Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Digitaler Wandel ist Realität. Wenige Gewerkschaften reagieren darauf. Die Internationale Journalisten-Föderation will das ändern.
Bild: vlnr: Jeremy Dear sammelt Beispiele. Zied Dabbar und Ratna Ariyanti berichten von ihren Erfahrungen in der arabischen Welt und Südostasien. von Joachim Kreibich
Bild: vlnr: IJF-Generalsekretär Anthony Bellanger, Rashid Al-Hamar und Jackson Karanja. von Joachim Kreibich
Die Diagnose ist beunruhigend für Gewerkschaften: Die Zahl der Stellen im Printbereich sinkt, die Zahl der Beschäftigten in den einstmals „neuen“ Medienbereichen wächst. Den Jobverlusten in großer Dimension in den traditionellen Medien wie Zeitungsredaktionen stehen viele neue Arbeitsplätze auf digitalen Plattformen gegenüber – doch viele der Beschäftigten verdienen schlecht, arbeiten isoliert, haben nur Zeitverträge oder gar keine. Das ist nicht die klassische Klientel und sie lässt sich nicht leicht organisieren. Viele zeigen den Gewerkschaften die kalte Schulter.
Eine Studie in Kanada zeigt, wie sehr sich die Situation gewandelt hat. Im Jahr 2005 kam dort auf 20 Stellen im Printbereich gerade mal ein Job in Online-Medien. 2015 war das Verhältnis der Jobs zwischen Print und Digital in Kanada nur noch vier zu eins, wie Anthony Bellanger, Generalsekretär der Internationalen Journalisten-Föderation (IJF), berichtet. In der IJF sind Gewerkschaften aus 140 Ländern organisiert. Bei einer Podiumsdiskussion am 11. Juni 2019 auf dem IJF-Kongress in Tunis, organisiert von der IJF und der Friedrich-Ebert-Stiftung, ging es um die Frage, wie der Journalismus der Zukunft aussehen wird und wie Gewerkschaften sich darauf einstellen können.
Rashid Al-Hamar bestätigt die Beobachtungen Bellangers. Der Vertreter der Bahrain Journalists Association hat aber in seinem Heimatland auch festgestellt, dass die Medienhäuser reagieren und ihre Nachrichten längst online verbreiten. „Anfangs hat man einfach Texte ins Netz gestellt“, sagt der Mann von der arabischen Halbinsel, „doch daraus haben sich Multimedia-Plattformen entwickelt mit Grafiken, Videos und anderem.“ Viele nutzten zudem die großen elektronischen Plattformen wie Facebook. Al-Hamar ist durchaus optimistisch, dass die digitale Transformation gelingen könnte, ohne dass alles an Errungenschaften auf der Strecke bleibt.
Jackson Karanja hat in Kenia ähnliche Erfahrungen gemacht. „Die meisten Medienhäuser bei uns haben digitale Medien schon lange integriert.“ Das bringe auch Vorteile, weil man oft in direkten Kontakt mit den Nutzern trete. Sein Rat: „Bei der Berichterstattung in die Tiefe gehen.“ Auch in Kenia ergeben die Umfragen, dass den klassischen Medien unverändert hohe Glaubwürdigkeit zugebilligt wird. Und: „Wir geben weiterhin denjenigen eine Stimme, die sonst nicht gehört werden.“
Wie aber reagieren die Gewerkschaften? Jeremy Dear vom IJF-Büro weiß, dass die Antworten in vielen Ländern recht unterschiedlich ausfallen. Der stellvertretende Generalsekretär ist dabei, Positivbeispiele zu sammeln, um sie in einem Best-Practice-Reader den Mitgliedsorganisationen als Inspirationsquelle zur Verfügung zu stellen.
Einer, der ein Kapitel beisteuern könnte, ist Zied Dabbar, Vorstandsmitglied der tunesischen Journalisten-Gewerkschaft SNJT und Vizepräsident der Afrikanischen Föderation in der IJF.
