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Artika Ashdhir von der Internationalen Transportarbeiter-Föderation spricht über kreative Methoden ungelernter Arbeiter_innen sich zu vernetzen.
Bild: Artika Ashdhir During the ITF/FES Youth Workshops in Nepal von FES Nepal
Bild: the transporter von mathesch/photocase
Artika Ashdhir arbeitet für die Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) als Asien-Pazifik-Regionalkoordinatorin im Union Building Team. Seit acht Jahren ist sie in der Arbeiterbewegung aktiv. Außerdem ist sie im ITF Youth Teams sowie im Organisationsteam ITF Airports.
Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) hat 2019 mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ein Drei-Jahres-Projekt zum Thema Gewerkschaftsbildung & Digitale Organisation in der Plattform-Wirtschaft gestartet. Nach der ersten Hälfte des Projektes haben wir Artika Ashdirs Besuch in Nepal genutzt, um ihr ein paar Fragen über dieses spannende Projekt und über aktuelle Trends im Transportsektor zu stellen. Artika ist die Asien-Pazifik-Regionalkoordinatorin im Union Building Team.
FES Nepal: In den letzten Jahren hat der Transportsektor einige der bemerkenswerte Auswirkungen der »Plattformisierung« durchlaufen – ein Trend, der auch in anderen Branchen heute als »Uberisierung« bezeichnet wird. Die Digitalisierung führt häufig dazu, dass Dienstleistungen günstiger und für Kund_innen bequemer angeboten werden, dass jedoch zugleich häufig die traditionellen Strukturen und so auch der Schutz, der damit für die Arbeiter_innen einhergeht, zerstört werden. Welche großen Trends kannst Du zurzeit in Asien erkennen?
Artika Ashdhir: Eine der größten Auswirkungen der Plattformisierung ist die wachsende Anzahl an informellen Arbeitskräften im städtischen Transportsektor. Unternehmen wie das weltweit agierende Uber, Ola in Indien (wobei sie jetzt auch in andere Länder expandieren) und Grab, das vor allem in Südost-Asien tätig ist, stellen Fahrer_innen als Partner an und bezeichnen sie als selbstständig. Doch diese so genannten Selbstständigen teilen ihre Arbeitszeit nicht selbst ein, bestimmen ihre Preise nicht selbst, haben keinen Einfluss auf die verschiedenen Werbeaktionen, die ein Unternehmen anbietet, um Kunden zu gewinnen, oder andere tagtägliche Vorgänge der App-basierten Taxiindustrie. Somit liegt eindeutig eine Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung vor, aber die Unternehmen weigern sich, den Fahrer_innen Arbeitnehmerrechte entsprechend der derzeitigen Rechtsordnungen unserer Länder einzuräumen. Um nachzuweisen, dass sie Angestellte sind, und um diese Grundrechte zu erlangen, müssen sie jahrelang kämpfen und Rechtsverfahren durchlaufen, ohne das Geld und die Zeit dafür zu haben.
Eine Folge davon ist, dass sie letztendlich mindestens zwölf Stunden am Tag arbeiten, um nach Abzug der Automiete/-kredite so viel zu verdienen, dass sie davon leben können. Nach dem ersten Jahr von Ubers Tätigkeiten in Indien sank der Lohn von Uber-Fahrer_innen um 30%; dies lag an einem Überangebot von App-basierten Taxis auf dem Markt. Tausende von Arbeiter_innen wurden durch diese Plattformisierung ohne die Kontrolle über ihren Arbeitsplatz und ohne Arbeitnehmerrechte in den informellen Sektor gedrängt, was ihren Schutz und ihre Lage geschwächt hat. Der Transportsektor ist ein klassisches Beispiel von Tendenzen des Kapitalismus im neuen digitalen Zeitalter.
Du arbeitest besonders mit jungen Transportarbeiter_innen aus unterschiedlichen Regionen Asiens zusammen, welche Rolle nehmen diese im Transportsektor ein? Was sind die größten Herausforderungen? Sehen diese jungen Leute auch Chancen für sich?
Junge Transportarbeiter_innen in Süd- und Südostasien kennen sich heutzutage gut aus und sind in der Lage, kreativ zu kämpfen. Ich glaube, sie befinden sich in der einzigartigen Lage, dass sie die Möglichkeit haben, die traditionelle Form von Gewerkschaften zu verändern und das Konzept von Gewerkschaft von Grund auf verbessern können.
