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Die Befreiung der Frau von politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Bevormundung ist seit ihrer Gründung 1863 wesentliches Ziel der Sozialdemokratie. Genauso engagieren sich Frauen seit dem 19. Jahrhundert in der Sozialdemokratie und anderen Teilen der Arbeiter:innenbewegung.
Die Ziele dieses weiblichen Gesichts der Sozialdemokratie sind in den 160 Jahren ihres Bestehens grundsätzlich gleich; zugleich verändern sich die konkreten Themen und Formen entlang des gesellschaftlichen Wandels. Der Einsatz für ein demokratisches Wahlrecht und die Sicherung der Demokratie, der Kampf um soziale Gerechtigkeit oder das Eintreten für Geschlechtergerechtigkeit haben viele Facetten.
In der Ausstellung präsentiert die Friedrich-Ebert-Stiftung für jedes der vergangenen 16 Jahrzehnte eine Frau, die als Person und mit ihrem Lebensthema für die Geschichte der Sozialdemokratie stand und steht. Keines dieser Themen hat dabei an Aktualität verloren.
PD Dr. Stefan Müller Leiter des Referats Public History
AbteilungArchiv der sozialen Demokratie
„Die rote Gräfin“
Sophie von Hatzfeldt und Ferdinand Lassalle lernen sich Ende der 1840er-Jahre kennen, als Lassalle sie erfolgreich in ihrem Scheidungsprozess vertritt. Seitdem halten sie engen Kontakt und von Hatzfeldt unterstützt Lassalle finanziell. Nach Lassalles Tod im Duell 1864 sieht sich von Hatzfeldt als Sachwalterin seines Vermächtnisses.
Sie mischt aktiv in einer Männerwelt aus Politik und Vereinsmeierei mit. Sie gibt nicht nur Geld, sondern unterstützt ihr genehme Nachfolger als Präsidenten des 1863 von Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV). Spaltungen der Organisation nimmt von Haztfeldt dabei bewusst in Kauf. Ihr Engagement wird von übelstem Antifeminismus begleitet. Karl Marx etwa bezeichnet sie als „Saumensch“. Als ihr Einfluss schwindet, zieht sie sich 1869 aus der Politik zurück.
„Buchhalterin ohne Gehalt"
Vom ersten Eindruck dürfen wir uns nicht täuschen lassen. „Eine liebevollere, hingebendere, allezeit opferbereitere Frau hätte ich nicht finden können“, beschreibt August Bebel seine Frau Julie. Leicht entsteht so das Bild der Politikergattin, die ihrem Mann den Rücken freihält. Doch Julie Bebel geht keineswegs in dieser Rolle auf.
Als ihr Mann August als politisch Verfolgter im Gefängnis sitzt, hält sie den Handwerksbetrieb am Laufen. Das jetzt von Julie Bebel geleitete Geschäft lasse „nichts zu wünschen übrig“, wie August schreibt. In einem Brief an Friedrich Engels wird sie von ihrem Mann als „Buchhalterin ohne Gehalt“ charakterisiert. Langfristig übernimmt Julie Bebel zahlreiche ehrenamtliche Aufgaben innerhalb der Partei. In die große politische Öffentlichkeit drängt es sie jedoch nie.
Aktivistin für die Internationale
Muss man bei so einem Vater – Karl Marx – nicht für die Arbeiter:innenbewegung aktiv werden? Man muss selbstverständlich nicht, aber Eleanor Marx tut es. Obwohl ihr vom Vater die Beziehung zu einem französischen Sozialisten verboten wird, arbeitet sie eng mit Karl Marx zusammen. Sie schreibt Artikel für Zeitungen und übersetzt Bücher. Immer wieder zieht es sie – wie den Vater – in die Bibliothek des Britischen Museums.
Nach dem Tod des Vaters ist sie gemeinsam mit Friedrich Engels Nachlassverwalterin seines Werks. Doch auch politisch engagiert sich Eleanor Marx. Bei der Gründung der von sozialistischen Parteien 1889 initiierten „Zweiten Internationale“ ist sie beteiligt. Als Vertreterin britischer Gewerkschaften hält sie auf deren Konferenzen Vorträge. Immer wieder von privaten Krisen erschüttert, nimmt sich Eleanor Marx 1898 das Leben.
