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Auch wenn die langfristigen Folgen des Ukraine-Kriegs von dessen weiteren Verlauf und den (internationalen) Reaktionen darauf abhängen, zeichnen sich schon jetzt weitreichende wirtschaftliche und soziale Folgen auch für Deutschland ab.
Beitrag von Iva Figenwald und Julia Bläsius
Auch wenn die langfristigen Folgen des Ukraine-Kriegs von dessen weiteren Verlauf und den (internationalen) Reaktionen darauf abhängen, zeichnen sich schon jetzt weitreichende wirtschaftliche und soziale Folgen auch für Deutschland ab. Neben den steigenden Preisen vor allem im Energie-, aber auch im Lebensmittelbereich, wird der große Zustrom an Flüchtlingen aus der Ukraine einen Einfluss auf die soziale Situation in Deutschland haben. Diese Folgen sind frühzeitig in den Blick zu nehmen, um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und die zurzeit vorherrschende Solidarität gegenüber den geflüchteten Menschen aus der Ukraine nicht zu gefährden. Grundsätzlich ist die derzeitige Gesamtsituation sehr dynamisch und volatil, sodass die Aussagen in diesem Beitrag mit großer Unsicherheit behaftet sind.
Auswirkungen durch erhöhte Energiekosten
Bereits vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine war die Preissituation auf den Energiemärkten angespannt. Seitdem hat sie sich noch einmal deutlich zugespitzt. So lag beispielsweise der Preis für Diesel vor dem russischen Überfall bei 1,66 Euro, und Erdgas zur Lieferung im April kostete Anfang März etwa acht Mal so viel, wie vor einem Jahr langfristig erwartet wurde. Diese erhöhten Energiekosten treiben nicht nur die Kosten der privaten Haushalte für Strom, Heizung und Mobilität in die Höhe, sondern bedeuten auch höhere Belastungen für die energieintensive Industrie, was sich wiederum auf die Preise ihrer Produkte auswirkt. Auch die Lebensmittelpreise waren bereits vor Ausbruch des Krieges auf einem hohen Niveau. Laut Statistischem Bundesamt lagen die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke im Februar bereits 5,1 Prozentüber den Preisen des Vorjahres. Da die Importabhängigkeit Deutschlands auch in diesem Bereich hoch ist und die Ukraine und Russland wichtige Agrarlieferanten sind, werden weitere Preissteigerungen erwartet. So decken die Ukraine und Russland etwa 30 Prozent des Weltmarktanteils für Weizen, 20 Prozent des Mais- und über 80 Prozent des Sonnenblumenölanteils ab. Während viele der Exporte vor allem auch in Länder außerhalb der EU gehen, sind Mais und Soja aus der Ukraine als Futtermittel für die Tierzucht auch in Deutschland wichtig, sodass die Preiserhöhungen auf Fleisch- und Milchprodukte durchschlagen können. Einige Discounter, darunter Aldi Süd, haben bereits Preiserhöhungen vorgenommen.
Die Verteuerung von Energie (insbesondere für Strom, Mobilität und zum Heizen) und von Konsumgütern (z.B. auch Nahrungsmittel) wird aufseiten der privaten Haushalte zu einer Verringerung der Kaufkraft und sozialen Problemlagen führen. Besonders betroffen dürften vor allem Bezieher_innen niedriger und mittlerer Einkommen sein, die eine hohe Konsumquote aufweisen. Dies impliziert insgesamt einen negativen Nachfrageschock. Einkommensschwächere Haushalte sind sozial am stärksten belastet, da bei diesen u.a. der Anteil der Wohn-, Energie- und Nahrungsmittelkosten am verfügbaren Einkommen am höchsten ist.
