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Warum Rechtspopulist_innen die Realität verkennen und Deutschland sich gerade jetzt als Einwanderungsgesellschaft positionieren sollte.
Bild: Migration gestalten: Einwanderung eröffnet Lebensperspektiven von FES
Die Bundesrepublik Deutschland ist seit ihrer Gründung ein Einwanderungsland. Vergleichsweise langsam, aber stetig hat sich diese Erkenntnis in allen demokratischen Parteien durchgesetzt – denn die Zahlen sprechen für sich. Jede_r fünfte Einwohner_in in diesem Land kann eine eigene oder über mindestens ein Elternteil mitgebrachte Einwanderungsgeschichte erzählen und mehr als die Hälfte von ihnen besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.
Doch die langwierige und konfliktreiche Debatte darüber, ob sich Deutschland nun als Einwanderungsland versteht oder nicht, hat Spuren hinterlassen: Die Bundesrepublik hinkt bei den Gesetzgebungen zum Thema Immigration deutlich hinterher und der Widerstand gegen ein Einwanderungsgesetz ist sehr groß. Der Einzug der Rechtspopulist_innen in den Bundestag wird eine konstruktive Debatte um Einwanderung zusätzlich erschweren.
Forderungen nach der Eindämmung von Einwanderung sind politisch gefährlich, denn sie stellen nicht nur die Idee offener und demokratischer Gesellschaften grundsätzlich in Frage, sondern auch die Realität, in der wir leben. Einwanderungsgegner_innen beschwören eine Vergangenheit herauf, die es nie gegeben hat, nämlich „den“ homogenen Nationalstaat. Auf welcher Grundlage Menschen aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, hat sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt – Trennlinien verliefen und verlaufen etwa entlang von Geschlecht, Religion oder sozialem Status. Tatsächlich sind Gesellschaften aber nie statisch, sondern wandeln sich ständig – eine Menschheitsgeschichte ohne Migrationsbewegungen ist undenkbar. Dabei geht Migration selten nur in eine Richtung. Die Geschichte zeigt, dass Deutschland nicht nur ein Einwanderungsland, sondern ebenso ein Land der Auswanderungsbewegungen ist – aktuell steigen die Zahlen der Abwanderung aus der Bundesrepublik sogar wieder. Angesichts fortschreitender Globalisierung und internationaler Verflechtungen ist eine Welt ohne Ein- und Auswanderung für moderne Gesellschaften erst recht nicht mehr vorstellbar.
Was einwanderungsfeindliche Rhetorik ebenso ausblendet, ist, dass die Gründe für Migration vielfältig sind. Menschen verlassen ihre Länder beispielsweise, um näher bei Familienangehörigen zu sein, weil sie sich eine bessere ökonomische Perspektive erhoffen oder aus anderen individuellen Beweggründen. Wer behauptet, es ginge „allen“ nur darum, ein Stück vom Kuchen eines imaginierten deutschen Wohlstandes abbekommen zu wollen, betreibt letztlich entmenschlichende, oftmals rassistisch überlagerte Verallgemeinerungen.
Auch scheinen viele rechte Populist_innen zu vergessen, dass das Recht auf Asyl nicht verhandelbar ist. In den letzten Jahren hat vor allem die Aufnahme Geflüchteter den öffentlichen Diskurs in Deutschland dominiert. Als Unterzeichnerstaat der Genfer Flüchtlingskonvention hat sich Deutschland völkerrechtlich verpflichtet, humanitäre Hilfe zu leisten und Menschen den Zugang zu einem Asylverfahren zu gewährleisten, die aus ihren Ländern flüchten. An dieser Pflicht kann keine Obergrenze etwas ändern. Die wäre sowieso verfassungswidrig – genauso wie ein Gnadenrecht auf Asyl.
Allerdings ist Deutschland nicht nur dazu verpflichtet, Menschen mit Schutzanspruch aufzunehmen, sondern sollte ein gesamtgesellschaftliches Interesse an Einwanderung haben. Denn die demografische Entwicklung – sinkende Bevölkerungszahlen und Arbeitskräftemangel – kann durch geregelte Einwanderung zumindest abgemildert werden. Einwander_innen gründen zudem im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung mehr Unternehmen und schaffen somit Jobs. Das sollte gefördert werden und einen neuen gesetzlichen Rahmen bekommen.
Mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005* wurde die Migrations- und Integrationspolitik umfassend reformiert, aber bis heute ist es sehr schwierig, aus einem Drittstaat nach Deutschland einzuwandern. Die Regelungen zur Einwanderung sind über viele Gesetze und Verordnungen verstreut und das Aufenthaltsgesetz teilweise sehr vage formuliert. Dieser „Flickenteppich“ muss durch ein attraktives und effektives Einwanderungsgesetz ersetzt werden, das Regelungen zu Themen wie Familiennachzug, zur Aufenthaltserlaubnis oder zur Staatsbürgerschaft zusammenführt.
Durch ein Einwanderungsgesetz können legale Wege für Migrant_innen geschaffen und ihnen gefährliche Wege erspart werden. Damit würde auch Schlepper_innen und Schleuser_innen, die versuchen aus der Notsituation der Flüchtenden Profit zu schlagen, die Geschäftsgrundlage entzogen werden. Abgesehen von den juristischen Vereinfachungen würde Deutschland mit einem Einwanderungsgesetz auch signalisieren, dass es ein Land ist, das Einwanderinnen und Einwanderer aufnimmt und diese fördert.
Ein Bekenntnis zu Vielfalt sollte auch in das Grundgesetz aufgenommen werden. Dies könnte beispielsweise durch die Aufnahme eines Staatsziels „Vielfalt, Teilhabe und Integration“ geschehen, um zu garantieren, dass die Themen in alle staatlichen Institutionen hereingetragen und als Querschnittsaufgabe verstanden werden.
Insgesamt würde Deutschland mit einem Einwanderungsgesetz und einem Staatsziel dem Umstand Rechnung tragen, dass Migration Lebensperspektiven eröffnet – und zwar nicht nur für Einwanderinnen und Einwanderer, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Vielfalt und Verschiedenheit bereichern Staat und Gesellschaft. Demokratien sind stärker, wenn sich viele Akteur_innen an ihnen beteiligen und Konflikte friedlich austragen.
Mit der noch offenen Frage, welche Ziele sich die nächste Bundesregierung setzt, liegt das Thema Einwanderung nun wieder auf dem Tisch. Die Aufnahme vieler Geflüchteter hat Deutschland vor allem im Ausland zu einem positiven Bild als weltoffene Gesellschaft verholfen. Wenn die Bundesrepublik sich auch in Zukunft als attraktives Einwanderungsland präsentieren möchte, müssen von der Politik in den kommenden Jahren die richtigen Signale gesendet werden.
*In öffentlichen Diskursen werden die Begriffe „Einwanderung“ und „Zuwanderung“ oft synonym verwendet. Auch wenn es keine eindeutige juristische Abgrenzung zwischen den Begriffen gibt, unterstreicht die Vorsilbe „zu“ eher die Nicht-Zugehörigkeit. Menschen, die nach Deutschland kommen, um dauerhaft zu bleiben, werden daher als Einwanderinnen/Einwanderer bezeichnet.
Autorin
Lilia Youssefi, Referentin bei DeutschPlus e.V. – Initiative für eine plurale Republik
Mehr unter: www.deutsch-plus.de
Kontakt in der FES: Felix Braunsdorf, Referent für Migration und Entwicklung
Dieser Beitrag greift die Botschaft " Einwanderung eröffnet Lebensperspektiven" des Projekts "Migration gestalten - gerecht und global!" auf.
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