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Mikrofilme im AdsD

Mikrofilme sind normalerweise ein Medium der Sicherheitsverfilmung. In Bezug auf unser heutiges Objekt dienen die aber auch als Ersatz für Dokumente, die im Original für uns verloren sind, weil sie nach der Verfilmung nicht mehr zu uns zurückkommen werden. 

Was häufig vermutet wird: Das Archiv der sozialen Demokratie ist das alte Parteiarchiv der SPD und auch Lagerort alter Mitgliederverzeichnisse aus vorbundesrepublikanischer Zeit.

Die Recherche in den Amsterdamer Nachlässen ist heute online möglich, und im Bonner Archiv der sozialen Demokratie stehen die Mikrofilme von Amsterdamer wie von Moskauer Beständen samt Findbüchern zur Einsicht bereit.

Beides ist falsch, denn Mitgliederlisten oder –karteien aus den Parteibüros sind wohl bis auf wenige Ausnahmen nicht erhalten geblieben und die Geschichte des Parteiarchivs endet 1938, als die Bestände zunächst ausgelagert und dann, zur Finanzierung der politischen Arbeit in Widerstand und Emigration 1938, an das Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (IISG) in Amsterdam, verkauft wurden.

Trotzdem konnte man die meisten der „alten“ Bestände schon in der Vor-Internet-Zeit auch im Archiv der sozialen Demokratie einsehen: 1978 unterzeichneten der Leiter des Forschungsinstitutes der FES Horst Heidermann und der Direktor  des IISG J. R. van der Leeuw eine Vereinbarung über die Verfilmung von Archivbeständen aus dem IISG.

Seither stehen in Bonn die Mikroverfilmungen von Nachlässen führender Persönlichkeiten der deutschen Sozialdemokratie im Kaiserreich zur Nutzung bereit, so u.a. die Nachlässe von August Bebel, Eduard Bernstein, Paul Hertz, Moses Hess und von Julius Motteler.

Die Biografie eben dieses Herrn Motteler ist eng mit der Geschichte der SPD und auch mit der des alten Parteiarchivs verknüpft:

Er besaß das Talent, mitreißende Reden zu halten und organisierte seit den 1860er Jahren Arbeiterversammlungen und 1869 [vor 150 Jahren!], nahm Julius Motteler in Eisenach an der Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) teil.

Als einer von sechs sächsischen Abgeordneten – unter ihnen August Bebel und Wilhelm Liebknecht, die sich aber in Festungshaft befanden – wurde Motteler 1874 in den Deutschen Reichstag gewählt.

Im Mai 1878 sprach er, der schon seit 1867 öffentlich die Kinderarbeit in den Fabriken anprangerte, im Reichstag über die Ausbeutung von Kindern und Frauen, forderte das Verbot der Kinderarbeit und die Begrenzung der Arbeitszeit für Arbeiterinnen und Jugendliche.

Nach Erlass des Sozialistengesetzes schickte August Bebel Julius Motteler nach Zürich, betraute ihn mit Geschäftsführung und Vertrieb der Parteizeitung „Sozialdemokrat“. Julius Motteler ging gemeinsam mit seiner Frau Emilie in die Schweiz und organisierte am Züricher Wohnsitz, in Parteikreisen später „Olymp“ genannt, den illegalen Vertrieb des „Sozialdemokrat“.

Motteler kümmerte sich nicht nur um den Versand weiterer Druckschriften und die Betreuung ausgewiesener und bedürftiger Sozialdemokrat_innen, sondern – hier befinden wir uns mitten in der Geschichte es alten Parteiarchivs – die Sammlung von Archivalien zur Parteigeschichte, die Entgegennahme und Verwertung von politischen Situationsberichten u.v.m., kurz: Motteler war der richtige Mann für den richtigen Posten, das dies trug ihm den Ehrentitel „Roter Feldpostmeister“ ein.

Der erste geheime Kongress der deutschen Sozialdemokrat_innen in Schloss Wyden / Kanton Zürich - organisiert von Julius Motteler - hatte im August 1880 den Antrag Hermann Schlüters angenommen, ein  Parteiarchiv auf schweizerischem Boden zu errichten. Schlüter leitete das Archiv und baute es aus, während Julius Motteler neben seiner Tätigkeit als Expediteur eine Sammlung aller Materialien aus seiner Spitzelabwehrtätigkeit anlegte: Notizen und Briefe, die ihm von anderen zu Verfügung gestellt wurden. Mehr und mehr entwickelte sich der Postmeister der Partei auch zu ihrem fleißigsten und sorgsamsten Archivar.

 

1888, als die Mannschaft des „Sozialdemokrat“ nach ihrer Ausweisung aus der Schweiz in London eintraf, brachte sie 16 große Kisten mit. In London wurde diese „Archiv-Bücherei“ der Sozialdemokratischen Partei im Hause Eduard Bernsteins aufgestellt, ab 1891 vollzog sich  - in kleinen Schritten - die Rückführung des Archivs nach Berlin, wo es bis zur NS-Zeit blieb.

Der Kreis schließt sich:

Heute kann man im AdsD zwei Teilnachlässe Julius Mottelers einsehen. Einer  – s.o. – in Form einer Mikroverfilmung aus dem IISG Amsterdam und ein zweiter, ebenfalls eine Mikroverfilmung, aus dem Russischen Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte (RGASPI) in Moskau.

Auch hier haben sich Archivleiter zusammengesetzt und so konnten seit den 1990er Jahren eine Reihe zum Teil sehr umfangreicher Bestände von führenden Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung aus der Zeit vor 1918 auf Mikrofilm erworben werden. 

Teils sind das Bestände, die die sowjetische Besatzungsmacht bei Kriegsende aus deutschen Archiven entnommene hatte, teils handelt es sich um eigene Erwerbungen des Moskauer Archivs. Mit dabei sind  u.a. die Bestände August Bebel, Johann Philipp Becker, Wilhelm Dittmann, Kurt Eisner, der Familie Engels, Ludwig Feuerbach, Ferdinand Freiligrath, Max Grunwald, Moses Hess, Karl und Luise Kautsky, Ludwig Kugelmann, Laura und Paul Lafargue, Ferdinand Lassalle, Karl Liebknecht und Wilhelm Liebknecht, Rosa Luxemburg.

Archiv der sozialen Demokratie

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