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Während die Kryptowährung Bitcoin seit der Finanzkrise 2008 wiederkehrend heiß diskutiert wird, sind sogenannten Regionalwährungen weitaus weniger bekannt. Wer sich in Deutschland und Europa umschaut stellt aber fest, es gibt sie, die erfolgreichen regionalen Zahlungsmittel. Was in den Wirtschaftswissenschaften als Komplementärwährung beschrieben wird, könnte auch im Kontext kommunaler Klimapolitik zum Nukleus werden.
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Dieses Interview haben wir in Vorbereitung auf unser Online-Seminar "Die Kommune von morgen: Demokratisch, dezentral und dekarbonisiert?" geführt. Unter dem Titel "Mobilität und öffentliche Räume" (Di.,08.12.2020, 17-19 Uhr) und "Resiliente Kommune" (Do., 10.12.2020, 17-19 Uhr) luden wir Sie ein, die Perspektive der Wissenschaft und die, u.a. daraus resultierenden Projekte und Strategien kommunaler und regionaler Akteure kennenzulernen.
Als Christian Gelleri, Betriebswirtschaftler und Pädagoge, in den frühen 2000er Jahren an die Waldorfschule in Prien am Chiemsee kommt, ist von einer Regionalwährung noch nichts zu erahnen. Eine Schülerfirma hat sich zur Aufgabe gemacht, eine neue Turnhalle zu finanzieren. 17 Jahre später entsteht hieraus eine der erfolgreichsten Regionalwährungen Europas: der Chiemgauer.
Hören Sie Chrsitian Gelleri zur Entstehungsgeschichte.
Das Prinzip der Regionalwährungen ist eigentlich simpel: Der Chiemgauer kann im Wert von 1:1 gegen Euroscheine eingetauscht und dann regional begrenzt als Zahlungsmittel eingesetzt werden. Nicht alle Unternehmen der Region erkennen ihn an, mittlerweile beteiligen sich aber ca. 600 ansässige Firmen und Geschäfte, sodass ein Jahresumsatz von rund 7,5 Millionen Euro durchaus Beachtung verdient. Zentraler Unterschied zum Euro: Der Chiemgauer verliert mit der Zeit an Wert - und, das ist auch gewollt. Das Regiogeld soll nicht gespart, sondern möglichst zeitnah wieder in den regionalen Kreislauf zurückgeführt werden. Der in der Währung angelegten zeitlichen Wertverfall soll Verbraucher_innen nicht nur stimulieren vor Ort einzukaufen, sondern insbesondere dazu, das Geld baldmöglichst auszugeben. Sparen wird damit "teuer" - eine Entwicklung, die sich anhand der Zinspolitik auch beim Euro beschreiben lässt.
"Zur Funktionsweise des Chiemgauers und warum sich das Sparen nicht lohnt"
Als die „Mutter“ aller heutigen Regionalwährungen gilt das „Freigeld von Wörgl“ (Österreich). Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre entschied sich der sozialdemokratische Bürgermeister der Tiroler Kleinstadt, Michael Unterguggenberger, eine eigene regionale Währung in Umlauf zu bringen, um die Wirtschaft vor Ort wieder in Gang zu bringen und die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise abzufedern. Die Idee: Die Gemeinde vergibt für ortsansässige Bauprojekte sogenannte Arbeitsgutscheine, die dann in Wörgeler Geschäften als Tauschwährung eingesetzt werden können. Der Clou: Die Arbeitsgutscheine verlieren stetig an Wert, sodass sich das Sparen und Spekulieren nicht lohnt. Das Freigeld von Wörgl wird zur Erfolgsgeschichte: Innerhalb weniger Wochen verzeichnet die Gemeinde einen Wirtschaftsaufschwung und sinkende Arbeitslosenzahlen. Ziel erreicht.
Zwar unterscheidet sich die Situation des Chiemgauers heute vom Freigeld der 1930er Jahre, dennoch bleiben zwei zentrale Gemeinsamkeiten. Zum einen der in der Währung eingeschriebene zeitliche Wertverlust. Zum anderen geht beiden Währungsexperimenten diesselbe Grundidee voraus: Die Komplementärwährung soll einen Lösungsansatz für real bestehende Probleme liefern. Dass diese nicht zwangsläufig ökonomischer Art sein müssen, zeigt sich beim Chiemgauer.
"Wo sind Regionalwährungen heute erfolgreich um warum?"
Einen stabilen Geldkreislauf in der unmittelbaren Region aufzubauen hat nicht nur eine ökonomische, sondern automatisch auch eine ökologische Komponente. Wo regional eingekauft und produziert wird, kann die Abhängigkeit von anderen Regionen reduziert und damit die "Resilienz" gestärkt werden. Produktionswege verkürzen sich und wer vor Ort einkaufen kann, dem bleibt die Anfahrt zum Supermarkt auf der grünen Wiese erspart.
