Die FES trauert um ihr ehemaliges Vorstandsmitglied Egon Bahr
Egon Bahr (* 18. März 1922; † 20. August 2015) gehörte zu den bedeutendsten Sozialdemokraten der Bundesrepublik. Gemeinsam mit Willy Brandt, dessen enger Vertrauter er war, prägte Bahr 1963 die Formel "Wandel durch Annäherung", die ihnen während der sozial-liberalen Koalition als Grundlage für ihre Neue Ostpolitik diente. Damit trug er entscheidend zur Überwindung der deutschen Teilung und der Spaltung Europas bei. Als international anerkannter Gesprächspartner setzte er sich bis ins hohe Alter für die Sicherung des Friedens und die Völkerverständigung ein.
Im Jahr 1922 in Thüringen geboren, erlebte Bahr den Zweiten Weltkrieg als Soldat. Nach 1945 arbeitete er zunächst als Journalist. Der SPD schloss er sich 1956 an. Von 1960 bis 1966 leitete er das Presse- und Informationsamt des Landes Berlin, war also der Sprecher des von Willy Brandt als Regierender Bürgermeister geführten Senats. Danach wechselte er mit ihm ins Auswärtige Amt, wo er von 1967 bis 1969 für die Planungsabteilung verantwortlich zeichnete. Im Jahr 1969 folgte er Brandt als Staatssekretär und Bundesbevollmächtigter für Berlin ins Bundeskanzleramt. Von 1972 bis 1974 amtierte Bahr als Bundesminister für besondere Aufgaben.
In diesen Jahren setzte er die neue Deutschland- und Ostpolitik gemeinsam mit dem Bundeskanzler Willy Brandt in praktische Politik um. Als "Architekt der Ostverträge" machte er sich für kooperative Beziehungen zur Sowjetunion, zu Polen, der DDR und der Tschechoslowakei stark. Stets war Bahr darauf bedacht, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern und das tägliche Miteinander zwischen West und Ost zu erleichtern. Bei der Durchsetzung dieser Ziele halfen ihm seine vertraulichen Kontakte, die er sukzessive zu seinen Verhandlungspartnern in den Warschauer-Pakt-Staaten aufbaute. Seine Entspannungspolitik war eine Politik der kleinen Schritte, die schließlich zum Erfolg führte.
Bahr, der seit 1972 dem Deutschen Bundestag angehörte und von 1974 bis 1976 als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit fungierte, war einer der profiliertesten Vordenker der SPD. Von 1976 bis 1981 prägte er sie als Bundesgeschäftsführer. Seinem entspannungspolitischen Anliegen blieb er treu. Von 1980 bis 1982 war er Mitglied der von Olof Palme initiierten "Unabhängigen internationalen Kommission für Abrüstung und Gemeinsame Sicherheit". Von 1984 bis 1994 leitete Bahr als Wissenschaftlicher Direktor das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg.
Egon Bahr und die Friedrich-Ebert-Stiftung waren auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Von 1979 bis 2000 wirkte Egon Bahr im Vorstand mit und prägte ganz wesentlich die internationale Arbeit der FES. Seit 2012 vergibt das Stiftungsbüro in Moskau das Egon-Bahr-Fellowship für eine neue Generation von politisch denkenden und handelnden Nachwuchsführungskräften, um die deutsch-russischen Beziehungen zu vertiefen. Das Archiv der sozialen Demokratie verwahrt Bahrs Nachlass und regt Forschungen zu seinem Wirken an.
"Wandel durch Annäherung"
Mit Egon Bahr untrennbar verbunden ist der Wechsel zu einer neuen Ost- und Deutschlandpolitik in den 1960er Jahren. Im Klima der Entspannung sollte eine Wiedervereinigung beider deutscher Staaten möglich werden. Der Fall der Mauer 1989 offenbarte, wie visionär Bahrs Thesen waren.