rabanus, was hat Sie dazu bewogen, den Vorschlag einer digitalen Medienplattform zu machen? Und könnten Sie bitte Ihre Idee und deren Vorzüge etwas ausführlicher darlegen?
Martin Rabanus: Der Deutsche Bundestag hat im Sommer 220 Millionen Euro zum Erhalt der Medienvielfalt und -verbreitung in Deutschland sowie zur Stärkung des Journalismus und darin tätiger Medienschaffender bereitgestellt. Diese Förderung haben wir neben zahlreichen Hilfen und Programmen zur Linderung der Not in Zeiten von Corona mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2020 zur Unterstützung des dringend gebotenen Transformationsprozesses im Bereich der Abonnementzeitungen, -zeitschriften und Anzeigenblättern» beschlossen.
Ziel der SPD-Bundestagsfraktion ist es, die Medienfreiheit und -vielfalt sowie den Zugang zu Medien in Deutschland zu sichern sowie den Journalismus zu stärken. Wir wollen den Zugang zu Informationen und die Verbreitung von Printprodukten verbessern und die digitale Transformation fördern.
Zugleich ist die Verlagsbranche in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche. Denn nicht erst die Corona-Pandemie und damit verbundene Probleme im publizistischen Bereich, wie etwa ins Digitale abwandernde Werbeeinnahmen sowie steigende Kosten für Bereitstellung und Zustellung der Printausgaben vor allem im ländlichen Raum, haben die Schwächen des bisherigen Distributionsmodells bzw. der Printabonnements insgesamt aufgezeigt. Seitens der Zeitungsbranche wurde lange dafür geworben, das bisherige Vertriebsmodell umfassend zu fördern, auch schon vor den gravierenden Auswirkungen der Pandemie auf den Zeitungsmarkt. Ich denke jedoch, dass es sinnvoller ist, die Weichen für die Zukunft zu stellen, statt in die analoge Vergangenheit zu investieren.
Der Begriff „Spotify für Journalismus“, unter dem das komplexe Thema medial häufig aufgegriffen wird (z.B. hier, hier oder hier), steht dabei für das Distributionsmodell, nicht für eine Eins-zu-eins-Kopie der Musikplattform: einen Bezahlvorgang für alle Artikel und Möglichkeiten zur individuellen Auswahl der Artikel nach Themen, Autor_innen, Umfang, etc. Heutzutage lassen sich Dinge leicht individualisieren, d.h. so anpassen, wie es für die eigenen Bedürfnisse und Ansprüche am besten passt – vom Haus über das Auto, die Kleidung, den Umgang mit Technik bis hin zur Versorgung mit Lebensmitteln. Auch der Umgang mit Medien verändert sich rasant. Studien (z.B. von bitkom, pwc und Reuters Institute) zeigen, dass Menschen heute eher bereit sind, für Plattformen, auf denen eine Vielzahl von Angeboten gebündelt ist, eine Flatrate zu zahlen. Warum dann nicht auch im Bereich der (Tages)Zeitungen und Zeitschriften? Bei dieser Idee wollen wir ansetzen, denn es geht um die Unterstützung von Journalist_innen und Verlagen durch eine Förderung der dafür nötigen technischen Infrastruktur. Auch kann ein solches Modell einen Beitrag zur Medienvielfalt leisten, wenn die Nutzer auf unterschiedlichste Medienangebote zugreifen könnten, zu denen sie sonst keinen Zugang hätten.
»Das Geschäftsmodell kann nur mit dem ernstgemeinten Engagement der Verlage klappen.«
Eine aktuelle Studie von Christian-Mathias Wellbrock und Christopher Buschow betont, wenn absehbar keine Lösungen auf systemischer Ebene gefunden würden, wüchse die Gefahr, dass Konzerne wie Apple, Google oder Amazon den Vertrieb journalistischer Inhalte in großen Teilen übernehmen. Aber weder aufseiten der Verlegerschaft noch in der Politik schien man bislang ernsthaft um tragfähige Lösungen bemüht. Täuscht dieser Eindruck? Und wenn nicht, woran liegt diese Zurückhaltung?
Vonseiten der Wirtschaft ist hier eher Zurückhaltung zu registrieren. Daher halte ich es für wichtig – auch mit Blick auf die Arbeitsplätze im Bereich der Printmedien –, dass wir vonseiten der Politik reagieren und den Stein ins Rollen bringen. Aus medienpolitischer Sicht der SPD-Bundestagsfraktion ist der Ansatz, in zukunftsträchtige, verlagsübergreifende und digitale Vertriebsmodelle zu investieren, vor allem damit verbunden, deutschlandweit die Presse- und Informationsfreiheit zu stärken und vielfältige auch lokale und regionale Berichterstattung zu sichern. Voraussetzung für die Förderung muss sein, dass die Branche mitmacht und den Wechsel will. Im Moment bin ich mir nicht sicher, ob sie diese Transformation auch tatsächlich aktiv gestalten will.
