Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG)

Dieses Objekt stammt aus dem NGG-Bestand unseres Archivs und ist nur ein Beispiel für die vielen Dinge, die uns bei der Materialsichtung ab und an überraschen, weil sie mit einer klassischen Akte doch wirklich gar nichts mehr zu tun haben. Wir gehen ziemlich fest davon aus, dass man diese Gerätschaft bei der Zigarren-Produktion verwendet – aufgrund fehlender Hinweise, müssen wir es aber in diesem Fall bei Spekulationen belassen.

Das Verzeichnis des NGG sowie weiterer Gewerkschaften vor 1933 (wie beispielsweise das des ADGB) sind über unseren iServer unter dem Titel „Digitalisierte Findmittel“ recherchierbar.

Genau Bescheid wissen wir aber natürlich über die NGG selbst:

Es waren die Zigarrenarbeiter_innen, die die Geschichte der NGG gewissermaßen eröffneten.
Am 27. Dezember 1865 gründeten sie in Leipzig den "Allgemeine(n) Deutsche(n) Cigarrenarbeiter-Verein" – und somit den ersten zentral organisierten nationalen Verbund der deutschen Arbeiterbewegung. Das macht die NGG als seine direkte Nachfolgerin zur ältesten Gewerkschaft Deutschlands

Die NGG selbst beschreibt ihren "Aufbruch" so:

"Die Zigarrenproduktion erfolgte zu dieser Zeit größtenteils in Heim- und Handarbeit. In den kleinen Arbeitsräumen – die meist zugleich Schlaf- und Wohnraum waren – arbeiteten Eltern, Kinder und ein oder zwei Gehilfen unter denkbar schlechten Bedingungen. Die Rohstoffe für die Zigarrenherstellung wurden zu überhöhten Preisen von Fabrikanten bezogen, die fertigen Zigarren später wiederum billig an sie verkauft. Durch die Verlagerung der Produktionsstätten in die Heime der Arbeiter sparten die Fabrikanten die Kosten für eigene Arbeitsräume, Heizung und Beleuchtung. Außerdem konnten sie die unabhängig voneinander agierenden Heimarbeiter leicht gegeneinander ausspielen und die Löhne so immer weiter drücken. Die Folgen waren verheerend: überlange Arbeitszeiten, keinerlei Absicherung gegen Krankheit und Unfälle, Kinderarbeit und Hunger waren die Regel. Der Zusammenschluss zum 'Allgemeine Deutsche Cigarrenarbeiter-Verein' war der Versuch, sich besser gegen ausbeuterische Fabrikanten und die katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen zur Wehr zu setzen.

Die Arbeit in Heimarbeit bedeutete starke wirtschaftliche Abhängigkeit, bot gleichzeitig aber ein gewisses Maß an persönlicher Freiheit: Während der Arbeit wurden die Zigarrenmacher nicht durch die Fabrikanten kontrolliert. Sie konnten während ihrer leisen, mechanischen Arbeit ungehindert miteinander reden und debattieren. Vielerorts bestimmten die Arbeiter sog. 'Vorleser', die die Arbeitenden durch das Vorlesen aus Romanen, politischen Schriften und sozialdemokratischen Zeitungen unterhielten. Viele Zigarrenmacher wurden so zu politisch interessierten und gut informierten Arbeitern."

Und die Tradition der Vorleserin – "lectora de tabaqueria"  – wird bis heute auf Kuba weiter fortgeführt.

Es folgten Umgruppierungen und Erweiterungen innerhalb der Organisationsstruktur durch den Einschluss bzw. Anschluss von Interessenvertretungen verwandter Berufsgruppen/Branchen. Gewerkschaftliche Boomzeiten, wie z. B. nach dem Ersten Weltkrieg, als die Mitgliederzahlen förmlich explodierten, wechselten sich mit Phasen voller Rückschläge ab, wie sie Bismarcks Sozialistengesetz von 1878 und vor allem das Verbot der Gewerkschaften durch die Nazis am 2. Mai 1933 bewirkten.

Gerade die Zersplitterung der gewerkschaftlichen Strukturen, die ihrerzeit eine wirksame Bekämpfung der Nazis seitens der Gewerkschaften verhinderte, galt es in Zukunft zu vermeiden: Die Idee der Einheitsgewerkschaft setzte sich nach dem 2. Weltkrieg durch.

Demgemäß schlossen sich die Verbände der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, der Beschäftigten in Hotels und Gaststätten sowie der Tabakindustrie auf einem "Verschmelzungsverbandstag" vom 24. bis 26. Mai 1949 in München zur neuen (Einheits-) Gewerkschaft NGG zusammen.

Die NGG ist nun aber nicht nur die älteste deutsche Gewerkschaft, sie war auch die erste, die ihre Aktenbestände dem Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) zur Archivierung übergab. Die ersten Zulieferungen datieren aus den Jahren 1983/84.

Das Aktengut umfasst heute insgesamt um die 450 laufende Regalmeter. Darunter befinden sich sowohl einzelne Schätze aus den Anfängen der NGG-Vorläuferorganisationen als etwa auch Zeugnisse zum Prozess des Gewerkschaftsaufbaus in den neuen Bundesländern. Ein Teil der Altregistraturen ist durch ein Findbuch erschlossen.

Auch die Bibliothek des NGG-Hauptvorstandes mit einer großen Menge an "Grauer Literatur" – darunter zahlreiche Tarifverträge – gelangte so nach Bonn in die Friedrich-Ebert-Stiftung.

Archiv der sozialen Demokratie

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Sabine Pich, Zwischen Fabrik und Feldarbeit. Tabakanbau und Zigarrenindustrie in der Geschichte von St. Leon-Rot,
Ubstadt-Weiher 1991. weiter

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