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Soziale Sicherheit ist ein Menschenrecht, doch viele Menschen haben keinen Zugang dazu. Trotz internationaler Verpflichtungen besteht akuter Handlungsbedarf. Ein Artikel der Blogreihe "75 Jahre Menschenrechte".
Auf den ersten Blick erscheint es nur logisch und vernünftig: Soziale Sicherheit ist ein Menschenrecht! Dass das nicht alle so sehen, zeigt sich im Denken und Handeln vieler Regierungen und Unternehmen sowie auch vieler Betroffener. Dabei ist das Recht auf soziale Sicherheit für alle Menschen im internationalen Recht fest verankert: Jeder Mensch hat das Recht darauf Zugang zu Leistungen zu haben, die vor Einkommensverlusten aufgrund von Krankheit, Invalidität, Alter, Mutterschaft und vielem mehr schützen. Es geht auch darum, die Gesundheitsversorgung erschwinglich zu machen und die Unterstützung der Familie für Kinder und Angehörige sicherzustellen. Belege dafür finden sich in Dokumenten wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR, Artikel 22 und 25), dem IAO-Übereinkommen über soziale Sicherheit (Mindestnormen) (1952: Nr. 102), dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt, Art. 9), dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Art. 26) oder dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Art. 28).
Im Jahr 2012 hat die Internationale Arbeitskonferenz die Empfehlung Betreffend den innerstaatlichen sozialen Basisschutz (R.202) angenommen. Die Regierungen und Sozialpartner verpflichteten sich, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch über ein gesichertes Grundeinkommen verfügt und während seines gesamten Lebens Zugang zur Gesundheitsversorgung hat. Diese Verpflichtung – "alle Bedürftigen [sollen] während ihres gesamten Lebens Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung und zu grundlegender Einkommenssicherung haben, die zusammen einen effektiven Zugang zu auf innerstaatlicher Ebene als erforderlich festgelegten Gütern und Dienstleistungen sicherstellen" – ist Teil der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, insbesondere in Zielen wie der Beendigung der Armut (Ziel 1.3) und der Erreichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung (Ziel 3.8).
Doch selbst heute, in einer Zeit, in der die Welt mit zahlreichen Krisen konfrontiert ist – globalen Gesundheitsbedrohungen, Sozial- und Wirtschaftskrisen, sowie Umweltzerstörung und Klima – lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung unter Bedingungen völliger sozialer Unsicherheit. Bereits vor der COVID-19-Pandemie lebten fast zehn Prozent der Weltbevölkerung in extremer Armut. Leider haben sich diese Zahlen aufgrund der weltweiten Pandemie noch einmal verschlechtert und tun es weiterhin. Zusammen mit anderen Indikatoren für nachhaltige Entwicklung zeigt dies eine ernüchternde Realität: Trotz tatsächlicher Fortschritte in den letzten Jahrzehnten bleibt die Welt für mindestens die Hälfte der Bevölkerung ein ziemlich elender Ort.
Seit Jahrhunderten ist bekannt, was getan werden kann, um die Situation dieser Menschen zu verbessern. Gut funktionierende, vernünftig konzipierte und finanzierte Sozialschutzsysteme sind machtvolle und schnell wirkende Instrumente gegen die sozialen Folgen von vier der größten Plagen menschlicher Gesellschaften, nämlich Armut, Ungleichheit, Unsicherheit und vermeidbare Krankheiten.
Trotz der Intensivierung der technischen Zusammenarbeit im Bereich des Sozialschutzes in den letzten Jahrzehnten ist die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit nach wie vor sehr groß. Dies gilt insbesondere für ein Dutzend afrikanischer Länder, die nicht in der Lage sind, ausreichende eigene Mittel aufzubringen, um angemessene Sozialschutzsysteme für ihre Bürger_innen einzurichten und aufrechtzuerhalten. Selbst dann aber sind die Staaten verpflichtet, alle Anstrengungen zu unternehmen, um ein grundlegendes Mindestniveau an Sozialschutz zu gewährleisten und die am stärksten benachteiligten und ausgegrenzten Mitglieder oder Gruppen der Gesellschaft zu schützen.