Das Geschäftsmodell kann nur mit dem ernstgemeinten Engagement der Verlage klappen. Andernfalls, betrachtet man die Entwicklungen der zurückliegenden Jahre, werden die von Ihnen genannten US-Technologiekonzerne den Medienmarkt mehr und mehr vereinnahmen. Tatsächlich gibt es zahlreiche Befürworter_innen der Idee, ein eigenes Angebot der Verlage auf dem Markt zu etablieren. Es hängt vor allem an den großen Akteuren auf dem Zeitungs- bzw. Zeitschriftenmarkt. Klar ist: Ein Strukturwandel ist nötig. Viele Verlage haben bereits digitale Distributionswege aufgebaut, manche sind damit erfolgreicher als andere. Die Marktmacht der Internetkonzerne betrachtend gehe ich jedoch davon aus, dass nur eine gemeinsame Initiative der deutschen Verlagshäuser genug Synergien freisetzt, dem Damoklesschwert der großen Marktmacht dieser Internetkonzerne etwas entgegenzusetzen. Mit kleinen Korrekturen hier und da wird es letztendlich ein Versuch des Durchlavieren durch den nötigen Strukturwandel bleiben, der für nicht wenige Verlagshäuser immense Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Beispiele von verschlepptem Strukturwandel sind allen bekannt: etwa der Untergang bewährter Marken auf dem Digitalfotografiemarkt oder die Autoindustrie. Wollen sie mit wehenden Fahnen untergehen oder den Strukturwandel als Chance sehen?
Denken Sie bei Ihrer digitalen Plattformidee an eine privatwirtschaftliche Initiative oder an eine öffentlich-rechtliche Lösung?
Seit dem Beginn der Pandemie hat sich nachweisbar immer stärker abgezeichnet, dass die Menschen auf der Suche nach verlässlichen Informationen vor allem auf die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zurückgreifen. Das zeigt, dass öffentlich-rechtliche Medienangebote von den Bürger_innen geschätzt werden als Quelle. Aber auch Printprodukte erfreuen sich großer Beliebtheit als Informationsquelle ausbalancierter, faktenbasierter und vertrauenswürdiger Informationen in unübersichtlichen Zeiten. Ich denke, dass hier auch eine erhebliche Chance und erhebliches Potenzial für ein journalistisches Angebot und an medienübergreifender Kooperation besteht.
Unabhängig davon schlage ich vor, insgesamt mehr auf Kooperationen und Partnerschaften von etablierten Medien – öffentlich-rechtlichen wie privaten Medien -, Neugründungen und einzelnen Journalistinnen und Journalisten zu setzen. Hier hoffen wir auf innovative Vorschläge aus der Branche. Dass eine solche Plattform von der öffentlichen Hand gefördert würde, schließt natürlich nicht aus, dass die Plattform den damit verbundenen Marktregeln und -mechanismen folgt bzw. wirtschaftlich arbeitet.
Gerne würden wir dies auch in einem Fachgespräch oder einem nächsten Medienpolitischen Dialog der SPD-Bundestagsfraktion vertiefen.
»Eine solche Plattform hat viel Potenzial. Es wäre eine weitere Möglichkeit, hochwertigen Journalismus angemessen zu vergüten.«
Wie müsste das vorübergehende finanzielle Engagement des Bundes gestaltet werden?
Das Engagement des Bundes müsste vor allem als Anschubfinanzierung verstanden werden. Der oben angesprochene Haushaltstitel zur Förderung der Medien ist auch unmissverständlich gedeckelt über die 220 Mio. Euro. Mehr wird es in den kommenden Jahren nicht geben. Von daher gilt es jetzt, die digitalen Infrastrukturen aufzubauen, Klarheit über die zu Grunde liegenden Mechanismen, Bezahlmodalitäten, Abrufmodelle, etc. zu schaffen. Wichtigstes Ziel muss es sein, die Medienvielfalt und den Zugang zu Qualitätsjournalismus zu sichern. Ebenfalls muss klar sein, dass, wie und in welchem Umfang die Verlagshäuser involviert bzw. engagiert sind. Das Vorhaben ist kein Selbstläufer und es gibt sicher Widerstände bzw. Konkurrenz, gegebenenfalls aus der Branche, aber auch seitens anderer Marktakteure wie die Tech-Plattformen.
