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Militarismus: Eine Notwendigkeit oder die Verherrlichung toxischer Männlichkeit?

Feminismus bietet eine Möglichkeit, sich von der Verherrlichung des Militarismus zu befreien, die durch die patriarchale Kultur befördert wird, und so einer für alle friedlichen und sicheren Welt den Weg zu ebnen.

 

Bis heute wird Militarismus als eine Notwendigkeit akzeptiert und in all seinen Formen kulturell verherrlicht. Jungen tragen Polizeiuniformen und spielen mit Pistolen, um sich wie Helden zu fühlen; Männer streben nach Erfüllung und Ehre, indem sie Militärdienst leisten; und die Länder mit den schlagkräftigsten, brutalsten Waffenarsenalen werden als Anführer der Welt gepriesen.

Aus einer feministischen Perspektive ist Militarismus jedoch die deutlichste Manifestation einer toxischen Hyper-Männlichkeit. Er nutzt patriarchale Taktiken – wie Angsteinflößen, Panikmache und die Entmenschlichung bestimmter Gruppen –, um Machtgefälle zu etablieren und aufrecht zu erhalten, die ihm ermöglichen, weiterhin Menschen zu dominieren, zu kontrollieren und auszubeuten.

Nicht die unkalkulierbaren negativen Einflüsse von Militarismus auf das Leben von Frauen und Gemeinschaften in all ihrer Diversität sollen hier in Augenschein genommen werden. Vielmehr will dieser Text nachzeichnen, wie Militarismus – als eine Erweiterung des patriarchalen Systems – die größte Herausforderung für die MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika) wie auch für die gesamte Welt darstellt und infolgedessen zeigen, dass ein feministischer Ansatz zu Frieden und Sicherheit unser einziger Weg voran ist.

Alle patriarchischen Kriterien erfüllt

Militarismus ist die Genderperformativität einer Nation oder einer militanten Gruppe, wobei stereotype hyper-männliche Akte ständig wiederholt werden müssen, um die Illusion einer „starken“ männlichen Identität aufrechtzuerhalten. Nirgendwo sonst zeigt sich dies so deutlich wie in Russland. In seinen frühen Jahren in der Politik wurde der jetzige russische Präsident als ein Führer gefeiert, der die Nation wieder „vermännlichen“ kann. Seither hat er sich und Russland durch wachsende Militarisierung durchgängig als hyper-maskulin präsentiert. Vor kurzem hat jener Präsident sogar seine „gleichgesinnten“ Verbündeten für ihren „wahrhaft maskulinen Charakter“ gelobt.

Diese Genderperformativität ist häufig mit einer homophoben und anti-feministischen Rhetorik verbunden. In der Folge des Militärputsches 2013 in Ägypten wurden Feminist*innen und Mitglieder der LGBTQI+ Community juristisch verfolgt und/oder inhaftiert. Im Libanon verschärfte sich vor kurzem, nach einer Rede des Generalsekretärs der militanten Hisbollah, der misogyne und homophobe politische Diskurs. Der ungarische Präsident begeisterte im August 2022 die Unterstützer*innen für Waffenrechte bei der Conservative Political Action Conference mit der Feststellung, dass es „weniger Drag Queens, mehr Chuck Norris!“ bräuchte.

Die Sexualisierung und Objektivierung des Frauenkörpers – eine der Hauptsäulen des patriarchalen Systems – wird in militarisierten Kontexten auf die Spitze getrieben. Systematische Vergewaltigungen, sexuelle Gewalt, Zwangssterilisierungen und Gewalt in der Geburtshilfe wurden in der Vergangenheit und werden bis heute gegen Frauen eingesetzt, um den feindlichen Mann zu demütigen, Soldaten zu belohnen und militaristische Interessen voranzutreiben.

Der Krieg gegen die Umwelt

Jegliche militarisierte Aktivität ist eine Zerstörung der Umwelt. Die Produktion, die Nutzung und das Testen von Waffen ebenso wie militärische Routineübungen tragen maßgeblich zur Verschmutzung von Luft, Wasser, Böden und Körpergeweben von Tieren bei. Militärs besetzen schätzungsweise 5–6% der Erdoberfläche – in etwa die Fläche Chinas und Russlands zusammen. Ihre physische Präsenz zerstört Landschaften, stört Lebensräume und verhindert mögliche Entwicklung. Die ständige Einsatzbereitschaft der Armeen erfordert auch eine ständige Entsorgung von umweltbelastenden Betriebsmitteln wie überflüssiger Munition. Hinzu kommt, dass absichtliche Umweltzerstörung oft als „Kriegswaffe“ eingesetzt wird.

Allein das US-Militär erzeugt mehr CO2-Emissionen als ganze Länder wie Portugal oder Dänemark. Es gilt als der weltweit „größte einzelne Wegbereiter des Klimawandels“. Dennoch sind die Länder, die das Kyoto-Protokoll unterzeichnet oder das Pariser Abkommen verabschiedet haben, immer noch nicht dazu verpflichtet, Bericht über die Emissionen ihrer Armeen abzulegen, noch werden sie dazu aufgefordert, diese zu reduzieren.

Den Kapitalismus mit endlosem Profit bewaffnen

Viele sind sich durchaus dieses sogenannten Militär-Industrie-Komplexes bewusst, durch den Krieg, Waffenproduktion und Militärtechnik wegen ihrer monetären Rentabilität immer wieder von Entscheidungsträger*innen auf der ganzen Welt gebilligt werden. Der Wert der Waffenindustrie weltweit betrug 2019 mindestens 118 Milliarden US-Dollar. Die Vollzugs- und Militärkleidungsindustrie war im gleichen Jahr allein fast 3 Milliarden US-Dollar wert und der bei den US-Militäroperationen in Afghanistan und Irak verbrauchte Treibstoff wurde mit 3 Millionen US-Dollar täglich beziffert.

