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Warum wir eine intersektionale feministische Migrationspolitik von unten brauchen
Beim Thema Geschlechtergerechtigkeit und Migration hat es in den letzten zehn Jahren viele gute Absichten und einige beachtliche politische Fortschritte gegeben. Im Diskurs zahlreicher UN-Mitgliedsstaaten werden allerdings mit guten Absichten Frauen und Kinder in einem Atemzug genannt und Migrantinnen in erster Linie als Opfer dargestellt. Migrantinnen werden – vermittels ihrer Arbeit und Geldtransfers – als Wirtschaftsfaktor für die Entwicklung instrumentalisiert, ohne dass auch ihre Menschenrechte anerkannt werden. Frauen werden infantilisiert und durch restriktive Migrationsgesetze, die sie auf ihrer Reise nur noch mehr gefährden, als „schutzbedürftig“ betrachtet. Die Belange von in Migration involvierten Frauen werden, so unterschiedlich sie auch sein mögen, als Add-on betrachtet – als etwas, das es abzuhaken gilt, als ob den Bedürfnissen dieser Frauen schon damit Genüge getan wäre, dass sie erwähnt werden. Die politischen Errungenschaften schlagen sich im UN Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration (GCM, Globaler Pakt der Vereinten Nationen für sichere, geordnete und reguläre Migration) nieder. Das Women in Migration Network (WIMN) spielte bei den Vertragsverhandlungen eine aktive Rolle und setzte sich gemeinsam mit Mitstreiter_innen aus der Zivilgesellschaft und den Mitgliedsstaaten dafür ein, dass die Gleichstellung der Geschlechter als Querschnittsthema auch in den Zielen des Paktes verankert wurde. Anlässlich der Verabschiedung des Pakts 2018 veröffentlichten WIMN und Oxfam International das Marrakech Women’s Manifesto, in dem diese Errungenschaften gewürdigt werden und gleichzeitig auf deren Grenzen hingewiesen wird. Auf dem ersten „International Migration Review Forum“ (IMRF) der Vereinten Nationen 2022 wurden in der Progress Declaration (Fortschrittserklärung) Frauen und Kinder jedoch nur vereinzelt erwähnt. Es fehlte ein ganzheitlicher Ansatz, der sich auf alle Aspekte des Paktes, Migration und nationale Politik auswirkt.
Als internationales Netzwerk, das sich mit Geschlechtergerechtigkeit und Migration befasst, reflektierten wir die hart erkämpften Errungenschaften und die begrüßenswerte Tatsache, dass eine wachsende Zahl von Mitgliedsstaaten sich verpflichtet fühlt, eine geschlechtergerechte Migrationspolitik und feministische Außenpolitik auszuloten. Dies sind notwendige Schritte in die richtige Richtung, und wir schätzen dieses Engagement der Regierungen. Allerdings ist „geschlechtergerechte Migrationspolitik“ selbst inzwischen zum Schlagwort geworden. Um die Rechte der Frauen zu garantieren, braucht es einen grundlegenden politischen Wandel. Für viele in Migration involvierte Frauen hat sich die Lage verschlechtert.
Wir brauchen eine intersektionale feministische Migrationsagenda, die von Migrantinnen gestaltet wird. Das ist ein hoher Anspruch. Aber was ist damit überhaupt gemeint?
Ein solcher Ansatz bedeutet, dass eine „geschlechtsspezifische“ Migrationspolitik nicht ausreicht. Migrationspolitik erfordert einen umfassenderen Blick, der außenpolitischen Haltungen, Entwicklungszusammenarbeit, Investitionen, Steuerpolitik, Auslandsschulden, Handelspolitik, globale Gesundheit und Klimapolitik einschließt. Dieses Konzept ist ein Aufruf an die Mitgliedstaaten und andere Akteure, sich folgende Fragen zu stellen:
Die Politik muss sicherstellen, dass Migrant_innen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen haben, den Dienstleistenden existenzsichernde Löhne gezahlt werden und sie sozial abgesichert sind. Die Arbeit von Pflegekräften in den Einwanderungsländern – häufig Migrantinnen of Color – sollte dadurch gewertschätzt werden, dass Hausarbeit als Arbeit anerkannt wird, existenzsichernde Löhne und Sozialleistungen gezahlt werden, die Arbeitszeit begrenzt und gegen geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz vorgegangen wird.