Ich würde es begrüßen, wenn der Bund dieses Projekt in die Hand nimmt – die von Ihnen oben zitierte Studie weist diesen Weg. Zudem gibt es eine wachsende Bereitschaft seitens der Konsument_innen, für Qualitätsjournalismus aus Verlagsprodukten mehr oder überhaupt etwas zahlen. Davon ausgehend, dass Erlöse aus digital distribuierten Printprodukten zukünftig steigen, während Erlöse aus den analogen Printprodukten sinken werden, können Gewinne aus den erstgenannten Digitalmodellen von den Verlagshäusern zukünftig dafür genutzt werden, die zunehmend ertragsärmeren Vertriebswege gegenzufinanzieren. Denn nach wie vor braucht es eine zuverlässige Versorgung mit Informationen beispielsweise in den ländlichen Räumen. Zumindest so lange, wie die Nachfrage dort besteht und/oder die technischen Voraussetzungen beispielsweise über ein stabiles Netz noch offen sind.
Eine solche Plattform hat viel Potenzial. Es wäre eine weitere Möglichkeit, hochwertigen Journalismus angemessen zu vergüten. Die Einnahmen müssten allerdings zum Schluss auch bei den Journalist_innen ankommen, damit sie von ihrer Arbeit leben können. Eine angemessene und faire Vergütung der Urheber_innen ist das Ziel der SPD.
»Der Ausbau der digitalen Medien bietet eine große Chance, das aktuelle analoge Angebot erhalten zu können.«
Wie kann gewährleistet werden, dass die Plattform nicht nur die individuellen Informationspräferenzen der Konsument_innen widerspiegelt oder von einer Aufmerksamkeitslogik um Schlagzeilen und Klickzahlen geprägt ist, sondern auch dem verfassungsgemäßen Auftrag einer pluralen Medienlandschaft entspricht, das journalistisch vermittelte gesellschaftliche Gespräch zu gestalten?
Grundsätzlich zeigt sich, dass regelmäßig vergüteter Journalismus, beispielsweise indem er auf Abonnements und regelmäßigen Nutzungszahlungen aufbaut, viel weniger abhängig ist von Clickbaiting, sprich reißerischen Überschriften oder vielen negativen, Aufmerksamkeit heischenden Schlagzeilen. Hier kann sich der weniger von Werbung abhängige und finanzierte Journalismus viel mehr den Hintergrundinformationen in der Tiefe widmen und diese darstellen. Zugleich muss gewährleistet sein, dass unterschiedliche Kategorien oder Inhalte auf der Plattform zu finden sind, auch wenn manche Angebote deutlich weniger Klickzahlen erreichen als andere. Gerade weil die Plattform aus unserer Sicht öffentlich unterstützt werden könnte, muss eine Medien- und Informationsvielfalt gewährleistet sein. Noch einmal: die Nachfrage seitens der Medien konsumierenden Bürger_innen ist da – jetzt gilt es, dieses Potenzial zu nutzen und somit den Journalismus und die Verlage zu stärken und zukunftsfähig zu machen.
Insbesondere ältere Zeitungsleser_innen haben eine feste Bindung an einzelne Medien und ziehen vermutlich die Lektüre von Printprodukten vor. Warum konnte sich die Regierungskoalition nicht dazu durchringen, zumindest teilweise auf die Verlage zuzugehen und vorübergehend auch die Zeitungszustellung zu fördern? Es wäre doch naheliegend gewesen, dass die Politik auch an diese große und für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtige Wähler_innengruppe gedacht hätte.
Tatsächlich schätzen viele das haptische Erlebnis der Zeitungslektüre. Zugleich müssen wir aber anerkennen, dass die Zahl derer, die Medien und Information digital konsumieren, stetig wächst – nicht zuletzt, weil mehr und mehr Menschen als digital natives aufwachsen. Wir wollen beides – analog und digital – ermöglichen. Der Ausbau der digitalen Medien bietet eine große Chance, das aktuelle analoge Angebot erhalten zu können. Ein florierender Verlag kann sich das leisten. Meines Erachtens ist mit der Idee, eine digitale Plattform für journalistische Produkte zu schaffen, weder die Absicht noch der ungewollte Effekt verbunden, die ältere Leser_innenschaft und die Liebhaber_innen einer gedruckten Zeitung zu vergraulen. Ganz im Gegenteil dazu sehe ich im Aufbau einer zukunftsträchtigen, da digitalen Journalismusplattform eine weitere Möglichkeit, journalistische Inhalte weiter zu verbreiten und Umsätze zu erzielen, mit denen hochwertiger Journalismus bezahlt wird, ertragsärmere Vertriebswege gegenfinanziert und so erhalten werden können – und schließlich die befürchteten „News Deserts“ möglichst vermieden werden. Eine wichtige Grundlage dafür ist natürlich derGigabitausbau, denn ein guter und leistungsfähiger Internetzugang ist Voraussetzung für digitale Innovation und Teilhabe an den Medien und öffentlichen Debatten.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Roland Feicht, FES Medienpolitik.
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