Die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Wende sieht auch Christian Gelleri gegeben. Gerade in wirtschaftlich wohlhabenden Regionen ist der CO2-Ausstoß zu hoch. Ein Problem, für dessen Lösung das Projekt Klima-Bonus in die Regiowährung integriert wurde. „Wir wollen Personen belohnen, die ein klimafreundliches Verhalten zeigen“, sagt Gelleri. Deswegen habe man beschlossen den Aspekt der Nachhaltigkeit auch explizit in die Währung zu integrieren. Wer repariert statt neu kauft, wird von nun an mit Klima-Boni belohnt - Geld, das später regional wieder eingesetzt werden kann.
"Wie kann mit dem Chiemgauer ein Beitrag zum kommunalen Klimaschutz geleistet werden? Wie kann, z.B. der individuelle CO2-Austoß reduziert werden?"
Klimaschutz vor Ort sei „greifbarer“, sagt Gelleri im Gespräch. Aber, natürlich könne man nicht alle klimapolitischen Probleme über eine Regionalwährung lösen. In der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass viele Kommunen Ziele ausgäben, aber wenig in die Praxis umsetzten. Mehr Praxisnähe und mehr Erfahrbarkeit sei aber notwendig, um überhaupt auf Zustimmung stoßen zu können. Klimapolitik müsse zukünftig „erfahrbar sein“.
Regionalität führt außerdem dazu, dass wir endlich „richtig rechnen“, betont Gelleri. CO2-Ausgleichsmaßnahmen, die in Subsahara-Afrika bezahlt werden, erweisen sich als deutlich günstiger, als vor Ort in die Tasche zu greifen. Ein fragwürdiger Ansatz, denn „die Region ist unser Anker und deswegen brauchen wir vor Ort die guten Beispiele", findet der Betriebswirt.
Am Ende aber gehe es auch um die Demokratisierung von Geld, stellt Gelleri fest. Eine Regionalwährung sei eine Art „public-citizenship-partnership“, denn es gehe ja gerade nicht um Gewinne und Rendite. Dieser Ansatz sei zwar mühsam, aber ermögliche immerhin gesellschaftliche Ziele zu integrieren und im Sinne des Gemeinwohls zu agieren.
"Warum Regionalität beim Klimaschutz so wichtig ist"
Wer sich die Landkarte anschaut stellt fest, dass die Zahl der Regionalwährungen in den letzten Jahren wieder gesunken ist. In jedem Fall ist das in Deutschland so. Anderswo, insbesondere in wirtschaftlich schlechter gestellten Regionen, boomen die Alternativen zum Euro. Das beste Beispiel ist Sardinien. Zwar geht es dort weniger um Bargeld und vielmehr um Kreditvergabe (Sardex), das Prinzip ist aber dasselbe.
Warum sich der Chiemgauer durchgesetzt hat während andere Regionalwährungen wieder in der Versenkung verschwunden sind, ahnt Christian Gelleri: "Die Einbettung in den Kommunen war nicht so gut", d.h. oft gingen die Iniativen von Einzelpersonen aus. Außerdem sei oft nicht klar gewesen, was genau mit einer Komplementärwahrung erreicht werden solle. Wenn sich kommunale Akteure heute an Gelleri wenden, dann empfiehlt er immer sich nicht in erster Linie auf das Bargeld zu fokussieren, sondern auf die digitale Abwicklung. Denn Regionalwährungen unterliegen demselben Trend wie der Euro auch: Zunehmend werden Transaktionen online abgeschlossen und wer die junge Generation erreiche wolle, der dürfe diesen Trend nicht übersehen. Bei den Regionalwährungen sei es im Grunde wie bei vielen anderen Start-Ups auch: "Wenn 50 starten, werden ein oder zwei erfolgreich". Eines ist Gelleri noch wichtig: Der Chiemgauer sei ohne das ehrenamtliche Engagement seiner Mitglieder nicht denkbar gewesen.
Welchen Beitrag der Klima-Bonus am Ende für den Klimaschutz leisten kann, ist nach seiner Einfürhung im Oktober 2020 noch kaum absehbar. Die direkte Einbindung der Bürger_innen und die Transparenz des Ansatzes könnten aber durchaus eine Vorbildfunktion für andere Projekte kommunaler Klimapolitik sein.
Lesetipp: Das "Klima-Handbuch für Kommunen" des Bayernforums der FES beschäftigt sich mit vielen weiteren Best-Practices. Hier finden Sie weitere Informationen.
Das Gespräch führte Ann-Mareike Bauschmann
KommunalAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Kauft regional! von picure alliance | Jochen Track
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