Auswirkungen durch die Flucht- und Migrationsbewegung
Neben der Preiserhöhung in unterschiedlichen elementaren Bereichen wird die weiter steigende Anzahl an Geflüchteten aus der Ukraine Einfluss auf die soziale Situation in Deutschland haben. Während die meisten Geflüchteten zunächst die unmittelbaren Nachbarstaaten (Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Moldau) ansteuern, sind mittlerweile auch ca. 272.000 Menschen (Stand: 28.3.2022) in Deutschland angekommen. Im Unterschied zu der Fluchtwelle von 2015 handelt es sich fast ausschließlich um weibliche Geflüchtete und Kinder sowie ältere Menschen, da Männer zwischen 18 und 60 Jahren infolge des verhängten Kriegsrechts derzeit in der Regel die Ukraine nicht verlassen dürfen. Aufgrund vieler unbekannter Faktoren ist die zukünftige Fluchtdynamik nicht präzise kalkulierbar. Der anhaltende Krieg sowie die Tatsache, dass die Grenzen offen und Ukrainer_innen von der Visumspflicht befreit sind, legt ein Anhalten der Fluchtbewegung nahe. Obwohl viele Ukrainer_innen angeben, möglichst schnell wieder in ihr Land zurückkehren zu wollen, ist davon auszugehen, dass sie zumindest kurzfristig nicht in ihre Heimat zurückgehen können. Entsprechend bekommen sie derzeit einen Schutzstatus von einem Jahr, der problemlos auf zwei Jahre verlängert werden kann.[1] Vor diesem Hintergrund muss bereits jetzt über eine möglichst gute Integration und soziale Versorgung nachgedacht werden. Dazu gehört die Integration in den Arbeitsmarkt, genauso wie in Schulen, Kindergärten und in ein soziales Umfeld (Wohnung, Sportvereine etc.). Auch medizinische Versorgungsstrukturen sind elementar für die Geflüchteten.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Ukrainer_innen relativ gute Voraussetzungen für die Integration in den Arbeitsmarkt haben, vor allem mit Blick auf ihre Qualifikation. In Bezug auf Sprachkenntnisse scheinen ihre Voraussetzungen zunächst weniger gut. Deutsche Sprachkenntnisse sind in der Ukraine nicht sehr verbreitet, und da die Fluchtbewegung plötzlich durch den in diesem Ausmaß unerwarteten Angriffskrieg durch Russland ausgelöst wurde, konnte man sich beispielsweise nicht durch den Erwerb von Sprachkenntnissen vorbereiten. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass vor dem Krieg Ukrainer_innen in Deutschland sehr gut in den Arbeitsmarkt integriert waren und Sprachbarrieren relativ schnell behoben werden konnten.
Die Lage auf dem aktuell bereits angespannten Wohnungsmarkt wird sich durch die wachsende Zahl von Geflüchteten aus der Ukraine weiter verschärfen, vor allem in (Groß-)Städten. Eine Studie des IZA geht von bis zu 500.000 benötigten Wohnungen aus, die Hälfte davon Neubauten. Selbst wenn diese Zahlen nicht verlässlich sind, sind Konkurrenz und Verdrängung, u.a. bei gefördertem Wohnraum, absehbar und können soziale Verwerfungen befördern, denn bezahlbarer Wohnraum ist gerade in den Metropolen knapp. Daher muss bei der Verteilung von Geflüchteten auf Regionen und Städte in Deutschland die Arbeitsmarkt- sowie die Wohnungssituation einbezogen werden. Dabei sollte allerdings (mit)entscheidend sein, ob in Kommunen mit Leerstand im Wohnungsbereich wiederum die notwendige soziale Infrastruktur, beispielsweise im Bildungsbereich oder der medizinischen Versorgung(zumindest ansatzweise oder ausbaufähig) vorhanden ist.
