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Der Europäische Grüne Deal muss ein sozialer Deal sein, denn der Kampf gegen den Klimawandel setzt den Kampf gegen die Ungleichheit voraus.
Die europäischen Gewerkschaften stehen entschlossen für eine ambitioniertere europäische Klimapolitik ein. Dieses Engagement ist aus drei Gründen zentral für die Gewerkschaftsbewegung: Zum einen ist der Kampf gegen den Klimawandel alternativlos – der Einsatz für eine lebenswerte Zukunft für die Vielen kann nicht mehr unabhängig von der Klimafrage gedacht werden. Zum anderen bietet eine mutige Energie-, Verkehrs- und Wirtschaftswende große Chancen für die Beschäftigten: Während alte Jobs verloren gehen, kann neue gute Arbeit entstehen und die kapitalistische Funktionslogik vom Kopf auf die Füße gestellt werden – sodass wir nicht nur das Klima retten, sondern auch unsere Art zu arbeiten und zu wirtschaften langfristig fairer machen.
Und schließlich befindet sich Europa längst im globalen Wettbewerb darum, welche Länder und Weltregionen bei der grünen Wirtschaftswende die Nase vorn haben werden: Nachhaltige Produktionsweisen und saubere Energieträger werden langfristig die besten Geschäfte und die meisten Arbeitsplätze ermöglichen. Es liegt daher im ureigenen Interesse der europäischen Gewerkschaften, den Standort Europa im Bereich grüner Innovationen zu stärken.
Mit dem Europäischen Grünen Dealhat die EU-Kommission 2019 ihre Vision für einen ökologischen Umbau der europäischen Wirtschaft vorgelegt. Was dieser Plan für die Beschäftigten bereit hält und was die europäischen Gewerkschaften dazu beitragen, gerechte Übergänge („Just Transition“) zum Erfolg zu bringen, haben wir in einer Publikation der FES-Reihe „Politik für Europa“ beschrieben. Hier wollen wir zwei gewerkschaftliche Leitlinien für den Umbau der europäischen Wirtschaft skizzieren: Warum müssen Investitionen, Innovationen und Sozialpolitik Hand in Hand gehen? Und welches Wachstumsmodell brauchen wir, um das Klima zu retten und gleichzeitig Ungleichheit zu bekämpfen?
Das Ziel jeder verantwortungsbewussten Klimapolitik muss es sein, die Wirtschaft auf eine CO2-neutrale Produktionsweise umzustellen. Dafür werden neue Technologien benötigt, die es allen Sektoren ermöglichen, ohne fossile oder energieintensive Ressourcen wettbewerbsfähig zu produzieren. Diese Innovationen werden als „disruptiv“ bezeichnet, weil sie sich nicht einfach in bestehende technologische Zusammenhänge einfügen, sondern diese ersetzen. Es liegt auf der Hand, dass die Entwicklung solcher Technologien mit einem hohen Anfangsrisiko einhergeht: Grundlagenforschung ist keine sichere Anlage, sondern ein unsicheres Geschäft – vor dem private Investor_innen oftmals zurückschrecken. Ein starker, selbstbewusster Staat (bzw. Staatenbund) hingegen kann das Anfangsrisiko auf sich nehmen und durch seine Investitionen den Grundstein für die Wirtschaft von morgen legen. Öffentlichen und staatlich geförderten privaten Investitionen kommt daher eine Schlüsselrolle zu, um Risiken in Innovationen zu verwandeln. Doch nicht nur Investor_innen müssen im Innovationsprozess Risiken auf sich nehmen: Der Arbeitsmarkt der Zukunft wird auch den Beschäftigten mehr Mobilität abverlangen. Arbeitnehmer_innen werden nicht mehr den Großteil ihrer Erwerbsbiografie im selben Betrieb bestreiten, sondern häufiger als bisher den Job wechseln oder ihre Karriere neu orientieren müssen.
Für die Gewerkschaften steht fest, dass diese Entwicklung hin zu einem flexibleren Arbeitsmarkt nicht zum Nachteil der Beschäftigten geraten darf. Es handelt sich hierbei um eine Gerechtigkeitsfrage, aber auch um eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit: Eine dynamische, im Wandel befindliche Wirtschaft muss sich darauf verlassen können, dass zu Mobilität bereite und auf Veränderung vorbereitete Arbeitskräfte vorhanden sind, um diesen Wandel zu ermöglichen. Weiterbildung, Umschulung und aktive Arbeitsmarktpolitik sind Voraussetzungen dafür, die Beschäftigten sicher durch diese Umbruchsphase zu bringen.
