Mitgliedsbuch Zwangsvereinigung

Der Weg bis zu Zwangsvereinigung von (Ost-)SPD und KPD in der SBZ hin zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zieht sich über Monate hin und wird begleitet von repressiven Maßnahmen, die sowohl in physischer als auch psychischer Form ausgeübt werden. Am 21./22. April 1946 findet der Zusammenschluss der beiden Parteien im Rahmen eines Vereinigungsparteitags im Berliner Admiralspalast statt. Die Delegierten von SPD und KPD stimmen hier unter scheinbar demokratischen Bedingungen für die Gründung der SED und wählen zu ihren Vorsitzenden als Doppelspitze Wilhelm Pieck (KPD) und Otto Grotewohl (SPD), die beide bis 1954 im Amt bleiben werden

Doch, wie konnte es so zu dieser Zwangsvereinigung kommen? Erst im Juni des vorangegangenen Jahres, in dem gerade einmal der Zweite Weltkrieg von den Alliierten Streitkräften beendet worden war, hatte die SMAD in der SBZ ausdrücklich den Befehl zum Aufbau „antifaschistischer, demokratischer Parteien“ in ihrer Zone ergehen lassen. Unter Führung Wilhelm Piecks wurde der Öffentlichkeit am 11. Juni 1945 die Gründung der KPD mitgeteilt und nur wenige Tage später folgte der Gründungsaufruf des Zentralausschusses der SPD Berlin mit ihren Vertretern Grotewohl, Fechner, Gniffke und Dahrendorf. Am 15. September 1945 erlaubte die britische Militärregierung die Gründung politischer Parteien in ihrer Zone, um das „Wachstum des demokratischen Geistes zu fördern“ und Wahlen vorzubereiten. Im Februar 1946 folgte General Clay mit einem ähnlich lautenden Erlass für die gesamte amerikanische Besatzungszone. Die Basis für einen demokratischen Neuanfang war damit gelegt und die Ausgangslage scheinbar günstig.

Zu den typischen Anfragen an ein politisches Archiv gehört u.a. auch die zur Parteimitgliedschaft z. Bsp. eines Familienangehörigen. Im Gegensatz zur verbreiteten Annahme, ein Archiv sei in der Lage lückenlos sämtliche Mitgliedschaften nachzuweisen, ist dem nicht so. Dies liegt u.a. an der fehlenden gesetzlichen Anbietungspflicht.

Das AdsD führt eine kleine Sammlung mit SPD-Parteibüchern bzw. -Mitgliedsausweisen, von denen einige stille Zeugen der Zwangsvereinigung sind. Mitgliedsbücher enthalten üblicherweise Name, Geburtsdatum, Anschrift und Mitgliedsnummer. Ursprünglich diente ein Mitgliedsbuch der fortlaufenden Dokumentation der gezahlten Mitgliedsbeiträge. Der hier abgebildete Mitgliedsausweis ist insofern interessant, da er den Übergang von der SPD über die Zwangsvereinigung hin zur SED bildlich nachvollziehbar macht: so sind die ersten Beitragsmarken noch der SPD zuzuordnen, gefolgt im weiteren Verlauf von SED-Beitragsmarken und der Darstellung des Handschlags. Das spätere reguläre SED-Parteibuch ist in Rot gehalten, gebunden und neben dem Handschlag mit dem Konterfei von Karl Marx versehen.