Kampf für das Frauenwahlrecht
Die Volksschullehrerin Clara Zetkin knüpft 1874 Kontakte zur Arbeiter:innenbewegung. Wegen des Verbots der Sozialdemokratie geht sie 1882 mit ihrem Lebenspartner Ossip Zetkin ins Exil, wo sie an der Gründung der Sozialistischen Internationale mitwirkt. Für Clara Zetkin sind die Emanzipation der Frau und die Befreiung der Arbeiter:innenschaft aus den ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, die der Kapitalismus erzwingt, untrennbar verbunden.
Clara Zetkin wird eine führende Persönlichkeit der proletarischen Frauenbewegung. Auf der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen initiiert sie den Internationalen Frauentag. Dieser wird erstmals im folgenden Jahr begangen. Der Frauentag dient dem Kampf für das Frauenstimmrecht, das die SPD seit 1891 fordert.
Theorie, Aktion und Bildung
Als „Meisterin des Wortes“ mit „starkem theoretischen Sinn“ und „fabelhafter Unerschrockenheit“ wird Rosa Luxemburg in der Rückschau vom sozialdemokratischen Theoretiker Karl Kautsky beschrieben. Während ihrer aktiven Zeit in der Sozialdemokratie ist diese Bewunderung allerdings weniger ausgeprägt.
Sie kritisiert, dass die Sozialdemokratie mit Reformen und praktischer Alltagsarbeit ihren marxistischen Kern preisgebe. Sie setzt dagegen auf den politischen Streik und die Spontanität der Bewegung. Gewerkschafter legen ihr dies als „Mißkreditierung der Gewerkschaftsarbeit“ aus. Ihre „Freude am Gefecht“ bringt Luxemburg zahlreiche Feinde ein. Aber nicht nur als Theoretikerin tritt Rosa Luxemburg auf. Sie sorgt für Stimmenzuwächse in den polnischsprachigen Gebieten und unterrichtet an der Parteischule.
„Willst du arm und unfrei bleiben?“
So lautet die Überschrift des von Luise Zietz verfassten „Aufrufs an die Frauen des werktätigen Volkes“ von 1919. Armut und härteste Arbeit kennt sie von Kindesbeinen an. Mit 14 Jahren arbeitet sie als Dienstmädchen, dann in einer Tabakfabrik, bis sie eine Ausbildung als Kindergärtnerin absolvieren kann.
Zietz begeistert sich für August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ und beginnt sich politisch zu engagieren. Im Hafenarbeiterstreik 1896/97 organisiert sie eigene Veranstaltungen für die Frauen. In zahllosen Beiträgen in der Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ und in vielen Reden prangert sie mangelnden Arbeits- und Mutterschutz, Kinderarbeit und die Ausbeutung der Dienstmädchen an. Unermüdlich ruft sie die Frauen auf, sich gewerkschaftlich zu organisieren.
Für den Sozialstaat
Als Dienstmädchen, Fabrikarbeiterin und Näherin lernt Marie Juchacz die Not der Menschen kennen. Der Einsatz für die soziale Absicherung der arbeitenden Menschen wird ihre Lebensaufgabe. Für sie bedeutet gelebte Demokratie Respekt vor allen Menschen zu haben. Ein Leben ohne Abhängigkeit von Almosen ist Voraussetzung dafür. Arbeitslosenversicherung, Mutterschutz, Wohnungsbau – unermüdlich streitet Juchacz für den Sozialstaat: Ab 1917 als Frauensekretären der SPD und ab 1919 in der Weimarer Nationalversammlung, wo sie als erste Frau eine Rede hält.
1919 gründet sie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und entwickelt diese zu einer bedeutenden fürsorgerischen und sozialpädagogischen Organisation. Mit der AWO setzt sie sich für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 ein. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwingt Marie Juchacz zur Flucht. Erst 1949 kehrt sie aus den USA nach Deutschland zurück und wirkt am Wiederaufbau der AWO mit.
