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Geisteraustreibung

Dem Rechtspopulismus ist nicht durch Empörung und moralische Überheblichkeit beizukommen. Analysen und Gegenstrategien bietet das Buch „Rechtspopulismus in Europa“.

„Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Populismus“, paraphrasiert Ernst Hillebrand Karl Marx in seiner Einleitung zum Sammelband „Rechtspopulismus in Europa – Gefahr für die Demokratie?“. Das Buch, erschienen 2015, wurde aufgrund der Aktualität des Themas im vergangenen Jahr für eine zweite Auflage überarbeitet. Doch ist der (Rechts-)Populismus nicht länger die körperlose Idee  einer kleinen, verschworenen Gruppe, wie der Kommunismus im Jahr 1848. Seine Positionen und Vertreter sind vielmehr eine äußerst reale Herausforderung für die politischen Systeme – in allen Teilen Europas.

Ein Gesamteuropäisches Phänomen

Denn der Rechtspopulismus ist schon zu weit gesellschaftlich etabliert und eben nicht rundweg postfaschistisch. Bestimmt ist er kein Phänomen der osteuropäischen Transformationsgesellschaften. Dagegen spricht nicht zuletzt der Erfolg in den reichen westeuropäischen Ländern wie Österreich, Dänemark oder der Schweiz. Zudem lässt er sich nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Faktoren zurückführen: Die „kulturelle Frage“ von Zugehörigkeit und Identität ist weit mehr als nur ein oberflächliches Begleitphänomen.

Kultur – nur was für Eliten?

Auf dem Terrain "der Kultur" liegt womöglich die größte Herausforderung. Denn auch wenn der Großteil der Europäer_innen immer wohlhabender und liberaler geworden ist, gilt dies mitnichten für alle. Es ist ein Trugschluss, dass die Geschichte automatisch nur eine Richtung kennt, hin zu immer größerer Freiheit und mehr Wohlstand für alle. Die Maschine, die sie befeuert - der Kapitalismus -, arbeitet seit dem Ende der Systemkonkurrenz auf Hochtouren. Im Sog von Globalisierung und Digitalisierung finden wir uns auf einmal alle in der permanenten Transformation. Dass manchen diese Entwicklung nicht gefällt oder sie sich von dieser in ihrer Existenz bedroht sehen, ist nur nachvollziehbar. Wer fühlt sich in der "liquiden Moderne" schon wohl?

Und so tauchen erneut politische Trennlinien auf: zwischen kosmopolitisch und national, Modernisierungsgewinnern und -verlierern, traditionell und progressiv Orientierten, zwischen Oben und Unten. Man muss den Rechtspopulisten zugestehen, dass es ihnen derzeit beunruhigend gut gelingt, den gesellschaftlichen Verwerfungen Ausdruck zu verleihen. Sie werfen Fragen auf, die man lange für beantwortet hielt, nach Souveränität, Nation und eben auch Demokratie. Wer hat das Sagen im Staat; wer gehört zur Nation; wie wichtig ist die Souveränität einzelner Staaten; was ist das, ein Volk – und wie kann es sich selbst regieren? Dass die politische Linke auf einige dieser Fragen nach wie vor keine überzeugenden Antworten gefunden hat,  ist bedenklich. Schlimmer noch ist allerdings, dass sie noch nicht einmal als Fragen erkannt werden. Das ist die „geistige Obdachlosigkeit“ unserer Zeit, von der Robert Misik spricht. Die  großen Fragen sind zurück. Wollen wir sie den Rechten überlassen?

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