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Welche politischen Einstellungen haben Menschen mit Migrationsgeschichte und warum? Ein neues FES-Gutachten liefert Antworten.
Bild: von Boarding1Now/istock
Von den knapp 62 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland haben gut 10 Prozent einen Migrationshintergrund. Es sind zu einem großen Teil Menschen mit Wurzeln in Russland, Kasachstan, Polen und Rumänien, die als deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wahlberechtigt sind. Hinzu kommen ehemalige ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Nachkommen, vor allem aus der Türkei. Aufgrund der alternden Bevölkerung ohne Migrationshintergrund und der jüngeren Bevölkerung mit Migrationshintergrund nimmt der relative Anteil der Wahlberechtigten, die ihre Wurzeln im Ausland haben, langsam, aber kontinuierlich zu. Umso relevanter ist es, sich mit dem Stand der Forschung zu den politischen Einstellungen und dem politischen Verhalten dieser sehr heterogenen Gruppe von Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu beschäftigen.
Zunächst fällt auf, dass die Datengrundlage schmal und die Anzahl wahlsoziologischer Analysen gering ist. Trotzdem zeichnen sich einige Muster recht eindeutig ab. Als gesichert – auch im Lichte international vergleichender Forschung – kann gelten, dass die Wahlbeteiligung unter Menschen mit Migrationshintergrund niedriger ausfällt.
Während frühere Studien auf den Einfluss der Bildung und vor allem auf einen Generationeneffekt hinwiesen, zeigen jüngerer Daten, dass andere Faktoren bedeutsamer sind: An Wahlen beteiligt sich eher, wer durch soziale Interaktion integriert ist, über Politik spricht, beabsichtigt, in Deutschland zu bleiben, und glaubt, dass die eigene Wahlentscheidung die zu erwartende Politik beeinflussen kann. Hinzu kommt, dass die persönliche Ansprache die Wahlbeteiligung fördert, während Diskriminierungserfahrungen das Gegenteil bewirken. Schließlich führen Kenntnisse über die Funktionsweise des politischen Systems dazu, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund eher politisch beteiligen. Sollte die häufig vertretene These stimmen, dass Kenntnisse zum politischen System Deutschlands unter Einwandernden geringer sind, liegt hier eine Aufgabe der politischen Bildung.
Bei den parteipolitischen Präferenzen ist zunächst festzustellen, dass es kein einheitliches Muster unter den Deutschen mit Migrationshintergrund gibt. Lässt man Aussiedler_innen und Spätaussiedler_innen und neuere Zuwanderergruppen aus Osteuropa zunächst außen vor, zeigt sich das aus vielen anderen Ländern bekannte Muster einer stärkeren Präferenz für Parteien links der Mitte. Für diese Präferenz sind offenbar Erfahrungen im Herkunftsland sowie Migrations-, Integrations- und Diskriminierungserfahrungen von Bedeutung. Jedoch lassen die bisherigen Forschungsergebnisse noch viel Raum für differenziertere Analysen.
(Spät)Aussiedler_innen neigen zum Teil aus Dankbarkeit für die in den 1990er Jahren eröffnete Möglichkeit der Einwanderung nach Deutschland nach wie vor stärker den Unionsparteien zu. Allerdings scheint die in früheren Studien festgestellte Tiefe von Parteibindungen sowohl bei dieser Gruppe (für die CDU/CSU) als auch bei den Türkeistämmigen (für die SPD) nachgelassen zu haben.
Gewinner dieser Entwicklungen sind – wie in den letzten Jahren auch bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund – die kleineren Parteien. Einmal mehr wird klar, dass auch die Parteipräferenzen von Menschen mit Migrationshintergrund nicht in Stein gemeißelt sind.
Das Gutachten schließt mit der Empfehlung, eine breitere Datengrundlage zu schaffen. Dieser bedarf es, um bereits aufgestellte und plausibilisierte Hypothesen empirisch prüfen zu können, um Veränderungen aufzuspüren und vor allem, um neuere Gruppen von Zuwanderinnen und Zuwanderern, die nach Deutschland kommen und sukzessive die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, angemessen berücksichtigen zu können.
Zu den Autoren:
Dr. Andreas M. Wüst ist seit 2018 Lehrbeauftragter an der Universität Stuttgart. In Lehre, Forschung und in zahlreichen Fachpublikationen hat er sich vor allem mit Fragen der politischen Repräsentation, des Wahlverhaltens, individuellen Wahlkämpfen sowie mit Migrations- und Integrationsfragen beschäftigt.
Prof. Dr. Thorsten Faas ist seit Oktober 2017 Professor für Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Wahlen, Wahlkämpfen und Wahlstudien – online und offline.
Wüst, Andreas M.; Faas, Thorsten
Gutachten / Andreas M. Wüst und Thorsten Faas. - Berlin : Forum Berlin, Friedrich-Ebert-Stiftung, 2018. - 27 Seiten = 1,1 MB PDF-File. - (Empirische Sozialforschung ; 9)Electronic ed.: Berlin : FES, 2018ISBN 978-3-96250-083-2
Publikation herunterladen (1,1 MB PDF-File)
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Ansprechpartnerinnen
Susan Javad
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Vanicha Weirauch
030 26935-8333Vanicha.Weirauch(at)fes.de