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Welche Impulse können wir von der neuen Bundesregierung für regionale Transformationsprozesse erwarten?
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Das vor uns liegende „Transformationsjahrzehnt“ stellt auch neue Anforderungen an eine vorausschauende Strukturpolitik. Regionale Strukturpolitik hat bisher zumeist nur reagiert, sie muss zukünftig stärker präventiv handeln. Große Herausforderungen, denen die neue Regierung wenigstens teilweise in ihrem Koalitionsvertrag begegnen will.
Bausteine einer proaktiven Strukturpolitik
Hierfür bedarf es einer erweiterten regionalen Strukturpolitik, die vorausschauend agiert. Sie muss durch Beteiligungsprozesse Betroffene einbinden und Veränderungsbereitschaft stärken. Das gilt sowohl für Unternehmen als auch für Beschäftigte. Sie muss die lokalen und regionalen Institutionen als wichtige Akteure des Wandels unterstützen und ihnen die notwendigen Instrumente bereitstellen. Sie muss dafür sorgen, dass das Land nicht weiter auseinanderfällt in strukturschwache und strukturstarke Räume. (Eine umfassende Darstellung bietet das Diskussionspapier "Präventive Strukturpolitik und regionale Transformationsprozesse" des Deutschen Gewerkschaftsbundes.)
Bereits 2019 hat die Kohlekommission in ihrem Abschlussbericht wegweisende Grundsätze für regionale Strukturanpassungsstrategien formuliert, die neben den finanziellen Hilfen eine stärkere Beachtung verdienen:
Diese Grundsätze wurden im Konsens den beteiligten Kommissionsmitgliedern aus Bundestag, Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften, Arbeitsverwaltung, Umweltverbänden und Kohleregionen erarbeitet. Auch deshalb kommt ihnen besondere Bedeutung zu.
Im föderalen Mehrebenensystem ist regionale Strukturpolitik nach Art. 30 GG zunächst eine Kompetenz der Bundesländer. Allerdings gibt es schon seit 1969 die Mitwirkung des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW). Zusätzlich trägt der Bund seit über 30 Jahren eine Mitverantwortung beim Einsatz der Europäischen Strukturfonds in Deutschland. Er hat 2019 zudem ein „Gesamtdeutsches Fördersystem für strukturschwache Regionen“ etabliert, viele kleinere Regionalprogramme aufgelegt und stellt 40 Milliarden Euro für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen bereit. Er ist also vielfältig in der regionalen Transformationspolitik aktiv und trägt Verantwortung für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland.
Deshalb ist es wichtig, wie die neue Koalition in ihrem Vertrag auf die gewachsenen Anforderungen an Strukturpolitik reagiert. Was plant sie, und wo lässt sie möglicherweise noch zu schließende Lücken?
Was plant die Ampel?
Im Gegensatz zu früheren Koalitionsverträgen widmet die Ampel den gleichwertigen Lebensverhältnissen ein eigenes Kapitel und erklärt: „Gleichwertige Lebensverhältnisse sind die Basis für Vertrauen in die Demokratie und halten unser Land zusammen.“ Umgesetzt werden soll dieses Versprechen u. a. durch eine Ausweitung des „Gesamtdeutschen Fördersystems“ sowie Reformansätzen bei der GRW und der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ (GAK). Damit reagiert die Koalition auf Kritik, dass das Gesamtdeutsche Fördersystem mit jährlich 1,7 Milliarden Euro zu klein war, um eine spürbare Wirkung für gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen.
Gleichzeitig werden weitere Reformbedarfe bei der über 50 Jahre alten GRW erkannt: Deren Mittel sollen jährlich erhöht werden, es soll eine erweiterte Infrastrukturförderung geben und ein neuer Fördertatbestand „regionale Daseinsvorsorge“ geprüft werden. Damit erkennt die Koalition an, dass eine gute lokale Daseinsvorsorgeinfrastruktur Basis für attraktive Regionen und erfolgreiche Anpassungsprozesse ist. Zusätzlich soll es mehr Bürgerbeteiligung bei regionalen Entwicklungskonzepten sowie den Instrumenten Regionalbudgets und -managements geben.
Das Engagement für gleichwertige Lebensverhältnisse geht noch weiter: Neben „periodischen Gleichwertigkeitsberichten“ der Bundesregierung soll es mehr Transparenz und eine Überprüfung zur räumlichen Wirkung bei den zahlreichen anderen Förderprogrammen des Bundes geben: „Alle Ressorts werden die regionale Verteilung ihrer Programme offenlegen“ – eine alte Forderung, die vor allem die im Umfang erheblichen Forschungs- und Technologieprogramme des Bundes betrifft. Zusätzlich wird eine „ausgewogene Verteilung der Forschungseinrichtungen“ im Bundesgebiet angekündigt.
Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen entbürokratisiert, digitalisiert und durch mehr Personaleinsatz beschleunigt werden. Der Zugang zu den diversen Förderprogrammen soll erleichtert werden dank einer Reduzierung der kommunalen Eigenanteile sowie erleichterter Mittelabrufe. Viele Einzelprogramme sollen harmonisiert, vereinfacht und zusammengefasst werden. Zur Stärkung der Kommunen als wichtige Akteure der regionalen Transformationsprozesse wird ein Prüfauftrag zur Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik formuliert. Damit werden die Bemühungen der zurückliegenden Legislaturperiode zur Entschuldung der vielen strukturschwachen Gemeinden mit dauerhaften Finanzproblemen neu aufgegriffen. Anknüpfungspunkte für eine strukturell bessere Finanzausstattung der Kommunen gibt es hingegen kaum.
Trotz aller Vorläufigkeit ist zu erkennen, dass die Koalition guten Willens ist: Für eine proaktive Strukturpolitik soll verlässlich mehr Geld bereitgestellt und der Zugang zu den Programmen erleichtert werden. Die Koalition will sich offensichtlich auch um eine Ausweitung des Instrumenteneinsatzes bei der Infrastruktur, um mehr Beteiligung und eine gerechtere räumliche Mittelverteilung kümmern. Zusätzlich werden die Kommunen gestärkt.
Reicht das alles aus? Wo sind die Lücken?
Auf dem Weg in eine vorausschauende Strukturpolitik, die eine „gerechte Transformation“ („Just Transition“) gewährleistet, gibt es noch weitere Baustellen, die im Ampel-Vertrag nicht ausreichend berücksichtigt sind.
Da ist zunächst die Notwendigkeit, auf Strukturkrisen nicht nur zu reagieren, sondern bereits vorausschauend, das heißt proaktiv zu agieren. Dazu bedarf es einer ausgebauten Strukturberichterstattung in den Regionen mit geeigneten Analyse- und Prognoseinstrumenten. Diese sind vorhanden, müssen jedoch systematisch und flächendeckend zum Einsatz kommen und deshalb vom Bund mitfinanziert werden. Zusätzlich muss ein System „perspektivisch wirkender Indikatoren“ etabliert werden, die absehbare Veränderungsbedarfe und regionale Resilienzschwächen signalisieren („Frühwarnsystem“). Die bisherigen GRW-Indikatoren zur Abgrenzung von Förderregionen sind und bleiben zu vergangenheitsorientiert.
Weiterhin sind die Beteiligungsansätze in der GRW bisher schwach entwickelt und werden nur zaghaft im Vertrag aufgegriffen; hier sind mehr Vorgaben nötig. Einige Bundesländer sind da bereits weiter. Sie haben zumeist auf Landesebene pluralistisch besetzte „Transformationsräte“ unter Beteiligung der Sozialpartner eingesetzt. Hier sollte der Bund noch engagierter ein Maßnahmenpaket zur Unterstützung von Bottom-up-Prozessen etablieren.
Schließlich sollte sich eine proaktive Strukturpolitik stärker bei der Förderung guter Arbeitsbedingungen engagieren. Hierzu könnte z. B. im Koordinierungsrahmen der GRW festgelegt werden, was unter der „Schaffung und Sicherung dauerhafter und hochwertiger Arbeitsplätze“ als Fördervoraussetzung zu verstehen ist.
Zur Stärkung des Tarifvertragssystems hat die Ampel eine Tariftreueregelung im Vergabesystem vorgesehen. Demnach sollen öffentliche Aufträge an die Einhaltung von Tarifverträgen gebunden werden. Verpasst wurde hier leider, Tariftreue an den gesamten Bereich der staatlichen Wirtschafts- und Strukturförderung zu koppeln.
Fazit: Verbesserte Rahmenbedingungen
Der gesamte Vertrag bietet deutlich verbesserte Rahmenbedingungen für eine vorausschauende Gestaltung regionaler Strukturanpassungen. Hierzu zählt nicht zuletzt die Bereitschaft, deutlich mehr und verstetigte staatliche Investitionen in die Transformation zu mobilisieren und diese Investitionen auch räumlich gerechter einzusetzen. Beitragen können dazu auch die ernsthaften Absichten, diese Investitionen deutlich schneller und unbürokratischer einzusetzen sowie die lokalen und regionalen Handlungsspielräume zu verbessern. Die Koalition scheint die Einsicht zu einen, dass staatliche Handlungsfähigkeit in Verbindung mit klaren Rahmenbedingungen für private Investitionen wichtige Voraussetzungen für das vor uns liegende „Transformationsjahrzehnt“ sind. Der eingangs erwähnte Paradigmenwechsel, die Zukunftsorientierung der regionalen Strukturpolitik, ist eingeleitet. Wir stehen aber noch am Anfang. Das machen die aufgezeigten Lücken deutlich wie auch die Tatsache, dass es weiterer zusätzlicher Ansätze und Instrumente in der sektoralen Strukturpolitik bedarf, um die Herausforderungen zu bewältigen.
Autoren_innen: Dr. Christel Degen ist Referatsleiterin für Struktur- und Regionalpolitik beim DGB-Bundesvorstand und Mitglied im Arbeitskreis Nachhaltige Strukturpolitik FES.Martin Hennicke war Abteilungsleiter Politische Planung in der Staatskanzlei NRW und ist Mitglied im Arbeitskreis Nachhaltige Strukturpolitik FES.
Ansprechpartner in der FES: Max Ostermayer
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