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Krisen als Chance, das Mantra der EU-Reformoptimisten. Aber haben die letzten zehn Jahre Krisenmodus den Zusammenhalt in der EU nicht doch nachhaltig beschädigt?
Bild: von FES/Flickr.com/Pixabay.com
Die Hoffnung stirbt zuletzt: Ist die EU nicht aus Krisen immer gestärkt hervorgegangen , sind sie vielleicht sogar der Integrationsmotor schlechthin? Die Krisen der vergangenen zehn Jahre erreichen jedoch eine neue Qualität. Nie war die Bevölkerung so europaskeptisch, noch nie erwog ein EU-Mitglied ernsthaft den Austritt aus der Union erwägt – bis zum Brexit. Selten positionierten sich die Mitgliedstaaten so stur gegeneinander – und das in gleich zwei Kernbereichen: In der Eurorettungspolitik steht der Norden wirtschaftspolitisch gegen den Süden, in der Asylpolitik der Westen gesellschaftspolitisch gegen den Osten. Gleichzeitig laufen Teile Osteuropas dem Süden wirtschaftlich den Rang ab und strecken der EU in rechtsstaatlichen Fragen die Zunge heraus. Spannungen, wo man hinsieht.
Auf der anderen Seite hat die Europapolitik nie so viele Menschen beschäftigt, und politischer Fortschritt braucht Kontroversen. Deshalb begrüßen viele Beobachter, dass die europäische Integration endlich stark politisiert wird. Und immerhin erholt sich das Image der EU seit der russischen Annexion der Krim, dem Brexit und der Wahl Donald Trumps. Im Kampf um die großen Alternativen können schon mal die Fetzen fliegen: Entweder müssen die europäischen Institutionen und ihre Politik in Hinblick auf ein europäisches Gemeinwohl substantiell umgebaut, oder aber im Sinne nationalstaatlicher Souveränität nach und nach zurückgebaut werden. Bedürfen die anstehenden schwierigen EU-Reformen des Konsens aller Mitgliedsstaaten? Oder soll dieser langwierige Prozess, der womöglich nur Minimallösungen bringt, dadurch umgangen werden, dass einige entschlossene Mitgliedstaaten als „Kerneuropa“ vorangehen? Solche Fragen beschäftigen die EU zwar nicht erst seit gestern, der zu kurze Sprung in der Ausgestaltung des Euro und die unausgegorene Flüchtlingspolitik machen sie aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung inzwischen existentiell.
Ambitionierte Pläne wie jener für eine europäische Republik liegen auf dem Tisch. Emmanuel Macron und Jean-Claude Juncker wollen die EU durch Stärkung der Eurozone bzw. der EU-Kommission voranbringen. Ernst Hillebrand bilanziert in einerPublikation der Friedrich-Ebert-Stiftung die Integrationsfortschritte der vergangenen zehn Jahre, vor allem die Krisenmechanismen für die Wirtschafts- und Währungsunion, aber auch die Rückschritte, darunter die Wiedereinführung von Grenzkontrollen in der EU.
Illusionslos stellt Hillebrand nicht große Visionen zur Zukunft der EU ins Zentrum der Europapolitik. Vielmehr betrachtet er die spannungsgeladene Debatte um die Zukunft der Integration als die zentrale Herausforderung der Europäischen Union. Echte Vertiefungsfortschritte in der Euro-Zone stehen zentrifugale politische Tendenzen und eine wachsende wirtschaftliche Divergenz gegenüber Dabei betont er die politische und wirtschaftliche Verantwortung Deutschlands beim Management dieser gegenläufigen Tendenzen. Der von Martin Schulz zur Bedingung einer Regierungsbeteiligung der SPD erklärte ‚Aufbruch in der Europapolitik‘ definiert in dieser Hinsicht die Anspruchshaltung einer möglichen neuen Bundesregierung. So sehen die Sondierungsergebnisse für eine große Koalition vor, der EU mehr Geld zur Verfügung zu stellen, die Eurozone zu reformieren und den sozialen Zusammenhalt in der EU zu fördern. Die sozialdemokratische Handschrift des Papiers offenbart sich dabei insbesondere im Einsatz für eine gemeinsame Unternehmensbesteuerung, eine Finanztransaktionssteuer, Steuergerechtigkeit, soziale Mindestsicherung und europäische Mindestlohnstandards. In den fehlenden europäischen Sozialstandards sieht auch Ernst Hillebrand eine Quelle der wachsenden Europaskepsis in einigen Teilen der Union. Allerdings ist hier mit Gegenwehr Osteuropas zu rechnen, das seine nachholende Entwicklung mit Erfolg auf niedrigere Löhne und Sozialstandards aufbaut. Der Zeitkorridor für mögliche Reformen ist 2018 eng, bevor es dann 2019 wieder auf Europawahlen zugeht. Der Stress nimmt erst also einmal kein Ende.
Ansprechpartner in der Stiftung:
Ernst Hillebrand
Weiterführender Link
Portal für Politikwissenschaften: Zehn Jahre Krise: Vertiefte Integration und neue Spannungen in der EU
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