„Inzwischen arbeiten rund 20 Prozent unserer Mitglieder in Tunesien für digitale Medien“, sagt Dabbar. Das ist alles andere als selbstverständlich. Die SNJT hat ihre Statuten geändert. Sie nimmt freie Journalisten auf und Blogger, womit anfangs nicht alle einverstanden waren. Und sie verweist auf unbestreitbare Erfolge auf anderen Feldern. Die seit wenigen Monaten in Tunesien geltende Vereinbarung zum Urheberrecht enthält viele Elemente, die auch beim europäischen Urheberrecht festgeschrieben wurden. Das zeigt, dass starke Gewerkschaften etwas bewirken können
Sehr uneinheitlich ist das Bild in Südostasien. Ratna Ariyanti von der Alliance of Independent Journalists in Indonesien weiß, dass die Verhältnisse in vielen Ländern sehr unterschiedlich sind.
„Einige haben immer noch Vorbehalte gegenüber Online-Medien und nehmen Onliner nicht als Mitglieder auf.“ Ihre Gewerkschaft dagegen hat Blogger und Studierende in ihren Reihen, hat eine Whistleblower-Plattform und eine Fakten-Check-Kooperation mit-initiiert. Auch Ariyantis Beitrag wird im Detail in der Zusammenstellung von Jeremy Dear nachzulesen sein, die 2020 erscheinen soll.
Marcus Strom sagt: „Alle Medien in Australien präsentieren sich inzwischen auch digital - oft gilt sogar online first.“ Die Gewerkschaft Media, Entertainment and Arts Alliance (MEAA) hat nicht nur die Großen im Blick. Man kümmere sich auch um die Kleinen und schließe Vereinbarungen ab für Kleinbetriebe mit wenigen Journalisten. Die Australier haben vor etwa zwei Jahren eine „Good Jobs Charter“ ins Netz gestellt. Eine Anleitung in zehn Punkten für Leute, die sich fragen, worauf sie achten müssen, wenn sie gute Standards schaffen wollen. „Das wird oft angeklickt.“
Und die Leute seien höchst interessiert an Weiterbildung.
Letzteres hält auch Bellanger für einen Schlüssel. „Eine Weile glaubten die Leute, sie seien Journalisten, wenn sie mit einem Mobiltelefon ein kurzes Video gedreht hatten. Aber bloß weil ich ein Klavier daheim stehen habe, bin ich noch kein Pianist.“ Aus- und Weiterbildung seien essentiell. Und was die Frage der Mitgliedschaft in Gewerkschaften betrifft: Auch diejenigen, die glauben sie kämen schon allein zurecht, stellen fest, dass man gemeinsam mehr erreicht. IJF-Generalsekretär Bellanger: „Bei konkreten Fragen reagieren die Leute anders. Wollt ihr gute Entlohnung? Gute Arbeitsbedingungen? Soziale Absicherung? Und schon ist man mitten in der Diskussion um gewerkschaftliche Themen.“
Zum Autor: Joachim Kreibich ist Lokalredakteur bei einer Tageszeitung, Betriebsratvorsitzender, seit 2001 Mitglied im Bundesvorstand der dju in ver.di. Er war von 2016 bis 2019 Vizepräsident der Internationalen Journalisten-Föderation und wurde im Mai in den Vorstand der Europäischen Journalisten-Föderation gewählt.
Ansprechpartner_innen
Mirko Herberg
+49 (0)30 26935-7458Mirko.Herberg(at)fes.de
Matthias Weber
+49 (0)30 26935-7744Matthias.Weber(at)fes.de
weitere Ansprechpartner_innen
Das Projekt „Gewerkschaften im Wandel 4.0“ wurde von der FES initiiert und hat zum Ziel, die Interessenvertretung von Beschäftigten im digitalen Kapitalismus zu verstehen. weiter