Um die Integration sowie Partizipation der geflüchteten Kinder sowie die Arbeitsmarktintegration der Mütter zu ermöglichen, wird ein Ausbau- der Kita- und Schulplätze sowie Ganztagsbetreuung notwendig sein. Schon aktuell sind die Strukturen hier am Limit, Fachkräfte sind schwer zu finden. Die Verteilung u.a. auf Brennpunktinstitutionen oder -viertel kann wiederum weitere soziale Schwierigkeiten mit sich bringen. Da der strukturierte Ausbau von Kita- und Betreuungsplätzen erfahrungsgemäß Jahre in Anspruch nehmen kann, müssen hier kreative Lösungen gefunden werden. Einzelne Kommunen und Länder gehen schon jetzt mit gutem Beispiel voran und versuchen, ukrainische Kinder aufzunehmen und die angespannte Betreuungssituation durch ukrainische geflüchtete Frauen, die entsprechende Vorerfahrung mitbringen, zu entlasten. Auch wenn hier ein schnelles pragmatisches Vorgehen zu begrüßen ist, muss darauf geachtet werden, dass Abschlüsse der ukrainischen Arbeitnehmer_innen anerkannt werden und in deren weitere Qualifikation (sowohl Sprach- als auch Fachkenntnisse) investiert wird. Nur so kann mittelfristig eine gute Betreuung einerseits und eine angemessene berufliche Integration und Bezahlung andererseits gewährleistet werden.
Neben Frauen und Kindern kommen auch viele ältere Menschen nach Deutschland, sodass von einem hohen Bedarf an Gesundheits- und Pflegeleistungen auszugehen ist, u.a. bei der (medikamentösen) Behandlung chronischer Erkrankungen. Darüber hinaus sind und werden psychosoziale und therapeutische Leistungen dringend erforderlich, um die oft durch Krieg und Flucht traumatisierten Menschen zu betreuen und zu unterstützen. Dementsprechend sollte angestrebt werden, dass die Versorgung für die Geflüchteten (auch laut BMG) möglichst nah an dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung liegt. Rein rechtlich steht den Geflohenen aktuell aber lediglich eine Basisversorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu, der Zugang ist zudem mit bürokratischen Hürden verbunden. Zurzeit werden Versorgungslücken bei der Ankunft häufig durch ehrenamtlichen Einsatz von Praxen und Verbänden überbrückt. Zur einfacheren administrativen Abwicklung generell wird die flächendeckende Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete diskutiert.[2] Mit der angestrebten Übernahme in die Regelversorgung muss mittelfristig darauf geachtet werden, wie insgesamt eine gute medizinische Versorgung vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage im Gesundheitsbereich gewährleitet, das heißt, auch finanziert werden kann. Bereits der aktuelle (reguläre) Haushaltsentwurf der Bundesregierung kann die Finanzierungslücke der Gesetzlichen Krankenversicherung voraussichtlich nicht schließen, eine Steigerung der Ausgaben ist absehbar und sollte auf keinen Fall mit Leistungskürzungen in der Gesundheitsversorgung einhergehen.
Um die Herausforderungen der Beratung, Versorgung und Unterstützung der Geflüchteten zu gewährleisten, muss auch die sogenannte soziale Infrastruktur (Wohlfahrtsverbände) finanzielle, staatliche Unterstützung erhalten. Auch weitere personelle Ressourcen werden vonnöten sein. Die Beratung und Begleitung Geflüchteter wird entscheidend sowohl für deren schnelle Erstversorgung bei Ankunft als auch für die mittelfristige Integration sein. Hier müssen staatliche Stellen mit Wohlfahrtsverbänden und Freiwilligeninitiativen eng zusammenarbeiten. Es bleibt zu hoffen, dass hier auf die Erfahrungen aus dem Jahr 2015, als Deutschland das letzte Mal mit einer großen Fluchtwelle konfrontiert war, genutzt werden.
