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Völkerrechtsverbrechen in Syrien und wie sie international verfolgt werden

Der Film "The Lost Souls of Syria” von Regisseur Stéphane Malterre zeigt eindrücklich das Engagement von Aktivist_innen, die gegen das Vergessen der Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes kämpfen. Auf der Filmvorführung und Podiumsdiskussion in der FES wurde deutlich, dass der Einsatz von Aktivist_innen und Syrer_innen für internationale Strafverfolgung, wie etwa der Al-Khatib-Prozess, zentral ist für die Schaffung von Gerechtigkeit.



In dem Film „The Lost Souls of Syria“ geht es um die Geschichte des desertierten Militärfotografen „Caesar“, durch den im Januar 2014 mehr als 27.000 Fotos von zu Tode gefolterten Gefangenen aus den Geheimarchiven des syrischen Regimes an die internationale Öffentlichkeit gelangten. Sie sind aussagekräftiger als alles, was man gegen die Nationalsozialisten in Nürnberg in der Hand hatte. Die Fotos schockierten Menschen weltweit, darunter UN-Vertreter_innen, Politiker_innen und Jurist_innen. Sie waren auch die Grundlage für weitere US-Sanktionen gegen das syrische Regime unter dem 2019 beschlossenen „Caesar Syria Civilian Protection Act“.

Doch die Täter konnten nicht zur Rechenschaft gezogen werden, da die internationale Justiz scheiterte, die Völkerrechtsverbrechen des syrischen Regimes zu verfolgen. Der Film zeigt aus eindrucksvoller Nähe das Engagement der Angehörigen der Opfer, der Aktivist_innen und Caesar selbst für die Suche nach Zeugen und Beweisen -  vor allem aber den Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit und gegen das Vergessen der Verschwundenen und Ermordeten.

Im Rahmen der FES-Veranstaltung "Syriens verlorene Seelen" am 08. Februar 2023 wurde der hierzu neu erschienene Film von Regisseur Stéphane Malterre und der auch anwesenden Co-Autorin und inhaltlichen Beraterin Garance Le Caisne gezeigt und im Anschluss diskutiert mit

  • Joumana Seif: Rechtsberaterin des International Crimes and Accountability Program, European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR);
  • Sama Kiki: Geschäftsführerin, Syrian Legal Development Program (SLDP);
  • Frank Schwabe, MdB: Sprecher der Arbeitsgruppe Menschenrechte und humanitäre Hilfe in der SPD-Bundestagsfraktion

Die Diskussion wurde von Kristin Helberg, Journalistin und Nahostexpertin, moderiert.

Der Film ,,The Lost Souls of Syria“ ruft in Erinnerung, dass Menschenrechtsverletzungen in Syrien weiter stattfinden, dass das repressive System von Assad immer noch Menschen unterdrückt, ermordet, verschwinden lässt und foltert. Die fortwährenden systemischen Brutalitäten des Regimes, aber auch die weiterhin schwierigen Lebensumstände in Syrien treten leider immer mehr in den Hintergrund und verschwinden zunehmend aus unserem Bewusstsein.

Folterungen und Entführungen sind unter Assads Regime weder neu noch Einzelfälle. Sie werden seit den 1970er Jahren für den Machterhalt Assads und die Einschüchterung kritischer Stimmen angewendet. Unter diesem Staatsterrorismus sind Hunderttausenden von Menschen verschwunden und haben unter Folter ihr Leben verloren. Aktuell werden mindestens 135.000 Menschen vermisst, die nachweislich nach der Verhaftung durch den syrischen Sicherheitsapparat verschwunden sind. Menschen, die lebend aus den Gefängnissen kommen, sind stark traumatisiert und wurden vom Regime zum Schweigen gebracht. Damit ist Syrien, traurigerweise, zum Land der Verschwundenen, Toten, Geflüchteten und Überlebenden, geworden.

Ein Trost für die Angehörigen der Verschwundenen kann sein, endlich das Schicksal und Ort ihrer Familienmitglieder zu erfahren. Auch wenn eine Todesnachricht immer schwierig ist und die Hoffnung auf das Wiedersehen mit der Nachricht endgültig erlischt, kann das Wissen auch befreiend sein. Deshalb bemühen sich die Angehörigen fortwährend um Informationen und Suchen nach den Verschwundenen. Auch deshalb kommt der Strafverfolgung der Täter mit Hilfe internationaler Menschenrechtler_innen und Anwält_innen im Ausland große Bedeutung zu – nicht nur für die betroffenen Syrer_innen, aber auch für alle Menschen, die gegen Gewalt und für Gerechtigkeit kämpfen. Ein Erfolg dieser Bemühungen ist der sogenannte Al-Khatib-Prozess in Koblenz.

