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Vor der Europawahl am 26. Mai sprachen wir mit Marco Funk aus dem FES-Europabüro in Brüssel und baten ihn um eine Einschätzung.
Bild: Europäisches Parlament von Oprea Marius / unsplash lizenziert unter CC0 1.0
Bild: Marco Funk von privat
FES: Am 26. Mai wählen die europäischen Bürger_innen ein neues Parlament. Wie wird sich die Zusammensetzung des neuen Parlaments voraussichtlich vom alten unterscheiden?
Marco Funk: Das neue Parlament wird sich in vielerlei Hinsicht vom alten unterscheiden. Laut Umfragen werden die zwei größten Fraktionen im Europäischen Parlament (EP), die Europäische Volkspartei und die Sozialdemokraten, keine Mehrheit mehr bilden. Rechtskonservative Parteien werden vermutlich mehr Stimmen gewinnen als bei der letzten Wahl. Eine Mehrheit der Abgeordneten werden sie allerdings auch nicht stellen können. Der Parteichef der italienischen Lega, Matteo Salvini, hat die Gründung einer neuen euroskeptischen Fraktion angekündigt, doch die meisten Mitglieder dieser „Europäischen Allianz der Völker und Nationen“ sind bereits Mitglieder einer bestehenden europakritischen Fraktion, die nach der Wahl aufgelöst werden sollte.
Es bleibt weiterhin unklar, wie sich die erstmalige Teilnahme der französischen La République en Marche! (LREM) von Emmanuel Macron an der Europawahl auf die Zukunft der liberalen Fraktion im EP auswirken wird. Eine Auflösung der Liberalen mit anschließender Gründung einer zentristischen Fraktion mit Macrons Abgeordneten wurde vom aktuellen Vorsitzenden der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), Guy Verhofstadt, angedeutet. Kurz gesagt: die Mehrheitsbildung im neuen Parlament wird schwierig sein; die europapolitische Landschaft fragmentiert sich zunehmend.
Das Thema Fluchtmigration war in den letzten Jahren sehr präsent. Mittlerweile scheint es nicht mehr im Zentrum der europäischen Medienöffentlichkeit zu stehen. Wo steht Europa beim Thema Migration heute? Wäre die EU heute besser aufgestellt, um mit migrationspolitischen Herausforderungen in der Größenordnung der Jahre 2014/2015 bis 2017 umzugehen oder erschwert die europäische Uneinigkeit weiterhin die politische Handlungsfähigkeit?
Die EU ist heute viel besser auf irreguläre Migration vorbereitet als noch vor 5 Jahren. Seit 2015 wurden viele neue Maßnahmen beschlossen, von den Hotspots auf griechischen Inseln bis hin zur massiven Aufstockung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Eine umfassende Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems wurde angestoßen, blieb allerdings aufgrund der Uneinigkeit der Mitgliedsstaaten über die Umverteilung von Geflüchteten in Europa unvollendet.
Seitdem Matteo Salvini im Juni 2018 italienischer Innenminister wurde, erzwingt er die Umverteilung von Geflüchteten, die im zentralen Mittelmeer gerettet werden, in sehr kurzfristigen Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten nach jeder Rettung. Überdies wurde die Arbeit von nichtstaatlichen Seenotretter_innen stark eingeschränkt und der gemeinsame europäische Marineeinsatz im Mittelmeer, Operation Sophia, auf Luftaufklärung und Unterstützung der libyschen Küstenwache beschränkt. Die langfristige Beständigkeit dieser Zwischenlösungen ist höchst fraglich. Ein neuer Krieg in Libyen könnte die fragile Dynamik sehr schnell überlasten.
Welche Szenarien sind für die neue Legislaturperiode des Parlaments und auch der Kommission ab November 2019 beim Thema Migration denkbar?
Sehr viele Variablen werden die nächste Legislaturperiode der EU-Institutionen beeinflussen. Neben den fragmentierten Wahlergebnissen schwebt auch der Brexit über dem Parlament. So ist zum Beispiel der Vorsitzende des für Migrationspolitik entscheidenden Ausschusses im EP ein britischer Labour-Abgeordneter. Das politische Gerangel um seine Nachfolge sowie um andere Schlüsselpositionen im Parlament wird auch mit Hinblick auf die zukünftige Ausrichtung des EPs in Migrationsfragen erfolgen. Dazu kommt die Wahl der neuen Kommissionspräsidentin/ des neuen Kommissionspräsidenten sowie die notwendige Bestätigung aller neuen Kommissar_innen durch das Parlament. Die Fortsetzung der Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems wird daher vermutlich erst nächstes Jahr erfolgen können. Es wäre aber auch möglich, dass das neue Parlament die Reform aufgrund einer migrationskritischeren Zusammensetzung und der bestehenden Uneinigkeit im Rat einfach einstellt. Somit wäre die europäische Migrationspolitik nach der Wahl genau da, wo sie jetzt ist.
Marco Funk ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des FES-Europabüros Brüssel, Themenfeld Migration
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