Neben mehr Beschäftigungssicherheit erfordert ein Arbeitsmarkt im Wandel allerdings auch mehr Einkommenssicherheit für diejenigen, die trotz aller Anstrengungen ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Die Arbeitslosenversicherung mit ihrer Funktion der Einkommenssicherung entschärft in entscheidendem Maße die neuen Risiken, denen sich Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sehen – und erhöht so deren Bereitschaft, sich auf riskante, aber notwendige Transformationsprozesse einzulassen. Die Abdeckungsquoten, Anspruchszeiträume und Nettoersatzraten von Arbeitslosenversicherungen in Europa müssen daher durch europäische Mindeststandards gestärkt werden.
Bei der Bekämpfung des Klimawandels haben wir es mit einem Verteilungskonflikt zu tun: Um die Pariser Klimaziele einzuhalten, werden wir in Zukunft weniger produzieren und konsumieren – und konventionelles Wirtschaftswachstum wird nicht länger als Ersatz für mehr Verteilungsgerechtigkeit herhalten. Aus diesem Grund müssen wir uns von der neoklassischen Definition des Wirtschaftswachstums verabschieden und „Wachstum“ neu denken.
Das bedeutet zum einen, dass wir klimaschädliche Externalitäten unserer wirtschaftlichen Produktion (wie z.B. den Schadstoffaustausch, der durch den Transport von Waren verursacht wird) nicht indirekt durch die dadurch erzielten Gewinne zum Bruttoinlandsprodukt addieren, sondern vielmehr davon subtrahieren sollten. Zum anderen müssen wir die positiven Effekte der bisher nicht berücksichtigten Daseinsvorsoge durch die öffentliche Hand – wie zum Beispiel die Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme – als Plus auf die Wohlstandsrechnung aufnehmen. Traditionelle Berechnungsmethoden gehen davon aus, dass der Staat nicht zum BIP beiträgt, da er nur Gelder verteilt, die bereits in Form von Gewinnen bzw. Konsum in der Bilanz erscheinen.
Dies ist ein Trugschluss, denn der Staat schafft durch öffentliche Investitionen und den Aufbau von Infrastruktur einen klaren Wohlstands-Mehrwert – selbst dann, wenn seine Leistungen den Konsument_innen gratis zur Verfügung stehen. Darauf aufbauend müssen wir begreifen, dass das „Wachstum“ der Zukunft auf einer gerechteren Verteilung des Wohlstands beruht. Es gibt bereits eine Reihe alternativer Konzepte, wie bspw. den Better Life Index der OECD oder den Human Development Index der Vereinten Nationen, die ein ganzheitlicheres Verständnis von gesellschaftlichem „Wohlstand“ anwenden.
Der Europäische Grüne Deal ist mehr als ein klima- oder umweltpolitisches Programm. Es geht vielmehr um einen tiefgreifenden Umbau der europäischen Wirtschaft, der alle Bereiche unseres Wirtschafts- und Sozialsystems betrifft – und der ein neues Verständnis von „Wachstum“ erfordert. Für die europäischen Gewerkschaften ist daher klar, dass die Stimme der Beschäftigten bei der Gestaltung dieses Wandels gehört und ernstgenommen werden muss. Wenn der Europäische Grüne Deal kein „Sozialer Deal“ ist, kann er nur scheitern.
Lukas Hochscheidt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Europäische und Internationale Gewerkschaftspolitik beim DGB Bundesvorstand. Er studiert Politikwissenschaften und European Affairs in Nancy, Berlin und Paris
Susanne Wixforth ist Referatsleiterin in der Abteilung für Europäische und Internationale Gewerkschaftspolitik beim DGB Bundesvorstand.
Jan Philipp Rohde ist Referent für Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitspolitik beim DGB Bundesvorstand.
Hochscheidt, Lukas; Wixforth, Susanne; Rohde, Jan Philipp
Gewerkschaftliche Perspektiven / Lukas Hochscheidt, Susanne Wixforth und Jan Philipp Rohde. - Berlin : Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Internationaler Dialog, 2021. - 16 Seiten = 670 KB, PDF-File. - (Europa)Electronic ed.: Berlin : FES, 2021ISBN 978-3-96250-837-1
Publikation herunterladen (670 KB, PDF-File)
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Wirtschaft: Vera Gohla030 26935-8331Vera.Gohla(at)fes.de
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