„Der Faschismus ist der schlimmste Feind der Menschheit“
Toni Sender kämpft ihr gesamtes Leben für Gerechtigkeit, Frieden und Antifaschismus. Als „Nicht-Arierin“ und Sozialdemokratin ist sie in besonderem Maße der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. Nach Morddrohungen muss sie 1933 fliehen. In Belgien arbeitet sie mit der Exilgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold zusammen. 1935 emigriert sie in die USA, wo sie sich journalistisch gegen die Nazis engagiert und auch für den Geheimdienst arbeitet.
In der deutschen Nachkriegsgesellschaft sieht Toni Sender keinen Platz mehr für sich, „zu viele Menschen haben zugeschaut, als die Niedertracht herrschte.“ Ihre Anliegen vertritt sie fortan auf internationalem Parkett in verschiedenen Positionen bei der UNO und wirkt dort an der Entstehung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“
1948 wird Elisabet Selbert in den Parlamentarischen Rat gewählt, der das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ausarbeitet. Als eine von nur vier Frauen unter den 65 Mitgliedern gehört sie zu den „Müttern des Grundgesetzes“. Selbert gelingt es, unterstützt durch andere Abgeordnete und Frauenrechtsorganisationen, Gleichberechtigung als Verfassungsgrundsatz zu verankern.
Aus der ursprünglichen Formulierung „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ wird der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Artikel 3 GG). Damit wird Gleichberechtigung zur Pflicht der Gesetzgebung. In der Folge widersprechen viele familienrechtliche Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch dem Grundgesetz. Es dauert noch Jahrzehnte hartnäckiger Auseinandersetzungen, Benachteiligungen zu überwinden. Selbert begleitet diesen Prozess bis zu ihrem Tod.
Entnazifizierung und Wiedergutmachung
Als Jüdin und Sozialdemokratin gehört Jeanette Wolff zu den „doppelt Verfolgten“ im Nationalsozialismus. Nach mehrjähriger Haft- und KZ-Erfahrung überleben sie und ihre Tochter Edith als einzige ihrer Familie den Holocaust. Schon in der Weimarer Zeit kämpft Wolff für soziale Wohlfahrt und Arbeitsschutz. Zugleich ist sie in der jüdischen Gemeinde aktiv.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus engagiert sich Jeannette Wolff unverminderte weiter. Sie wird Stadtverordnete in Berlin, stellt sich gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD und wirkt beim Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Westdeutschland mit. Jeanette Wolff plädiert für ein scharfes Entnazifizierungsgesetz und setzt sich vehement für Wiedergutmachungsleistungen für NS-Opfer ein. Unermüdlich mahnt sie, nicht zu vergessen.
Sexuelle Aufklärung ist Gesundheitsversorgung
Lange bevor wir von Care-Arbeit sprechen, sensibilisiert Käte Strobel für Sorgearbeit. Als Ministerin für Gesundheit, Jugend und Familie zeigt sie, dass der gesellschaftliche Aufbruch von „1968“ nicht nur auf der Straße, sondern auch in der Regierung stattfindet.
Käte Strobel setzt auf den Ausbau der Gesundheitsvorsorge bei Schwangerschaft, Geburt und im Alter. Sie tritt auch für sexuelle Aufklärung ein. So beauftragt sie den Film „Helga“, der unerwartet zum Millionenerfolg wird. Die Darstellung einer Geburt ist ungewohnt, Menschen fallen in Ohnmacht und die Kinovorstellungen müssen vom Deutschen Roten Kreuz begleitet werden. Es folgt die Herausgabe des „Sexualkunde-Atlas“, womit Sexualkunde, trotz anhaltender Empörung, auch in den Lehrplan westdeutscher Schulen Einzug hält.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Nach der „Willy-Wahl“ 1972 wird Annemarie Renger als erste Frau zur Bundestagspräsidentin gewählt. Sie hofft, mit ihrem Amt gesellschaftliche Vorurteile gegenüber Frauen abbauen zu können – mit Erfolg: Annemarie Renger gilt als beliebteste deutsche Politikerin und trotzt damit sexistischer Kritik im politischen Umfeld und in der medialen Berichterstattung.
Ihre Popularität nutzt sie, um mit der Aktion „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ die Rechte berufstätiger Frauen zu stärken. 1975 ruft sie Frauen auf, gerichtlich gegen die Diskriminierung am Arbeitsplatz vorzugehen. Sie erhält tausende Zuschriften, doch den Gang durch die Justiz will niemand mit ihr antreten. Stattdessen publiziert Annemarie Renger 1977 eine Auswahl an Fällen in ihrem Band „Gleiche Chancen für Frauen?“.
