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Bankenkrise, mangelndes Vertrauen in die Politik, Verfassungsreform: Die Liste der Probleme Italiens ist lang. Die 2009 gegründete Fünf-Sterne-Bewegung kann als einzige politische Kraft davon profitieren. Woran liegt das?
Bild: Bild: Fiat 500 Urheber: Moyan Brenn Lizenz: CC BY 2.0
Diese Entscheidung ist so symbolisch, dass es keiner großen Metaphern bedarf: Ende Juli verkündet der einst größte europäische Autobauer Fiat, seinen Firmensitz von Italien in die Niederlande zu verlegen. Ausgerechnet Fiat: Industrie-Ikone, Symbol italienischen Lebensgefühls, Arbeitgeber für Tausende Italiener_innen. Es ist mehr als nur ein Sinnbild für den wirtschaftlichen Niedergang des Landes.
In den letzten Jahren verlor das Land fast 10 Prozent des BIP sowie 25 Prozent der Industrieproduktion. Auch die Einkommen gingen um etwa 10 Prozent zurück. Drei Millionen Menschen sind arbeitslos und die Jugendarbeitslosigkeit liegt immer noch bei über 40 Prozent. Im Juli verkündete Ministerpräsident Renzi zudem, angeschlagene italienische Banken mit Staatsgeldern retten zu wollen. Die ökonomische Krise trifft die politische: Das Misstrauen der italienischen Bürger_innen in die Politik ist groß.
Er schreit, eifert, faucht: Der ehemalige Komiker Beppe Grillo ist der Gründer der MoVimento 5 Stelle (M5S - die Fünf-Sterne-Bewegung) und Dompteur des italienischen Volkszorns. Bei den Parlamentswahlen 2013 erreichte seine Bewegung aus dem Stand 25 Prozent, im Juni 2016 gewannen ihre Bürgermeisterkandidatinnen in Rom und Turin die Rathauswahlen: ein symbolischer Sieg in Italiens Hauptstadt und in der viertgrößten Stadt des Landes – Turin, bisheriger Sitz von Fiat.
Die Fünf-Sterne-Bewegung ist auch eine Protestpartei: Der Kampf gegen „die da oben“, gegen die Politikerkaste ist zum zentralen Ankerpunkt der Programmatik geworden. Doch anders als viele rechtspopulistische Parteien im Norden Europas widersteht die junge Partei bislang der Versuchung, diese Forderungen nationalistisch aufzuladen. Michael Braun, Mitarbeiter des FES-Büros in Rom, sieht in genau dieser politischen Strategie, sich dem Links-Rechts-Schema zu verwehren, den wesentlichen Grund für den Erfolg der M5S. „Mit umweltpolitischen Themen und dem Engagement gegen prekäre Arbeitsverhältnisse wendet sich die Bewegung an eher links-ökologische Wähler“, analysiert Braun, der für die FES „Die Anti-System-Partei der besonderen Art“ beobachtet hat. Auch die Namensgebung der Bewegung erinnert an diese Haltung. Die fünf Sterne stehen symbolisch für Wasser, Umwelt, Transport, Energie, Entwicklung: die Kernpunkte des Programms der Bewegung. Zu diesen eher linksliberal aufgeladenen Themen stehen ebenso konservativ bis rechte Positionen wie die grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber dem Euro und unkontrollierter Zuwanderung.
Wie erfolgreich die junge Partei mit diesem Changieren zwischen den politischen Polen ist, beweist die Analyse ihrer Wählerschaft. Umfragen zeigen, dass M5S im Vergleich zur Partito Democratico (PD) des regierenden Ministerpräsidenten Renzi in allen Altersgruppen mehr Zustimmung genießt - außer bei Rentner_innen. Besonders großer Zustimmung erfreut sie sich bei jungen Menschen, Studierenden und Erwerbslosen. Dazu kommen Kleinunternehmer, Freiberufler, Angestellte und Lehrer. Politikwissenschaftler Michael Braun sagt, den klassischen M5S-Wähler gäbe es nicht: „Aus dem einfachen Grund, dass M5S heute eine echte, im ganzen Land und in allen sozialen Schichten verankerte Volkspartei ist“.
Diese Analyse trifft auch auf die politische Selbsteinordnung der Wähler_innen zu: 36,3 Prozent der Befragten bezeichnen sich als links, 27,3 Prozent sehen sich in der politischen Mitte und 20,8 Prozent stufen sich als rechts ein, während 15,6 Prozent erklären, sie könnten sich auf der Rechts-Links-Achse nicht einordnen. Die Bewegung schafft es, sich glaubwürdig abseits des links-rechts-Spektrum zu positionieren: als post-ideologische, authentische Bewegung der Bürger_innen.
Ganz so basisdemokratisch und bürgernah geht es in der Partei selbst nicht zu. Grillo nimmt zwar für sich und seine Bewegung in Anspruch, die Basisdemokratie in der eigenen Partei schon umgesetzt zu haben und verkündete wiederholt: „Uno vale uno", „jeder zählt gleich viel". Tatsächlich ist die Partei zentralistisch gelenkt: Grillo hält die Markenrechte an M5S, denn M5S ist tatsächlich eine eingetragene Marke, so wie Fiat. „Wenn ihm zum Beispiel eine lokale M5S-Liste nicht passt, kann er der Liste umgehend das Recht verweigern, bei Wahlen als 5-Sterne-Bewegung anzutreten“, erklärt Michael Braun. Ein Mittel, zu dem Grillo in der Vergangenheit bereits griff. Auch auf nationaler Ebene duldet die Spitze der Partei keinen Dissens: Seit der Parlamentswahl 2013 mussten 18 Abgeordnete aus der Fraktion ausscheiden. Auch viele Senatoren und Bürgermeister ereilte ein ähnliches Schicksal.
Zu diesem autokratischen Führungsstil gesellt sich der Glaube an die heilsbringende Wirkung des Internets: Über Grillos Blog werden Listenplätze gewählt, Themen bestimmt, Abstimmungen abgehalten. Mitmachen kann jeder und jede, die sich dort anmeldet. Über 120 000 sollen es bereits sein.
Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi steht in vielerlei Hinsicht vor schicksalshaften Monaten: Neben der Rekapitalisierung italienischer Banken möchte er eine umfassende Verfassungsänderung verabschieden, die das politische System Italiens präsidialer machen würde. Hinzu kommt eine umstrittene Arbeitsmarktreform, die auch von der 5-Sterne-Bewegung vor allem wegen ihrer Schleifung des Kündigungsschutzes kritisiert wird. Sollte Renzi mit seinen Vorhaben scheitern, wären Neuwahlen das wahrscheinlichste Szenario. Die 5-Sterne-Bewegung könnte dann stärkste politische Kraft werden. Mit unabsehbaren Folgen für das Land und Europa.
Weiterführende Links:
Michael Braun: Die 5-Sterne-Bewegung - Die Anti-System-Partei der besonderen Art, FES Rom, 2016
Michael Braun und Ernst Hillebrand: Third way all'italiana: zwei Jahre Regierung Renzi, FES 2016
Michael Dauderstädt: Wachstumsstrategien für Südeuropa: Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, FES 2016
Zu Roberto Aliboni: Italiens Libyenpolitik: Zwischen Krisenmanagement und strategischen Interessen, FES 2016
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