An sich gibt es zu diesem Zeitpunkt noch, bedingt durch die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung und des Widerstands während der NS-Zeit, sowohl in der SPD als auch in der KPD, die Idee sich nicht wie vor 1933 in einem Bruderkampf unter Vertretern von Arbeiterparteien aufzureiben, sondern eher mit vereinten Kräften in einer Partei voranzugehen. Doch der SPD kommen Zweifel u.a. aufgrund der Abhängigkeit der KPD von Moskau und der zunehmend erkennbar fehlenden demokratischen Strukturen. Anlässlich des 27. Jahrestages der Novemberrevolution fordert Pieck am 9. November 1945 auf einer Kundgebung der KPD in Berlin eine baldige Vereinigung von SPD und KPD. Der Druck Richtung Vereinigung seitens der KPD nimmt zu. So gibt der Berliner Zentralausschusses der SPD nach wochenlangem Drängen nach und veranstaltet am 20./21. Dezember 1945 eine gemeinsame Konferenz mit dem Zentralkomitee der KPD und den Vertretern der Landes- und Bezirksverbände, sowie Parteileitungen („Sechziger Konferenz“).  Zentraler Beratungsgegenstand: die Frage der Vereinigung von SPD und KPD. Grotewohl versucht zu diesem Zeitpunkt noch eine Vereinigung abzuwenden, indem er die privilegierte Stellung der KPD in der SBZ und den ausgeübten politischen Druck kritisiert. Zweifel und Kritik werden von der KPD offiziell in der Öffentlichkeit nicht thematisiert, stattdessen ein Beschluss publiziert, der den angeblichen Willen zur politischen und organisatorischen Einheit bekräftigt. Mittels Rundschreiben versucht der Berliner Zentralausschuss der SPD sich gegen diesen offiziellen Beschluss zu stemmen und warnt die Parteigliederungen davor selbstständig Vereinigungen vorzunehmen. Doch die Entwicklung ist kaum noch aufzuhalten, denn in zahlreichen Fällen kommt es durch Druck bereits eben zu genau diesen Vereinigungen. Methoden der Einschüchterung, aber auch Versammlungsverbote, direkte und indirekte Repressionen durch sowjetische Kommandanten verfehlen ihre Wirkung nicht. Sozialdemokraten, die gegen die Vereinigung sind, werden verhaftet oder vielfach unter Druck gesetzt und bedroht. Nicht wenige entscheiden sich in den Westen zu fliehen, um den Repressalien zu entkommen. Andere wagen noch zu hoffen, doch noch in einer paritätisch strukturierten Partei agieren zu können. Ein weiterer Teil entscheidet sich für die innere Emigration.

Die Verzweiflung über die Entwicklungen und einer sich anbahnenden Ausweglosigkeit kommt noch einmal im Rahmen eines Treffens der Vertreter des Zentralausschusses der Berliner SPD Anfang Februar 1946 in Braunschweig zum Ausdruck. Grotewohl und Dahrendorf schildern ihren Eindruck, dass die Entwicklung hin zu einer Einheitspartei nicht mehr zu verhindern sei. Dem Vorschlag Schumachers die SPD in der SBZ aufzulösen, entgegnet Grotewohl, dass dies nicht möglich sei und es nun vielmehr darum ginge, den sozialdemokratischen Einfluss in einer zukünftigen Einheitspartei zu sichern. Auf der zweiten Sechziger Konferenz am 26. Februar 1946 werden Entscheidungen über die programmatische Grundlage der Einheitspartei und den Weg des Zusammenschlusses getroffen. Entwürfe eines künftigen Parteiprogramms werden vorgelegt und ein Parteistatut verabschiedet, welches u.a. die paritätische Besetzung mit KPD und SPD Funktionären vorsieht. Letzteres wird später nicht der Fall sein. Auf der Funktionärskonferenz der Berliner Sozialdemokraten am 1. März 1946 wird schließlich die Entscheidung getroffen in der SBZ und in Berlin eine Urabstimmung zur Vereinigung der beiden Parteien abzuhalten. Eine endgültige Absegnung der Vereinigung zur SED findet auf dem Berliner SPD-Parteitag am 19./20. April 1946 statt, wo Otto Grotewohl über „Die Einheit der Arbeiterklasse“ spricht. Es folgt am 21./22. April die Zwangsvereinigung im Rahmen eines Konstituierungsparteitag der SED.

Als Symbol für die „überwundene Spaltung der Arbeiterbewegung“ und paritätische Vertretung der ehemals rivalisierenden Arbeiterparteien wird ein Handschlag gewählt, der von nun an auf Parteiabzeichen und Parteibüchern zu sehen sein wird.

Zwei Jahre nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD, mit der Kampagne zur „Schaffung einer Partei neuen Typs“, werden sozialdemokratische Betätigungen nun offiziell unter Strafe gestellt.  Erst mehr als 40 Jahre später wird es einer neu gegründeten Sozialdemokratischen Partei (SDP) wieder möglich sein sich in der DDR offen politisch zu betätigen.

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