Insgesamt steht die deutsche Bundesregierung bei den sozialen Folgen vor einer doppelten Herausforderung. Sie muss erstens die Auswirkungen der hohen Preise, insbesondere im Energiebereich, abfedern und dafür sorgen, dass sie insbesondere bei einkommensschwachen Haushalten nicht zu sozialen Härten führen. Maßnahmen zum sozialen Ausgleich sollten vor allem auf den Strom- und Wärmesektor zielen, wobei besonders sogenannte SGB-II-Haushalte zu berücksichtigen sind, denen sonst massive Energiearmut droht, beispielsweise durch die zu niedrig angesetzten Anteile für Haushaltsstrom. Die bisher auf den Weg gebrachten Entlastungen der Bundesregierung sind zwar zu begrüßen, reichen aber nicht aus. In die richtige Richtung weist u.a. die Entscheidung zur Verdoppelung der Einmalzahlung für erwachsene Leistungsberechtigte auf 200 Euro oder auch die zeitweisen Vergünstigungen im ÖPNV. Es ist aber absehbar, dass weitere sozialpolitische Maßnahmen folgen müssen, die u.a. insbesondere auf diejenigen Haushalte, die gerade oberhalb des SGB-II-Bezugs angesiedelt sind, abzielen. Diese, u.a. Rentner_innen, werden allein beim Heizen mit horrenden Mehrkosten konfrontiert sein und müssen verstärkt – über den beschlossenen Heizkostenzuschuss hinaus – berücksichtigt werden. Bei allen kommenden Diskussionen zu Maßnahmen ist sicherzustellen, dass sie erstens wirklich Hauhalten zugutekommen, die Unterstützung benötigen, und dass sie außerdem nicht den gesetzten Klimazielen widersprechen.
Zweitens muss die Bundesregierung auf eine zügige Integration der häufig gut ausgebildeten Menschen aus der Ukraine setzen. Eine schnelle gelungene Integration könnte dann auch positive Effekte erzielen. Sie könnte in einigen Bereichen zu einer Entspannung des Fachkräftemangels führen und zu einer Stärkung der sozialen Sicherungssysteme beitragen. Dafür müssen die Voraussetzungen wie die Vermittlung von Sprachkenntnissen, die Betreuung und Beschulung der Kinder, die Anerkennung von Abschlüssen, das Schaffen von Rechts- und Planungssicherheit sowie eine effektive Arbeitsvermittlung gewährleistet bzw. geschaffen werden. Bei all diesen Herausforderungen müssen Bund, Länder, Kommunen und die (organsierte) Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Nur so gehen wir aus der aktuellen Krise als Gesellschaft gestärkt hervor.
Ansprechpartnerinnen in der FES: Iva Figenwald und Julia Bläsius
Iva Figenwald ist Referentin für Soziales, Alterssicherung und Gesundheit in der Abteilung Analyse, Planung und Beratung.
Julia Bläsius leitet das Referat Beratung der Abteilung Analyse, Planung und Beratung.
[1] Am 3.3.2022 wurde auf europäischer Ebene die Massenzustrom-Richtlinie aktiviert, nach der Geflüchtete aus der Ukraine kein normales Asylverfahren durchlaufen müssen. Sie bekommen automatisch den Status „vorübergehender Schutz“, der für ein Jahr gilt und problemlos auf bis zu zwei Jahre verlängert werden kann.
[2] Aktuell erhalten Geflüchtete in neun Bundesländern eine elektronische Gesundheitskarte, wobei nicht in allen Ländern die Einführung durch die Kommunen gesetzlich vorgeschrieben ist.
https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/spritpreis-mit-angst-komponente
https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/nachrichten/konkurrenz-zieht-mit-aldi-erhoeht-noch-mehr-preise-164415?crefresh=1
https://www.imk-boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008275,
https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/ukrainische-fluechtlinge.html,
https://doku.iab.de/forschungsbericht/2022/fb0222.pdf
https://zia-deutschland.de/pressrelease/krieg-in-der-ukraine-immobilienwirtschaft-rechnet-mit-bis-zu-129-mio-fluechtenden-und-500-000-zusaetzlichen-wohnungen/?msclkid=0dee4c1bac2311ecb72f2c73ed85cc47
https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008039
https://www.mcc-berlin.net/fileadmin/data/C18_MCC_Publications/2022_MCC_Auswirkungen_der_Energiepreiskrise_auf_Haushalte.pdf
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In unserem Auftrag hat das Meinungsforschungsinstitut Civey vom 3. bis 6. Juni 2022 online 2.500 Bürger:innen befragt.
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