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Ausufernde soziale Ungleichheit gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Fehlt es der EU und ihren Mitgliedstaaten an politischem Willen, mehr Ausgleich zu schaffen?
Bild: Armut in Lübeck von Jean Pierre Hintze lizenziert unter CC BY-SA 2.0
Soziale Ungleichheit bekommt von den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften so viel Aufmerksamkeit wie nie zuvor, ähnlich sieht es in der Medienberichterstattung aus. Nicht von ungefähr: Die soziale Ungleichheit zwischen den und innerhalb der EU-Mitgliedstaaten steigt, die Löhne wachsen nicht so schnell wie die Wirtschaftsleistung und die Europäer_innen betrachten Gleichheit und Solidarität als zentral für die Zukunft der EU. Auch eine große Mehrheit der Deutschen findet die Ungleichheit inzwischen zu groß. Trotzdem reißt sie der Gerechtigkeitswahlkampf von Martin Schulz nicht besonders mit.
Dass die sozialen Unterschiede aus dem Ruder gelaufen sind, ist zwar konsensfähig, genauso wie ihre möglichen Folgen – ob geringere politische und gesellschaftliche Teilhabe ärmerer Bevölkerungsteile, Anfälligkeit für populistische Bewegungen oder negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Was soziale Gerechtigkeit aber bedeuten soll und wie sie geschaffen werden kann, ist auf nationaler und europäischer Ebene umstritten. So wollen viele Deutsche keine radikale Umverteilung, aber Chancengleichheit und die Sozialversicherungen als Schutz vor Lebensrisiken. Vielleicht kommt Martin Schulz deshalb nicht mit allen seinen Gerechtigkeitsvorstellungen gut an. Und die Menschen in Süd- oder Osteuropa haben andere Vorstellungen von europäischer Solidarität und Umverteilung als in Nordeuropa.
Gleichzeitig erkennt die Europäische Kommission zunehmend die Zeichen der Zeit und hat den Vorschlag eine „europäische Säule sozialer Rechte“ erarbeitet. Dabei muss sie ihre Vorstellungen und engen Kompetenzen mit den Souveränitätsansprüchen, Sozialsystemen und Gerechtigkeitskonzepten der Mitgliedstaaten vereinbaren. Eine von Social Europe, Hans-Böckler-Stiftung und Friedrich-Ebert-Stiftung organisierte Onlinedebatte geht der Frage nach, was Europa gegen Ungleichheit tun kann. Dazu gab es auch eine Diskussionsrunde im Europäischen Parlament.
Für den sozialdemokratischen Europaabgeordneten Udo Bullmann mangelt es am politischen Willen in Europa und an einem Bewusstsein für Ungleichheit als „Gift für die Entwicklung unserer wertebasierten Gesellschaft“. Die Europäische Kommission habe einerseits starke Instrumente gegen Defizitsünder, könne dabei aber nicht einmal zwischen guten und schlechten Staatsausgaben unterscheiden. Bei sozialpolitischen Maßnahmen könne die EU andererseits nur Empfehlungen geben. Bullmann fordert, Wirtschafts- und Sozialpolitik im verbindlichen Reformprozess des Europäischen Semesters zusammenzuführen und hier mehr parlamentarische Mitspracherechte zu schaffen. Sein spanischer Fraktionskollege Javi Lopez mahnt, einerseits jahrzehntealte nationale Sozialsysteme effektiv an neue Wirtschafts- und Lebensrealitäten anzupassen, andererseits neben Umverteilung auch Verteilungsfragen anzugehen. Hier schlägt Michael Dauderstädt vor, europaweit Mindestlöhne einzuführen, die sich variabel an nationalen Durchschnittslöhnen orientieren und mit ihnen je nach Produktivitätszuwächsen steigen.
Die Annäherung der Lebensstandards in Europa ist ein zentrales Ziel der EU. Die Strukturfonds waren ein Anfang, bevor die Eurokrisenpolitik Sozialsysteme abgebaut und Ungleichheit verschärft hat. In der Wahrnehmung vieler Europäer_innen muss sich die EU dadurch bewähren, mehr als nur ein liberaler Wirtschaftsraum zu sein. Die Mehrheit der Europäer_innen denkt, dass die Globalisierung zu mehr Ungleichheiten führt, die EU ihnen aber hilft, von den positiven Seiten der Globalisierung zu profitieren. Unentschieden sind sie, ob die EU sie vor den negativen Auswirkungen schützt. Nationale Sozialpolitik zielt auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Schutz vor Risiken. Damit ist die Messlatte für eine „soziale Säule“ der EU gehängt.
Ansprechpartner in der Stiftung:
Stephan Thalhofer
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