Es wird viel darüber diskutiert, wie wir in Sachen Migration das Narrativ verändern können; von einem, dass Migrant_innen und insbesondere solche ohne Papiere als Bedrohung sieht, hinzu einem Narrativ, dass Migrant_innen als gleichberechtigten Teil der Gemeinschaft betrachtet. Doch auch die kreativsten Medienkampagnen kommen nicht gegen die Ängste derjenigen an, die sich verdrängt fühlen. Die Innenpolitik muss die Sorgen der Bürger_innen – und Nicht-Bürger_innen – um gute Arbeitsplätze, Wohnungen, Dienstleistungen und eine Zukunft für ihre Kinder ernst nehmen. Andernfalls wird „Wir gegen sie“ zur Normalität. Die Angst, „sie“ könnten etwas bekommen, was „wir“ nicht haben, lässt sich nur dadurch ausräumen, dass wirtschaftliche und soziale Rechte für alle garantiert werden. Das ist eine feministische Forderung.
Auf der WIMN-Mitgliederversammlung Ende 2023 bekräftigten die Mitglieder die vordringlichsten Anliegen einer feministischen Migrationspolitik. Dazu zählen: Menschen- und Arbeitsrechte schützen; menschenrechtsbasierte und geschlechtergerechte Möglichkeiten für eine reguläre Migration schaffen; rassistisch motivierte Diskriminierung und geschlechtsspezifische Gewalt beenden; sich mit Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen auseinandersetzen, die Ungleichheit verstetigen; die Vorherrschaft der Weißen und koloniale Verhältnisse dekonstruieren, reproduktive und sexuelle Rechte gewährleisten; soziale Schutzmaßnahmen sicherstellen; dem Verschwinden von Migrant_innen, den Praktiken der Familientrennung und der Inhaftierung ein Ende setzen sowie Sexarbeit entkriminalisieren.
Die Mitglieder des WIMN betonten, der Prozess sei ebenso wichtig wie die dabei entstehende Agenda. Es muss sprachliche Gleichbehandlung geben, damit Migrantinnen in vielen Sprachen zugehört wird. Wir müssen Gelegenheiten schaffen, ihre Anliegen zu hören und einzubeziehen. Wir brauchen die Entwicklung von Führungsqualitäten, um lokale Realitäten und Organisationsformen mit den nationalen, regionalen und globalen Politikräumen so zu verknüpfen, dass unmittelbar betroffene Frauen zu Wort kommen und ihre Probleme benennen können. Wir müssen die Agenda gemeinschaftlich formulieren. Und wir müssen uns mit Verbündeten aus anderen Bewegungen zusammentun, um unsere kollektive Vision und Überzeugungsarbeit zu stärken. Das ist die Arbeit, die das Netzwerk Women in Migration leistet. Wir laden alle Beteiligten ein, sich uns anzuschließen, um von einer „geschlechtergerechten“ zu einer wirklich ganzheitlichen und umfassenden feministischen Migrationspolitik zu kommen.
Aus dem Englischen von Christine Hardung
Das Women in Migration Network (WIMN) ist ein internationales Netzwerk, das sich für die Rechte von Frauen in der Migration einsetzt. In einer Zeit, die von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ungleichheiten und migrationsfeindlichen Systemen geprägt ist, entwirft WIMN eine menschenrechtsbasierte, feministische und globale Migrationspolitik und wirbt für diese Politik. Dem WIMN gehören Organisationen und Einzelpersonen an, die auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene arbeiten und sich für Frauen-, Migrant_innen-, Menschen- und Arbeitsrechte einsetzen.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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