Al-Khatib-Prozess in Deutschland

Im Jahr 2020 fand der zukunftsweisende Al-Khatib-Prozess (Al-Khatib bedeutet Geheimdienststandort/Ermittlungs- und Folterzentrum) in Koblenz statt, in dem zum ersten Mal Täter bzw. Akteure des syrischen Regimes verurteilt wurden. Es ist möglich, Völkerrechtsverletzungen durch das Weltrechtsprinzip auf nationaler Ebene anzuklagen und Deutschland hat dieses als erstes Land in diesem Prozess angewandt.

Die UN-Vollversammlung hat im Jahr 2016 eine Resolution zur Dokumentation von Kriegsverbrechen in Syrien beschlossen, nachdem im UN-Sicherheitsrat eine Überweisung an den Internationale Strafgerichtshof (IStGH) von Vetomächten Russland und China verhindert wurde.

Durch die aufwendige und genaue forensische Untersuchung der Caesar-Fotos wurden die Todesursachen und die Methoden der systematischen Folter nachgewiesen. Somit waren die Caeser-Fotos belastende Beweise bzw. eine eindeutige Dokumentation der Verbrechen. Da die Fotos vom deutschen Gericht einmal untersucht und geprüft worden sind, können diese dann für weitere Verfahren genutzt werden. Weitere genauere Infos über den Prozess gibt es in der hierzu verfassten ECCHR-Publikation.

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) übernahm die wichtige Arbeit, die 17 Syrer_innen, die als Zeug_innen und als Nebenkläger_innen im Prozess auftraten, juristisch zu begleiten und zu betreuen.

Auch in Frankreich gab es ein juristisches Vorgehen: Es wurden internationale Haftbefehle gegen hochrangige Mitarbeiter_innen des Geheimdienstapparats des Assad-Regimes erlassen, u.a. gegen Jamil Hassan, Leiter des Luftwaffengeheimdiensts. Es sind zwar Haftbefehle für Täter, die noch in Syrien sind, aber diese Verurteilungen senden die Botschaft, dass die Mauer der Straflosigkeit durchbrochen werden kann.

Sanktionen und UN-Hilfegüterlieferung

In der Diskussion bei der Filmvorführung in der Friedrich-Ebert-Stiftung wurden verschieden Themen aufgegriffen: Besonders das Thema Sanktionen wurde von Zuhörer_innen aus dem Publikum immer wieder angesprochen. Aus den Diskussionen wurde deutlich, dass Sanktionen als sehr relevant betrachtet werden, da sie das letzte Mittel gegen das Regime sind. Bombardierungen auf Krankenhäusern und Zivilisten, Giftgas-Angriffe, die Praxis die eigene Bevölkerung auszuhungern – all diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der kriminelle Umgang des syrischen Regimes mit seinem Volk sind Gründe für die Sanktionen.

Von der Europäischen Union, den USA, dem Vereinigten Königreich, den arabischen Staaten und einigen anderen Ländern wurden Sanktionen gegen Assad wegen dieser Verbrechen verhängt. Die Sanktionen sind keine UN-Sanktionen und daher nicht verpflichtend für alle Länder. Humanitäre Hilfe und Hilfsgüterlieferungen sind von Sanktionen nicht betroffen. Nach der Veröffentlichung der Caesar-Fotos wurden Sanktionen durch den US-amerikanischen „Caesar Syria Civilian Protection Act“ verhängt, durch die alle Staaten und private Akteure, welche Geschäfte mit Assads Regime abwickeln, von den USA sanktioniert werden. Auch erhalten sie keinen Zugang zum US-amerikanischen Markt mehr.