Die größten Herausforderungen, mit denen die jungen Arbeiter_innen heute auf dem Makro-Level konfrontiert sind, sind ungezügelter Wachstum informeller Arbeit, die sich verändernden kapitalistischen Techniken zur Arbeitskontrolle und der Aufstieg rechtsgerichteter, wirtschaftsfreundlicher Regierungen. Auf dem Mikro-Level sehe ich die Herausforderungen von sich ändernden traditionellen Hürden der Gewerkschaften und dem Wunsch, kreativere Herangehensweisen an Führung, Gewerkschaftsbildung und -organisation zuzulassen.
Die Arbeit mit den jungen Arbeiter_innen ist sehr spannend für mich und manchmal habe ich das Gefühl, dass alles möglich ist. Man kann einige brillante Lösungen jenseits der herkömmlichen für die schwierigsten Herausforderungen finden, wie beispielsweise sich zu organisieren, was zunächst einfach klingt, aber heute eine der kompliziertesten Aufgaben ist. Die Möglichkeiten für die jungen Arbeiter_innen sind unendlich und wir haben das oft beobachten können; das beste Beispiel dafür ist die eigenständige Organisation von App-basierten Arbeiter_innen aus der ganzen Welt, die gerade stattfindet.
Kannst Du uns noch einige Beispiele geben? Welchen Einfluss hat die Plattformisierung auf das Leben der Arbeiter_innen?
ITF Delhi hat gerade eine Untersuchung von Gesundheit und Sicherheit für Uber- und Ola-Fahrer_innen in indischen Metropolen durchgeführt, um Richtlinien für die Arbeiter_innen auszuarbeiten. Erste Ergebnisse waren, dass die meisten Fahrer_innen zwischen 20 und 40 Jahre alt sind und täglich 10–16 Stunden in ihrem Fahrzeug zubringen; das führt zu Gesundheitsproblemen wie Rücken- und Muskelschmerzen sowie Magenproblemen (da es keine geeigneten Sanitäreinrichtungen in der Stadt gibt, müssen sie häufig lange warten, bevor sie eine Toilette aufsuchen können) und Stress. Mit diesen Problemen stehen sie ganz allein da. Weil sie in keinem Angestelltenverhältnis stehen, haben sie weder Kranken- noch Sozialversicherung, ihr Einkommen schwankt, es gibt keinen Mindestlohn und keine Wachstumsmöglichkeiten. Die Arbeiter_innen sind in einem Teufelskreis von Armut und Rechtlosigkeit gefangen.
Wir beobachten aber, dass sich das ändert. In Kalifornien wurde ein Gesetz eingeführt, das die Uber-/Lyft-Fahrer_innen zu Angestellten macht und ihnen daher die grundlegenden Arbeiterrechte zugesteht. Ähnliche Änderungen passieren in Großbritannien, aber die Gewerkschaften müssen in Asien offensiver mobilisieren. Es wäre im Hinblick auf die Art der Arbeit interessant, alternative Modelle zum Organisierenanzuschauen. Vielleicht passt ein herkömmlicher Gewerkschaftsansatz nicht mehr zu den Herausforderungen. Es hat sich herausgestellt, dass soziale Bewegungen viel erfolgreicher darin sind, politische Veränderungen voranzutreiben; das beste Beispiel dafür ist die gewerkschaftlich geführte Kampagne »Fight for 15«in den USA mit der Forderung eines Mindestlohnes von 15 US-Dollar in allen Fastfood-Ketten des Landes.
Wir können die negativen Auswirkungen von Digitalisierung und Automatisierung sehen und auch, dass sie immer stärkeren Einfluss auf die Arbeiterrechte und die Arbeitsplatzsicherheit haben. Was tut die ITF, um die Plattform-Arbeiter_innen zu organisieren? Welche Idee steckt in dem Projekt, an dem Du arbeitest?
