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Wir wollen Euch auch heute wieder ein Objekt in unserem #AdsD50-Blog präsentieren und haben uns diesmal für Nichts entschieden. Ja, richtig, das ist eine ganze Menge. Denn wir kennen unterschiedliche Varianten des Nichts – und das, ohne esoterisch werden zu müssen …
„Bitte gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen.“ Dieser Satz ist so bekannt, wie er in entsprechenden Situationen angebracht ist. In unserem Fall muss es aber hin und wieder auch heißen: „Bitte bleiben Sie stehen, es gibt Nichts zu sehen.“
Stellen Sie sich also vor, Sie erreichen nach langer, vielleicht sogar beschwerlicher Anreise unser Archiv, freuen sich auf eine abwechslungsreiche Führung durch unsere Magazinräume und dann werden Sie in einen Raum geführt, der voll ist – aber nur mit leeren Regalen. „Na toll, wie soll ich hier bitteschön etwas über die Geschichte der SPD lernen? Oder Archivarbeit?“, werden Sie sich fragen. Lassen Sie es uns gemeinsam versuchen:
Im ersten Regal gibt es Nichts zu sehen, weil viele Dokumente und Mitgliedsunterlagen zum Schutz vor Verfolgung während der nationalsozialistischen Diktatur von den Sozialdemokrat_innen vernichtet wurden. Daneben liegen jene Unterlagen, die beim Versuch sie mit ins Exil zu retten, wahrscheinlich verloren gingen oder von den Nationalsozialist_innen zerstört wurden.
A propos Mitgliedsunterlagen – wir haben einen extra Raum für alle nicht existierenden Listen von Mitgliedern aus der Zeit der Weimarer Republik. Das sind einige, da es vor 1933 keine zentrale Mitgliedererfassung gab. Wir gehen davon aus, dass die Mitgliederlisten dort liegen, wo die meisten Gründungsdokumente von zum Beispiel Ortsvereinen sind … überall, nur nicht bei uns.
Regal drei ist unser optimistischstes. Statt Nichts stehen hier vielleicht irgendwann all jene Bücher der ehemaligen SPD-Parteibibliothek, die seinerzeit geraubt wurden und nur peu à peu wieder an unsere Bibliothek abgegeben – also restituiert – werden. Drücken wir diesem Regal die Daumen, dass der Tag kommen wird, an dem es in das große Bibliotheksmagazin umziehen darf. Bis es so weit ist, ist auch hier die Lücke Zeugnis einer Zeit voll Unrecht, Willkür und Gewalt.
Oh, riechen Sie das? – Hier liegt Nichts, weil es verbrannt ist. Das kommt leider vor.
Aber weiter im Text.
In Regal fünf lagern wir die Dinge, die nie an uns abgegeben wurden. Manchmal, weil sich die Hinterleger_innen selbst nicht des historischen Werts bewusst waren. So sehen Sie zum Beispiel in dieser Vitrine kein wichtiges Zeugnis unseres Vorsitzenden: Kurt Becks Pro- und Contra-Liste zum Verbleib im Amt das SPD-Parteivorsitzenden, die er kurz vor der Klausursitzung am Schwielowsee am 06./07.09.2008 anfertigte, wurde von ihm in der Nacht höchstselbst zerrissen und die Toilette heruntergespült. Diese Vitrine ist für uns ein Mahnmal, unsere Hinterleger_innen zukünftig noch besser über unser Sammlungsprofil zu informieren.
Nun zum nächsten Regal. Es enthält ausschließlich kassierte, also für nicht archivwürdig erklärte und entsorgte oder abgegebene Unterlagen, wie Drucksachen beziehungsweise Publikationen aller Art, Unterlagen einer anderen Stelle oder Unterlagen, die so massenhaft produziert wurden, dass sie auch in Einzelbeispielen noch genauso viel Aussagekraft haben. Einfach ausgedrückt: Unterlagen, von denen wir sicher sind, dass Sie auch in 500 Jahren niemand vermissen wird.
Bitte passen sie jetzt etwas auf, es könnte staubig werden … hier sehen Sie keine Materialien aus der Frühzeit der Arbeiterbewegung. Beispielsweise Dokumente aus dem Archiv des ADAV (Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein), die früh beschrieben wurden und von denen wohl niemand weiß, was aus ihnen geworden ist und die im schlimmsten Fall mittlerweile zerfallen sind. Glücklicherweise sind wir heutzutage im Wissen um optimale Lagerungsbedingungen sehr viel weiter. Die noch vorhandenen Materialien der Frühzeit sind in unseren Magazinen deshalb nicht in Gefahr.
Wir nähern uns dem Ende unserer Führung und sehen Nichts, weil es nicht existiert oder nur gerüchteweise. So wie der Kriminalroman von Willy Brandt, den er angeblich um den Jahreswechsel 1946/1947 herum in Kopenhagen als Entwurf begann, während er wochenlang auf das Einreisevisum nach Deutschland wartete und derweil zum Nichtstun verdammt war. Der Entwurf wurde bis heute nicht im WBA (Willy-Brandt-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie) entdeckt oder ist, so er existiert, nie im Archiv angekommen.
Zum Abschluss sehen wir Nichts, weil es sich um Digitales handelt. Das ist allerdings ein etwas anderes Nichts, denn nur weil man es nicht sieht, heißt es nicht, dass es nicht da ist. Damit das auch so bleibt, wird uns das langzeitige Sichern von Information, losgelöst vom Datenträger, zukünftig immer mehr beschäftigen.
Damit endet unsere Führung, hoffentlich hat Sie Ihnen gefallen und vielleicht schlägt Ihr Historiker_innen- oder Archivar_innenherz zukünftig ja ein bisschen höher, wenn Sie hören: „Da steckt Nichts dahinter.“ – Denn das könnte einiges sein!
Archiv der sozialen Demokratie
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