In Syrien instrumentalisiert Assad die UN-Hilfsgüterlieferungen: Zum einen verhindert er mit Hilfe des Russischen Vetos im UN-Sicherheitsrat die Lieferungen an syrische Gebiete, die nicht unter Assads Kontrolle stehen. Zum anderen manipuliert und nutzt er die UN-Hilfe in seinen eigenen Gebieten für seine eigenen Interessen, auch um Personen zu begünstigen die ihm gegenüber loyal sind. Damit profitiert das leider auch das Regime massiv von den UN-Hilfsprogrammen. Als Nebeneffekt kommt durch die politisch-motivierte und ungerechte Verteilung der Hilfe nur ein Bruchteil bei den Bedürftigen an. 

Damit Sanktionen effektiv sind und es auch bleiben, ist es insgesamt wichtig, dass man sie immer wieder revidiert und hinterfragt und ggf. ändert bzw. anpasst. Beispielsweise wird darüber diskutiert, ob die Sanktionen dafür verantwortlich sind, dass die syrische Wirtschaft zusammengebrochen ist und ein Großteil der Syrer_innen in Armut lebt. Auch muss man sich die Frage stellen, wie effektiv die Sanktionen überhaupt sind. Dieses Thema ist sehr komplex, schwierig und auch widersprüchlich, da die Aufhebung von Sanktionen problematisch sein kann und alternative Sanktionsmaßnahmen schwierig zu finden sind. Außerdem stellt sich die Frage des Umgangs mit den Verbrechen des syrischen Regimes.

Dabei wäre es wichtig, sich nicht nur auf die (indirekten) Folgen, sondern mehr auf die Ursachen von Sanktionspolitik zu fokussieren und die Verantwortung beim Assad-Regime zu sehen. Denn nicht zu vergessen ist, dass die Sanktionen vom Regime selber aufgehoben werden könnten, wenn es die Forderungen, u.a. das Ende von Menschenrechtsverletzungen und das Freilassen von politischen Gefangenen umsetzen würde.

Passbeschaffung

Im Podium wurde zudem auch über das Thema der Passbeschaffung von Syrer_innen in Deutschland gesprochen. Hierzulande erhalten Syrer_innen, besonders solche mit subsidiärem Schutz, keine Pässe von der Ausländerbehörde, sondern müssen bei der syrischen Botschaft Pässe für 500 bis 1000 Euro beantragen. Damit gehören sie zu den teuersten Pässen der Welt. Ein ungewollter Nebeneffekt: Dadurch wird das Assad-Regime, unter anderem durch die deutschen syrischen Botschaften und Vertretungen, mitfinanziert. Nach Schätzungen soll das Assad-Regime durch die Passpflicht in Deutschland bereits ca. 100 Millionen Euro dazuverdient haben. Diese Praxis ist für Hunderttausende Syrer_innen eine ernsthafte Zumutung, riesige Summen an einen Staat zu zahlen, der ihre Bekannten, Freund_innen und Familienmitglieder vertreibt, foltert und ermordet. Außerdem sind Syrer_innen auch in Deutschland von Verfolgung bedroht, besonders wenn sie sich in den Botschaften zeigen müssen und diese dann über ihren Aufenthaltsort in Deutschland Auskunft erhalten. Daher läuft unter dem Hashtag #DefundAssad eine Kampagne zur Änderung dieser Praxis, die an das Innenministerium gerichtet ist, da das BMI für diese Regelungen zur Passbeschaffung zuständig ist.

Schritte für die Zukunft

Was wünschen sich die Aktivist_innen, Menschenrechts-verteidiger_innen und die oppositionellen Syrer_innen zukünftig für die Strafverfolgung und für die Schaffung von Gerechtigkeit? Wichtig sei es, dass das Entsetzen nicht lähmt, sondern dazu antreibt für Gerechtigkeit weiterzukämpfen. Wie der Al-Khatib-Prozesses in Koblenz sollten auch in anderen europäischen Ländern weitere Prozesse angestoßen werden. Außerdem wäre es sinnvoll und relevant ein Sondergericht für die Verbrechen in Syrien einzurichten. Die internationale Strafverfolgung ist unerlässlich, um Gerechtigkeit für die syrischen Menschen zu schaffen und das Verbrechen zu stoppen

Der Artikel zur Filmvorführung und die Bedeutung des Al-Khatib-Prozesses, wurde von Vera Schiche geschrieben.


Ansprechpartnerinnen

Susan Javad

030 26935-8313
Susan.Javad(at)fes.de

Vanicha Weirauch

030 26935-8333
Vanicha.Weirauch(at)fes.de

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