Für ein geeintes Europa
Die Europapolitik ist Katharina Focke über ihren Vater, den Publizisten und Europapolitiker Ernst Friedlaender bereits in die Wiege gelegt. Sie selbst zieht aus dem Nationalsozialismus die Lehre, dass die Antwort auf Nationalismus und Krieg in der europäischen Einigung liegt. Die promovierte Politikwissenschaftlerin wird für ihre analytischen Fähigkeiten und ihr Selbstbewusstsein geschätzt.
Katharina Focke berät als Parlamentarische Staatssekretärin Willy Brandt in der Europapolitik, leitet das Familienministerium, wird Abgeordnete in Europa und 1984 schließlich europäische Spitzenkandidatin der SPD. Im Wahlkampf wirbt sie mit dem „Katharina-Zirkus“ für die europäische Idee. Damit will sie dem entstehenden Bürokratie-Image Europas spielerisch entgegenwirken. Unbeirrt treibt Focke die Entwicklungszusammenarbeit Europas mit Staaten des globalen Südens und die europäische Integration voran.
Die soziale Stimme des Ostens
Regine Hildebrandt beginnt ihre politische Karriere mit dem Umbruch in der DDR. Zuvor hielt sich die überzeugte Christin aus Opposition zum SED-Regime von politischen Aktivitäten fern. In der Wendezeit engagiert sie sich in der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ und schließt sich im Oktober 1989 der neu gegründeten Sozialdemokratischen Partei der DDR an.
Bekannt ist Regine Hildebrandt für ihr leidenschaftliches und pragmatisches Engagement gegen soziale Ungerechtigkeit. Ihre Zeit als Brandenburger Arbeitsministerin ist geprägt von Massenarbeitslosigkeit und Betriebsschließungen. Sie will den Menschen im Osten Zuversicht geben und lieber Arbeit als Arbeitslosigkeit finanzieren. Regine Hildebrandt setzt auf Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Ihr Ziel: ein Alltag ohne soziale Demütigungen – für alle.
Wohnen muss bezahlbar sein
Anke Fuchs tritt als Tochter des ehemaligen Hamburger Ersten Bürgermeisters Paul Nevermann in die Fußstapfen ihres Vaters: Sie studiert Jura, wird IG-Metallerin und macht Karriere in der SPD. Arbeitsmarktpolitik, Gleichstellungsfragen und Sozialpolitik prägen ihre Arbeit. 1995 wird sie Präsidentin des Deutschen Mieterbundes und setzt sich für eine mieterorientierte Wohnungspolitik ein.
In Zeiten von entfesselten Märkten und explodierenden Mieten reklamiert Anke Fuchs staatliche Regulierung: Sie fordert einen Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und eine Begrenzung von Mieterhöhungen. Einen Ausverkauf kommunaler Wohnungen an private Investoren lehnt sie strikt ab, auch als dies von vielen als Allheilmittel angesehen wird. Sie will preiswerten Wohnraum erhalten: Wohnen soll auch für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen bezahlbar sein.
Gegen Lohndumping, für gute Arbeit
2015 setzt Andrea Nahles als Bundesministerin für Arbeit und Soziales eine tiefgreifende Reform durch: Der Mindestlohn wird eingeführt. Zunächst liegt er bei 8,50 Euro pro Stunde, mittlerweile bei 12 Euro. Allein sorgt der Mindestlohn nicht für gute Arbeitsbedingungen, schafft aber allgemeingültige Mindeststandards. Durch die Reform steigen die Löhne im Niedriglohnsektor, Lohndumping wird vorgebeugt und es gibt weniger Mini-Jobs. Die negativen Prophezeiungen von Beschäftigungsverlusten und „Kneipensterben“ treten nicht ein.
Der Mindestlohn ist auch ein Kontrapunkt zur Agenda-Politik der Ära Schröder, durch die prekäre Jobs zugenommen hatten. Nahles galt als eine der wichtigsten parteiinternen Kritikerinnen dieses Kurses. Als Parteivorsitzende kündigt Nahles 2018 den Abschied von der „Agenda 2010“ an.