Im Rahmen der von KANTAR Public im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung im Februar und März 2021 [2] durchgeführten Umfrage „Bewahren oder Verändern? Politik nach Corona“ [3] wurde unter anderen auch nach der Wahlneigung für die Bundestagsparteien gefragt. Dabei sollten die Befragten angeben, wie wahrscheinlich es ist, dass sie eine bestimmte Partei jemals wählen würden – auf einer Skala von (1) „würde diese Partei mit Sicherheit nicht wählen“ bis (11) „würde diese Partei mit Sicherheit wählen“. Gab eine Person beispielsweise für die SPD einen Wert über dem Skalenmittelpunkt (6) an und tendierte damit eher dazu, zukünftig für die Sozialdemokratie zu votieren, wurde diese Person als Teil des SPD-Parteipotenzials gezählt. Das Säulendiagramm in Abbildung 1 gibt Auskunft über die Größe der Partei- bzw. Wähler_innenpotenziale von SPD, Union und Grünen. Demnach lagen die Potenziale für alle drei etwa zwischen 40 und 50 Prozent, wobei die SPD mit knapp 41 Prozent den (statistisch signifikant, p<0,05) schlechtesten, die Unionsparteien mit 49 Prozent den (statistisch signifikant) besten Wert erreichten.
Aus der einfachen Addition der drei Werte wird bereits deutlich, dass es zwischen den Parteipotenzialen große Überschneidungen gab. Diese sind im Tortendiagramm in Abbildung 1 aufgeschlüsselt. Nur rund ein Viertel der Wähler_innen war demzufolge weder dem SPD-, Unions- noch dem Grünen-Potenzial zuzurechnen (weißes Tortenstück), umgekehrt waren drei von vier Wahlberechtigten für mindestens eine der drei Parteien erreichbar. Blickt man auf die nicht umkämpften Parteipotenziale, die sich aus den Personen zusammensetzen, die nur für eine der drei Parteien eine positive Wahlneigung („unique“ in Abbildung 1) angaben, zeigen sich deutliche Unterschiede. Während 15 Prozent weder Wahlneigungen für die SPD noch für die Grünen, aber für die Unionsparteien aufwiesen, waren solche Anhänger_innen bei den Grünen mit zehn Prozent bereits deutlich weniger, und mit fünf Prozent für die SPD war diese Gruppe am kleinsten. Die Unterschiede von jeweils fünf Prozentpunkten aus dem Säulendiagramm der Abbildung 1 finden sich damit in dieser Wahlneigung wieder. Der Unterschied zwischen den drei Konkurrentinnen lag also nicht in unterschiedlich großen Überschneidungen, sondern in den unterschiedlich großen Gruppen, die nur zu einer der Parteien neigten. Zusammen mit dem weißen Tortenstück machte dies etwa 55 Prozent der Wahlberechtigten aus.
Die verbleibenden knapp 45 Prozent und damit fast die Hälfte aller Wahlberechtigten waren Teil der Parteipotenziale von mindestens zwei der drei großen Parteien. Diese Personen sind in den herausgerückten Tortenstücken in Abbildung 1 zu finden. Sie repräsentieren die Potenzialüberschneidungen zwischen SPD, Union und Grünen. Die Überschneidungen der drei möglichen Zweierkonstellationen waren ähnlich groß. Jeweils (knapp) zehn Prozent der Wahlberechtigten waren Anhänger_innen von zugleich entweder SPD und Grünen oder SPD und Union oder Union und Grünen. Mit 17 Prozent war die Gruppe der Personen, die sich in den Parteipotenzialen von sowohl Union als auch SPD und Grünen verorteten, deutlich größer. Insgesamt ließ sich somit vor den Nominierungen der Kanzlerkandidat_innen von Union und Grünen, vor dem Beginn des Wahlkampfes viel Überschneidung in den Parteipotenzialen feststellen. Viele Anhänger_innen waren offen für verschiedene Parteien und demzufolge auch eher bereit, die Parteipräferenz kurzfristig zu ändern. Ein möglicher Grund für Potenzialüberschneidungen liegt in inhaltlich ähnlichen politischen Einstellungen von Anhänger_innen unterschiedlicher Parteien. In der oben erwähnten Umfrage wurde ermittelt, welche Themen den Bürger_innen am Herzen lagen, wo sie die Prioritäten hinsichtlich einiger aktueller Sachfragen sahen. Dazu wurde ein sogenanntes Maximum Difference Scaling durchgeführt, durch welches sich die Sachfragen nach individueller Relevanz anordnen lassen.