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Die ungleiche Wahlteilnahme bleibt ein ungelöstes Problem der Demokratie. Diese Studie überprüft datenbasiert, welche sozialräumlichen Muster der (Nicht-)Wahl sich identifizieren lassen.
Wahlen sind konstituierende Merkmale einer Demokratie. Prof. Dr. Armin Schäfer von der Universität Mainz untersucht in dieser Studie die Entwicklung von Wahlbeteiligungen und arbeitet Muster der Wahlteilnahme und Nichtwahl insbesondere für die Bundestagswahl 2021 heraus. Grundlage dafür sind sowohl räumliche Daten auf Ebene der 299 Wahlkreise und von fast 1.000 Stadtteilen als auch Individualdaten, die über Umfragen erhoben wurden.
Die Wahlbeteiligung lag bei der letzten Bundestagswahl bei 76,6% und damit ungefähr auf dem gleichen Niveau wie bei der Bundestagswahl 2017. Dennoch bedeutet dies, fast jede vierte wahlberechtigte Person hat nicht an der Bundestagswahl teilgenommen. Dabei sind die Muster der Nichtwahl eindeutig: Je ärmer ein Wahlkreis oder ein Stadtteil ist, desto niedriger fällt die Wahlbeteiligung dort aus.
Welche Faktoren führen dazu, dass Personen nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen?
Die Frage, warum Menschen sich politisch beteiligen, wie auch die Gegenfrage, warum sie es nicht tun, beschäftigt die Politikwissenschaft schon lange. Inzwischen wird häufig auf drei Faktoren verwiesen, die (Nicht-)Beteiligung erklären: Ressourcen, Motivation und Netzwerke. Alle drei Faktoren erzeugen ungleiche Wahlbeteiligung – doch wie hoch die Wahlbeteiligung und die Wahlbeteiligungsunterschiede ausfallen, kann sich von Wahl zu Wahl unterscheiden. Wenn zum Beispiel eine Wahl als wichtig empfunden wird, weil zentrale Themen verhandelt werden, wenn ein Regierungswechsel wahrscheinlicher ist und wenn es in den Augen der Bürger_innen einen großen Unterschied macht, wer gewinnt, fällt die Wahlbeteiligung höher aus. Mit den verschiedenen Motiven für die Nichtwahl beschäftigt sich auch die Studie Gelegenheitswähler*innen auf der Spur ausführlicher.
Alle 299 Wahlkreise in Deutschland können auf dieser interaktiven Karte näher betrachtet werden.
Vergleicht man die Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitverlauf, so zeigt sich, dass sie insgesamt abgenommen hat. Abgesehen von der ersten Bundestagswahl 1949 lag die Wahlbeteiligung immer klar über 80 Prozent. In den 1970er Jahren kletterte sie sogar über 90 Prozent. Erst ab 1990 rutsche die Wahlbeteiligung unter 80 Prozent und auch die Streuung, also der Unterschied zwischen der Wahlbeteiligung in den einzelnen Wahlkreisen, nahm zu.Abbildung 1: Streuung der Wahlbeteiligung in den Wahlkreisen bei allen Bundestagswahlen seit 1949
Es hat also über die Zeit nicht nur die Wahlbeteiligung abgenommen, sondern die Unterschiede zwischen den Wahlkreisen auch zugenommen. In der Wissenschaft spricht man daher von einem „Gesetz der Streuung“:
Dies zeigt sich auch, wenn man sich zum Beispiel die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen in den unterschiedlichen Ortsteilen von Bremen anschaut. Diese lag in allen Ortsteilen noch 1983 recht dicht beieinander. Doch die Unterschiede nehmen mit der Zeit zu. Bei der Bundestagswahl 2021 finden sich Ortsteile in Bremen, wo nur noch jede zweite Wahlberechtige Person vom Wahlrecht Gebraucht gemacht hat. In anderen Ortsteilen lag dagegen die Wahlbeteiligung bei knapp unter 90 Prozent.Abbildung 2: Streuung der Wahlbeteiligung in den Bremer Ortsteilen
Wo die Wahlbeteiligung hoch oder niedrig ausfällt, folgt keinem zufälligen Muster. Es sind immer besonders arme Stadtteile, in denen wenige Wahlberechtigte wählen, und die höchste Wahlbeteiligung findet sich in den besten Wohngegenden. Hamburg-Billstedt, Köln-Chorweiler oder Berlin-Marzahn sind typische Nichtwählerhochburgen, während in Eppendorf, Hahnwald oder Zehlendorf die Wahlbeteiligung weiterhin sehr hoch ausfällt.
Die Muster von Wahl und Nichtwahl lassen sich in Abbildung 8 klar erkennen. Jeder Punkt in der Grafik repräsentiert einen Stadtteil. Auf der horizontalen Achse sind jeweils der Anteil an Haushalten mit niedrigem Einkommen (links) und die Arbeitslosenquote (rechts) abgetragen. In beiden Teilgrafiken zeigt sich ein statistisch signifikanter, stark negativer Zusammenhang:
Abbildung 8: Muster der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2021 in 979 Stadtteilen nach Einkommen und Arbeitslosenquote
Anhand von Panel-Daten, also durch eine wiederholte Befragung der selben Personen, kann die Wähler_innenwanderung zwischen den Bundestagswahlen von 2017 und 2021 untersucht werden. Abbildung 11 zeigt für jede im Jahr 2017 gewählte Partei an, welche Anteile der Wähler_innenschaft 2021 der Partei treu geblieben sind und welche andere Parteien bzw. nicht gewählt haben.
Ein Großteil der Befragten hat 2021 die gleiche Partei wie bereits 2017 gewählt:
Mit diesen Daten kann auch die Frage beantwortet werden, wie gut Parteien aus dem Nichtwahllager mobilisieren können:
Abbildung 11: Wählerwanderung von 2017 bis 2021
Die Studie untersucht Wahlteilnahme sowohl im allgemeinen Zeitverlauf als auch spezifisch anhand der Bundestagswahl 2021. Für beide Fälle werden Daten der 299 Wahlkreise (Aggregatdatdaten) sowie individuelle Umfragedaten analysiert*. Zur Bundestagswahl 2021 wurden zusätzlich 979 Stadtteile in 30 Städten genauer untersucht. Dadurch wurden zeit- und raumübergreifende Trends und Entwicklungen nachgezeichnet, Korrelationen aufgezeigt, also wie häufig beispielsweise eine hohe Wahlbeteiligung gemeinsam mit einer niedrigen Arbeitslosenquote auftritt. In der Studie sind zur weiteren Vertiefung Regressionen nachzulesen, wobei rechnerisch abgeleitet wird, welche individuelle Faktoren, wie zum Beispiel das Bildungsniveau oder politische Interesse einer Person zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, an der Wahl teilzunehmen, führen.
Ansprechpartner in der FES: Jan.Engels(at)fes.de
Schäfer, Armin
Sozialräumliche Muster der Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen / Armin Schäfer ; Herausgeberin: Abteilung Analyse, Planung und Beratung. - Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, 2023. - 24 Seiten = 8 MB, PDF-File. - (FES diskurs)Electronic ed.: Berlin : FES, 2023ISBN 978-3-98628-335-3
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