Eine Erhöhung der nationalen Militärbudgets zieht häufig eine Verringerung von Investitionen in öffentliche Dienstleistungen nach sich. In der Folge vergrößert sich der Bedarf, diese Dienstleistungen zu privatisieren, wenn Staaten einen Mangel an Geldern, um diese zu erbringen, anführen. Die Privatisierung entlässt Staaten als solche aus der Verantwortung, die Grundversorgung ihrer Bürger*innen zu leisten, was profitorientierten Unternehmen wiederum die Möglichkeit eröffnet, ihre eigenen Konditionen zur Erbringung dieser Dienstleistungen zu diktieren.

Sogar der Krieg wurde im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte immer stärker privatisiert. Private Militär- und Sicherheitsfirmen werden auf der ganzen Welt eingesetzt, um militarisierte „Sicherheitsdienstleistungen“ für ihre Auftraggeber zu erfüllen. Diese Industrie hat weltweit derzeit einen Wert von 224 Milliarden US-Dollar und es gibt zahlreiche gravierende Probleme im Hinblick auf Governance und Rechenschaftspflichten.

Soziale Bewegungen behindern

In autoritären Kontexten ist die Unterdrückung von sozialen Bewegungen eine Hauptstrategie geworden, noch dazu eine, die nicht ohne Militarismus umgesetzt werden kann. Die Polizei, das Militär und bewaffnete Gruppen werden überall eingesetzt, um Proteste zu ersticken und Aktivisten, die für soziale oder Umweltrechte eintreten, gewaltsam einzuschüchtern. Auf der gesamten Welt, von Deutschland bis zum Sudan und von Chile bis nach Libyen wird diese Form von gewaltsamer Einschüchterung immer häufiger eingesetzt und umfassend dokumentiert.

Militarismus vereinnahmt auch weltweit soziale Bewegungen, um jegliche Kritik an sich abzuwehren sowie andere repressive Systeme darin zu unterstützen, diese Bewegungen zu unterdrücken. Greenwashing – von veganen Soldat*innen bis zu biologisch abbaubaren Kugeln und vom Bäume Pflanzen auf Militärstützpunkten bis zu umweltfreundlichen Militärfahrzeugen – ist eine problematische Alltagspraxis von Armeen geworden. Militarisierte Polizeikräfte und Armeen feiern mehr Frauen, queere Menschen und ethnische Minderheiten in ihren Reihen, als wenn dies die Gewalt, die sie auf ebendiese Gruppen ausüben, kompensieren könnte. Damit nicht genug ist es im Westen beliebt geworden, Krieg als Mittel zur Befreiung „unterdrückter“ Frauen zu rechtfertigen, was eine eklatante Zurschaustellung des weißen Retter-Komplexes darstellt und so eine zutiefst anti-feministische Art von Feminismus erzeugt, den „Securo-Feminismus“.

Sicherheit neu definieren, Frieden stiften

Die MENA-Region wird eine von den durch den Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen sein, sie leidet stark unter dem sozio-ökonomischen Gefälle und in den meisten Länder dieser Region herrschen autoritäre Regime. Diese existentiellen Herausforderungen existieren nicht jede für sich allein, vielmehr greifen sie ineinander und sind an weltweite Entwicklungen gebunden, die wie oben gezeigt in vielerlei Hinsicht durch den Militarismus verschärft werden.

Dass Militarismus zu mehr „Sicherheit“ führt, kann nicht länger als eine annehmbare Entschuldigung dafür gelten, dass Kriege und Konflikte nicht nur Leid und unermesslichen Verlust für Menschen bedeuten, sondern auch dass sie maßgeblich zum drohenden Massenaussterben, wachsender Armut und stärkerer Unterdrückung beitragen. In den Worten der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF) sind die wahren „Sicherheitsprobleme“, in die wir investieren müssen, die Beseitigung von „Armut, Hunger, schlechter Gesundheit und weitere“.

Die Definition von Frieden als die Abwesenheit von Krieg reicht mit anderen Worten nicht aus. Feminismus bietet eine holistische Vision für einen nachhaltigen Frieden – der in Verantwortung, Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit gründet. Feministische internationale Beziehungen und feministische Außen- und Entwicklungspolitik bergen das Potenzial, bei der Verwirklichung dieser Vision hilfreich zu sein, aber nur, wenn sie mit der konkreten Absicht entworfen und eingeführt werden, Machtgefälle und strukturelle Gewalt nachhaltig zu beseitigen. So kann eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik nicht gleichzeitig mit Waffenproduktion und -verkauf existieren, die in Vernichtungskriegen genutzt werden, noch kann sie zugleich mit einer kolonialistischen Mentalität existieren, die Frauen aus dem globalen Süden als passive Opfer darstellt, die darauf warten, mit bewaffneten Mitteln gerettet zu werden.

Wenn wir einen deutlich intersektionalen feministischen Rahmen nutzen, ermöglicht uns dies zu schauen, wie wir die einander überlappenden strukturellen Treiber von Krieg und Konflikt (z. B. Patriarchat, Kapitalismus, Autoritarismus und Kolonialismus) beseitigen können und eine wirklich sichere und friedliche Welt für alle einführen können.

 

Farah Daibes ist Senior Programm Manager der Friedrich-Ebert-Stiftung im Political Feminism Programm in der MENA-Region.

 

Der Artikel erschien im Original in englischer Sprache auf feminism-mena.fes.de.

Übersetzung von Meiken Endruweit, Berlin.

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Katia Schnellecke
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