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Wie lassen sich beim sozial-ökologischen Umbau skeptische Milieus an Bord holen lassen: Antworten liefert eine Umfrage in 19 Ländern der EU und Nordamerika. Claudia Detsch ordnet das Ganze im Interview für uns ein.
Das Kompetenzzentrum Klima und soziale Gerechtigkeit der FES mit Sitz in Brüssel hat eine Bevölkerungsbefragung in 19 europäischen und nordamerikanischen Ländern durchführen lassen. Umfragen zum Thema Klima gibt es derzeit einige. Warum erschien euch das nötig?
Die Klimapolitik ist inzwischen ein recht umstrittenes Feld, ich denke, das erklärt auch das Bedürfnis nach Umfragen. Denn in der Klimafrage haben wir es auch mit einem auf den ersten Blick widersprüchlichen Phänomen zu tun. Einerseits drängen viele Menschen auf einen engagierteren Klimaschutz. Und andererseits treffen konkrete Maßnahmen aber häufig auf starken Protest. Zudem hat sich die Rechte dieses Thema zu ihrem Spielfeld erkoren. Das kommt gleich nach der Migrationspolitik.
Was ist das Besondere an eurer Umfrage?
Zum einen natürlich die Breite. Einen solchen Vergleich zwischen 19 Ländern, davon 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, findet man sonst nicht. Und zum anderen der Blick in die unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus. Denn damit wollten wir gerade den oben genannten Widerspruch näher erkunden und konkrete Lösungen ausfindig machen. Wie lässt sich verhindern, dass Klimapolitik zum Zündstoff neuer Kultur- und Klassenkämpfe wird? Wo lauern gesellschaftliche Barrieren? Wie lassen sich verschiedene Milieus motivieren? Das waren unsere Kernfragen.
Wonach habt ihr konkret gefragt?
In der durch das SINUS-Institut für die FES durchgeführten Bevölkerungsbefragung wurden vier zentrale Bereiche abgefragt: das Problembewusstsein rund um Stellenwert und Relevanz des Themas Klima; die Einstellungen, Motivatoren und Barrieren klima- und umweltbewusster Verhaltensweisen; die Beurteilungen und Einstellungen zum Wandel der Lebens- und Wirtschaftsweise inkl. der Zustimmung oder Ablehnung zu konkreten politischen Maßnahmen und das Informationsinteresse und der Kenntnisstand zu Klima und politischen Maßnahmen.
Und wie wichtig sind Klimawandel und Klimaschutz nun für die Befragten?
Wichtig, keine Frage. Rund 80% der Befragten haben Angst vor dem Klimawandel.
Das ist eine klare Ansage.
Richtig. Es gibt aber auch ein „aber“. Fast zwei Drittel der Befragten stimmen der Aussage zu, dass es in ihrem Land wichtigere Probleme als den Klimawandel gibt. Der Temperaturanstieg steht also in einem Bedeutungswettbewerb. Spätestens wenn die Menschen den Eindruck haben, dass klimapolitische Maßnahmen Probleme verschärfen, die ihnen wichtiger erscheinen, ist Ärger vorprogrammiert.
Du hast von unterschiedlichen Milieus gesprochen. Wie muss ich mir das konkret vorstellen, wenn es um die Haltung zum Klima geht?
Generell weisen die Milieus des unteren und mittleren sozialen Status dem Thema Umwelt-, Natur und Klimaschutz eine deutlich geringere Bedeutung zu als die Milieus der oberen sozialen Statusgruppe. Zugleich zeigt die Befragung, dass sich die für einen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft eintretenden Milieus überdurchschnittlich, traditionellere Milieus mit niedrigem bis mittleren sozialen Status im Gegensatz unterdurchschnittlich gut informiert fühlen. Offenkundig holt man bislang die ohnehin am Thema Interessierten besser ab als die Zweifler. Für die Durchsetzung der Reformagenda Richtung Klimaneutralität wird man aber auch die Nicht-bereits-Überzeugten besser ansprechen müssen.
Noch deutlicher wird das bei der Frage, ob politische Maßnahmen für einen Wandel hin zu einer klima- und umweltfreundlicheren Wirtschaft aus Sicht der Befragten ausreichend erklärt und erläutert werden. 69% verneinen dies, 31% stimmen zu. Auch hier sind die Milieu-Unterschiede beachtlich. Hier leitet sich aus den Ergebnissen dieser Umfrage ein klarer Auftrag an die Politik ab, die klimapolitischen Reformen umfassender anzukündigen und breiter gesellschaftlich zu debattieren, sie in ihrer praktischen Konsequenz zu erläutern und sie anschließend mit einem verlässlichen Planungshorizont und in nachvollziehbaren Schritten umzusetzen.
