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Ein Interview mit Jürgen Kaiser, politischer Koordinator von erlassjahr.de und Autor von „Die globale (Staats)-Schuldenkrise vor Corona“
Bild: von Ehud Neuhaus
Viele Länder befanden sich schon vor Beginn der COVID-19-Krise in einer Schuldenkrise. Ende 2019 warnte die Weltbank vor der derzeitigen raschen Zunahme der weltweiten Verschuldung. Der IWF ging noch weiter: die globale Finanzarchitektur sei auf eine nächste Krise nicht vorbereitet; bestehende Institutionen und Verfahren können Staaten im Krisenfall nicht schnell und wirksam aus der Schuldenfalle befreien. Seither hat die Coronavirus-Pandemie die Lage verschärft. Ihre Folgen für die Schuldentragfähigkeit ärmerer Länder sind nicht abzusehen, aber sie offenbart: es mangelt an einem umfassenderen, multilateral vereinbarten und langfristigen Ansatz zur Lösung der Schuldenkrise.
Elisabeth Bollrich, Referentin für Internationale Gemeinschaft und Zivilgesellschaft der Friedrich-Ebert-Stiftung hat mit Jürgen Kaiser, politischer Koordinator von erlassjahr.de und Autor von „Die globale (Staats)-Schuldenkrise vor Corona“ über die Schuldenkrise vor und während Corona gesprochen:
Die jetzt vorläufig entlasteten Länder werden definitiv nicht ab 2020 oder auch nur 2021 wieder so zahlungsfähig sein wie vor der Krise. IWF und Weltbank haben angeboten, die Schuldentragfähigkeit neu zu überprüfen. Welche Maßstäbe sie dabei anlegen wollen, ob und wie sie die Zivilgesellschaft in diese Neubestimmung einbeziehen wollen und wer genau auf der Basis ihrer Expertisen Entscheidungen treffen wird, ist ganz und gar unklar. Was wir wissen, ist, dass die traditionellen Verfahren rund um den Pariser Club so nicht mehr funktionieren werden.
Beide können zur Deckung kurzfristiger Finanzierungslücken nützlich sein, aber leider werden sie gerne als Instrumente zur Abwendung von Insolvenz im Zusammenhang der Krise missverstanden. Das aber sind sie überhaupt nicht, denn sie schaffen neue Zahlungsverpflichtungen.
Schuldenkrise und Bankenkrise werden sich eher parallel entwickeln. Die bisherigen international getroffenen Maßnahmen streben richtigerweise danach, die Handlungsfähigkeit öffentlicher Institutionen zu erhalten. Dass auch Banken durch ihr Exposure im Ausland, durch Unternehmenspleiten u.a. in Schwierigkeiten kommen werden, wird die Rezession vertiefen. Trotzdem sollte nicht der Fehler der Eurokrise wiederholt werden, dass Staaten sich in großem Stil verschulden, um Banken zu retten.
Eine krisenüberwindende Reaktion der Weltbank im Libanon habe ich noch nicht gesehen. In Argentinien hat der IWF sich in der Tat rasch geäußert; geschehen ist substanziell aber noch nichts, und beide Staaten sind weiterhin im Zahlungsausfall. Was tatsächlich anders ist, ist, dass der IWF offenbar willens und in der Lage ist, mit einer Regierung, die auf Stärkung oder mindestens Erhalt von Massenkaufkraft setzt, zu unterstützen, statt solche Bemühungen wie damals aus ideologischen Gründen zu bekämpfen und statt dessen Austerität und Umverteilung von unten nach oben zu erzwingen.
Kaiser, Jürgen
Jürgen Kaiser. - Berlin : Friedrich-Ebert-Stiftung, Globale Politik und Entwicklung, April 2020. - 5 Seiten = 100 KB, PDF-File. - (Perspektive). - (Wirtschaft und Finanzen)Electronic ed.: Berlin : FES, 2020ISBN 978-3-96250-566-0
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Susan Javad
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030 26935-8333Vanicha.Weirauch(at)fes.de