Was können wir also tun? Es ist unwahrscheinlich, dass das Problem von selbst verschwindet. Noch unwahrscheinlicher ist die Vorstellung, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Welt in absehbarer Zeit in den Genuss vollwertiger, hochwertiger Sozialschutzstandards kommen werden. Die Weltgemeinschaft verfügt jedoch über Mittel und Wege, um das Leben der Menschen in den ärmsten Teilen der Welt deutlich zu verbessern. Die meisten Länder, in denen eine Sozialschutzlücke besteht, sind in der Lage, den steuerlichen Spielraum zu schaffen, um national angepasste Systeme mit geeigneten politischen Maßnahmen aufzubauen und zu finanzieren, und damit ihren Verpflichtungen zur Verwirklichung der Menschenrechte nachzukommen. Die Instrumente sind verfügbar, das technische Fachwissen ist vorhanden. Was oft fehlt, ist der entscheidende politische Wille der Regierungen oder der politische Druck ihrer Wählerschaft. Nur in vergleichsweise wenigen Fällen wird es notwendig sein, neue internationale Finanzierungsinstrumente zu belangen, um ein Sozialschutzsystem aufzubauen, das auf die Situation des Landes zugeschnitten ist und mit den eigenen Ressourcen des Landes langfristig aufrechterhalten werden kann. Ein globaler Fonds für Soziale Grundsicherung wäre ein solches Instrument. Er erfordert internationale Solidarität, die richtige Prioritätensetzung, die Mobilisierung angemessener Ressourcen und vor allem die Vermeidung von langwieriger Unentschlossenheit und Zaudern. Denn auf diese Weise werden die grundlegenden Menschenrechte der Hälfte der Weltbevölkerung in großem Stil missachtet.
Lassen Sie uns gemeinsam eine sichere, gesunde und gerechte Welt für alle schaffen! #SozialerSchutz #NachhaltigeEntwicklung #GlobaleZiele #Menschenrechte #Würde
Der 10. Dezember wird jährlich als Internationaler Tag der Menschenrechte begangen. Im Jahr 2023 konzentriert sich die UN-Initiative "Human Rights 75" im Vorfeld des Jahrestages jeden Monat auf ein anderes Thema. Im September liegt der Schwerpunkt auf Sozialschutz, nachhaltiger Entwicklung und dem Recht auf Entwicklung. Diese monatlichen Themenschwerpunkte sollen über verschiedene Fragen im Zusammenhang mit den Menschenrechten informieren, Diskussionen bereichern und konkrete Wege zur Umsetzung verschiedener Aspekte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufzeigen. Es wird erwartet, dass das High Level Event der Vereinten Nationen am 11. und 12. Dezember durch konkrete Versprechungen von Staaten und Organisationen der Zivilgesellschaft zu Veränderungen und Fortschritten führen und in den Zukunftsgipfel 2024 einfließen wird.
Weitere Informationen zu den Feierlichkeiten zum Jahrestag der AEMR:
Welche Verpflichtungen haben Staaten, wenn der Klimawandel auch Menschenrechte bedroht? Ein Artikel der Blogreihe „75 Jahre Menschenrechte“.
Wie kann das VN-Menschenrechtssystem vor Menschenrechtsverletzungen schützen? Ein Artikel der Blogreihe „75 Jahre Menschenrechte“.
Im Vorfeld des Jubiläums plant die FES Genf bis zum Jahrestag am 10. Dezember mehrere Artikel zu den Themenschwerpunkten der UN Human Rights 75…
Dr. Johannes Crückeberg
030 26935-8332Johannes.Crueckeberg(at)fes.de
Marcus Hammes
0228 883-7149Marcus.Hammes(at)fes.de