Welche Schlüsse zieht ihr aus der Umfrage?
Beim Blick auf die Ergebnisse wird klar: Der Blick muss auch und gerade zu den (stark) verunsicherten und kritisch-zurückhaltenden Milieus gehen. Dort macht sich zunehmend Verunsicherung breit; die Vorstellung einer „großen Transformation“ erzeugt wachsende Abstiegsängste. Dabei kommt der jungen modernen Mittelschicht eine zentrale Rolle zu – das SINUS-Institut bezeichnet sie als Adaptive Navigators. Dieses Milieu ist aufgeschlossen, zielstrebig, gut ausgebildet, flexibel, anpassungsbereit, modern und generell offen für Neues – und daher eigentlich gut zu erreichen für das Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft. Doch aktuell stehen für dieses Milieu trotz grundsätzlicher Offenheit für Klimathemen die persönlichen Nachteile des bevorstehenden Wandels im Vordergrund. Für Klimapolitik heißt das: diese Wahrnehmungen eigener Nachteile müssen verringert, Zweifel an der Umsetzbarkeit notwendiger Maßnahmen ausgeräumt und neben den Gemeinwohlaspekten auch ein unmittelbarer persönlicher Zusatznutzen herausgestellt werden. Gelingt es, die moderne Mitte von konkreten Maßnahmen zu überzeugen, so hat das auch Auswirkungen auf die angrenzenden Milieus – und damit auf die Erfolgsaussichten einer ambitionierten Klimapolitik.
Was bedeutet das für die aktuelle Debatte rund um staatliche Investitionen und Förderprogramme?
Der Umbau wird für die Staaten nicht zum Null-Tarif zu haben sein – daran lassen die Ergebnisse keinen Zweifel. Angesichts finanziell begrenzter Spielräume und erheblichen Mehraufwands in anderen Politikbereichen wie Sicherheit und Verteidigung oder Pflege und Erziehung kann es hier einerseits zu starken Interessen- und Verteilungskonflikten kommen. Gleichzeitig machen die Ergebnisse sehr deutlich, dass an einer sozialen Abfederung ebenso wie an einer staatlich flankierten Struktur- und Arbeitsmarktpolitik für die Befragten kein Weg vorbeiführt.
Während finanzielle Förderung oder Kompensation, sei es für Einzelpersonen oder Unternehmen, auf großen Zuspruch stoßen, erfreuen sich Verbote oder höhere Preise nur geringer Beliebtheit. Exemplarisch danach gefragt, wie die Wärmewende vonstattengehen sollte, sehen lediglich 8% bzw. 6% der Befragten sie jeweils als das geeignetste Mittel im Kampf gegen den Klimawandel. Ohnehin stimmen fast Dreiviertel der Befragten der Aussage zu, es ärgere sie, wenn andere ihnen vorschreiben wollen, wie sie leben sollten. Diese Art der empfundenen Bevormundung steht mit 73% an erster Stelle der Barrieren für klimabewusstes Verhalten.
Die vollständige Studie, den Länderbericht Deutschland, eine interaktive Karte zu den Länderergebnissen sowie weitere Informationen finden Sie auf der Website.
Claudia Detsch leitet das FES-Kompetenzzentrum für Klima und Soziale Gerechtigkeit mit Sitz in Brüssel. Zuvor war sie Chefredakteurin des IPG Journals in Berlin und Herausgeberin der in Buenos Aires erscheinenden Zeitschrift Nueva Sociedad. Von 2008 bis 2012 leitete sie das FES-Büro in Ecuador und das regionale Energie- und Klimaprojekt der Stiftung in Lateinamerika.
Detsch, Claudia
Wie sich beim sozial-ökologischen Umbau gesellschaftliche Barrieren überwinden und skeptische Milieus an Bord holen lassen ; Internationaler Vergleich / Claudia Detsch ; Herausgebende Abteilung: Competence Centre for Climate and Social Justice - FES Just Climate. - Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung e.V., 2024. - 22 Seiten = 1 MB, PDF-File. - (Europa)Electronic ed.: Brussels : FES, 2024ISBN 978-3-98628-463-3
Zum Download (PDF) (1 MB, PDF-File)
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