Da das Organisieren von Plattform-Arbeiter_innen für die ITF von strategischer Bedeutung ist, unterstützen wir die Gewerkschaften in Großbritannien und anderen EU-Ländern, die App-basierte Plattform Arbeiter_innen wie beispielsweise bei Deliveroo organisieren. Durch ihr Projekt in Indien hat die ITF alle Bemühungen der selbstständigen Organisation (von Netzwerken app-basierter Arbeiter_innen) gestärkt, die in verschiedenen Städten und Plattformen überall im Land entstehen. In Hyderabad hat das Arbeiter_innen-Netzwerk eine »Anklingel-App« gestartet, über die Fahrer_innen verschiedener Plattformen Anklingeln können, wenn sie Unterstützung brauchen, und sie erstellen so eine Datenbank. Die Datenbank wird dazu genutzt, diese Arbeiter_innen zu organisieren, Gesundheits- und Sicherheitserhebungen durchzuführen und die Aufmerksamkeit auf dieses Netzwerk zu lenken, um letztendlich einen Politikwandel auf nationaler Ebene einzuleiten.
Ein weiteres Beispiel ist unsere Partnerorganisation in Indonesien, die das Kabinenpersonal organisiert und Unterstützung braucht, um eine Offline-Mitgliedschaftsantrag zu entwickeln, so dass die Gewerkschaft die Mitglieder auch organisieren kann, wenn sie reisen. Das passt sehr gut zur strategischen Ausrichtung der ITF, um zu wachsen und Mitglieder anzuwerben.
Das Organisieren über Online-Plattformen ist eine Idee, die wir von der ITF untersucht haben. Einer unserer Partner in den Philippinen (Juan Wing) organisiert sich über Soziale Medien. Juan Wing ist die Gewerkschaft des Kabinenpersonals von Cebu Pacific Airlines und sie organisierten ihre Arbeit aus der Ferne mit Facebook als Hauptkommunikationskanal und bildeten Kerngruppen auf verschiedenen Ebenen, was zur Gründung ihrer Gewerkschaft führte, die circa 1200 Mitglieder hat und gerade dabei ist, ihre erste Betriebsvereinbarung auszuhandeln. Das haben wir vom Union Building Team der ITF als Fallstudie genommen, um die Details ihrer Vorgehensweise zu verstehen und das wird hoffentlich auch in anderen Transportsektoren nützlich sein.
Das digitale Projekt hilft uns bei der ITF, um verschiedene Wege zum Organisieren mit kreativen Methoden zu finden; alle beruhen auf den Bedürfnissen unserer Partnerorganisationen und hängen mit unseren drei strategischen Ausrichtungen zusammen; Wachstum und Neuanwerbung von Mitgliedern, Beeinflussung von globaler und regionaler Politik sowie innovativer Kampagnenarbeit.
Danke für Deine Einblicke, Artika. Wir wünschen Dir alles Gute mit Deiner Arbeit und hoffen, dass Du bald wieder nach Nepal kommst!
Mehr über FES Nepal und dem Programm ist unter folgender Adresse zu finden: www.fes-nepal.org oder senden Sie eine E-Mail an: fes(at)fesnepal.org.
Das englischsprachige Interview erschien zuerst auf www.fes-connect.org.
Aus dem Englischen übersetzt von Meiken Endruweit.
Sie wollen mehr darüber wissen?
Unser Gewerkschafts-Projekt Trade Unions in Transformation 4.0 beschäftigt sich genau mit dieser Problematik und widmet sich mehreren Fallstudien, die im Herbst 2020 erscheinen werden. Gewerkschaften verändern, erneuern und verfolgen neue Strategien. Auf diese Weise erzielen sie materielle und politische Gewinne für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sie vertreten - und zeigen, wie sie die Globalisierung gestalten können und dies bereits tun. Trade Unions in Transformation 4.0 versammelt Geschichten, die zeigen, dass es zahlreichen Gewerkschaften gelungen ist, ihre Machtressourcen zu mobilisieren und zu nutzen.
Wie Arbeitsrechte von Plattformarbeiter_innen geschützt und gefördert werden können: Aufgabe von Gewerkschaften und indischer Gesetzgebung.
Ansprechpartner_innen
Mirko Herberg
+49 (0)30 26935-7458Mirko.Herberg(at)fes.de
Matthias Weber
+49 (0)30 26935-7744Matthias.Weber(at)fes.de
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Das Projekt „Gewerkschaften im Wandel 4.0“ wurde von der FES initiiert und hat zum Ziel, die Interessenvertretung von Beschäftigten im digitalen Kapitalismus zu verstehen. weiter