Ausbeutungsgefährdet – Ausländische Arbeitskräfte in Ungarn

In der jüngeren Vergangenheit hat in Ungarn das Thema ausländische Arbeitskräfte größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen und wurde stark politisiert, gerade im Hinblick auf den Produktionssektor. 2024 überstieg der Ausländer*innenanteil in Ungarn erstmals 250.000 Personen, von denen 40 Prozent zu Beschäftigungszwecken ins Land gekommen waren. Durch seinen Anschluss an europäische Schlüsselmärkte, die europäische Arbeitsmarktpolitik und ausländische Investitionen – gerade in den Bereichen Elektronik, Autoindustrie und Batterieproduktion – ist Ungarn zu einem Knotenpunkt industrieller Fertigung geworden. In der Regel gehen migrantische Arbeiternehmer*innen hier gering qualifizierten Tätigkeiten nach, die von einheimischen Arbeitskräften aufgrund niedriger Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen gemieden werden. Nichtsdestotrotz sind ungarische Arbeitnehmer*innen, die mit Alltagsschwierigkeiten im Hinblick auf materiellen Wohlstand, Lebensunterhalt und prekären Arbeitsbedingungen zu kämpfen haben, um ihre Stellungen und Gehälter besorgt.
Eine aktuelle FES-Studie (Englisch) beleuchtet die Hintergründe der Arbeitsmigration in Ungarn und deren gesetzliche Rahmenbedingungen, liefert aktuelle und detaillierte Daten und umreißt die wichtigsten Herausforderungen, denen migrantische Arbeitskräfte im Land begegnen. Zusätzlich werden die Chancen und Schwierigkeiten untersucht, die sich in der Interessenvertretung ausländischer Arbeitskräfte auftun und wie sich das auch auf einheimische Arbeitnehmer*innen auswirkt. Ebenso wird beleuchtet, wie sich die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte auf die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer*innen und -geber*innen in Ungarn generell auswirkt.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
- Im Laufe der letzten Jahre stieg in Ungarn der Einsatz von Leiharbeiter*innen und ausländischen Arbeitskräften durch einen industriellen Aufschwung erheblich an.
- Ungarns Einreisebestimmungen ändern sich ständig, jüngst geprägt durch härtere Maßnahmen bei arbeitsbedingter Zuwanderung.
- Zwischen 2019 und 2024 stieg auf dem ungarischen Arbeitsmarkt der Anteil migrantischer Arbeitnehmer*innen aus Nicht-EU-Staaten um 92 Prozent, während zugleich der Anteil jener mit EU-Pass schrittweise zurückging. 2024 waren in Ungarn über 78.000 Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten beschäftigt, 60 Prozent davon in gering qualifizierten und einfachen Tätigkeiten. Die meisten Anstellungen finden Nicht-EU-Arbeitskräfte im verarbeitenden Gewerbe, wobei Menschen aus der Ukraine und von den Philippinen den größten Anteil in diesem Sektor stellen.
- Ausländische Arbeitskräfte stehen zahlreichen Herausforderungen gegenüber, etwa Verschuldung, strikten Vorschriften und mangelndem Arbeitsschutz. Ausländische Leiharbeiter*innen sind angesichts asymmetrischer Machtdynamiken und unsicherer Arbeitsplätze besonders benachteiligt.
- Sprachliche Hürden, ein Mangel an umfassenden Informationen und an Wissen im Umgang mit örtlichen Institutionen und Rechten sowie die Angst vor Strafen schaffen ein Klima, das Ausbeutung begünstigt.
- Derweil verschärft die materielle Not ungarischer Arbeitnehmer*innen deren Misstrauen gegenüber ausländischen Arbeitskräften.
- Gewerkschaftlichen Vertreter*innen zufolge schwächen der Einsatz von Leiharbeiter*innen und die Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte sowohl den langfristigen Lohnzuwachs als auch die gewerkschaftliche Verhandlungsstärke. Die Gewerkschaften argumentieren jedoch auch, dass ungarische Arbeitnehmer*innen gleichermaßen benachteiligt würden, falls man die gewerkschaftliche Organisierung ausländischer Arbeitskräfte aufgäbe, da schließlich einheimische wie ausländische Arbeitskräfte dieselben Arbeitnehmer*inneninteressen teilten.
Gegenüber Wettbewerber*innen in anderen zentral- und osteuropäischen Ländern stehen ungarische Arbeitgeber*innen im Hinblick auf Löhne und Arbeitsbedingungen im Rückstand. 2024 ließ sich in Ungarn in der verarbeitenden Industrie eine Abschwächung beobachten, was eine wirtschaftliche Flaute bewirkt hat und somit wahrscheinlich auch einen Rückgang in der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte mit sich bringen wird. Daneben wird ungarischen Arbeitgeber*innen durch strengere Einreisebestimmungen von Seiten der Regierung signalisiert, dass die Anstellung einheimischer Arbeitskräfte priorisiert werden soll.
Zum Autor
Krisztofer Bodorist Wissenschaftler am Budapester Politikforschungsinstitut Periféria. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen internationale Migration, einschließlich Arbeitsmigration sowie Arbeits- und Wirtschaftssoziologie.
Krisztofer , Bodor
Foreign workers in Hungary
Budapest, 2024
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