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Kurt Löwenstein wurde 1885 im niedersächsischen Bleckede in einer in bescheidenen Verhältnissen lebenden jüdischen Familie geboren. Seine leibliche Mutter starb früh, sein Vater betrieb ein Bekleidungsgeschäft und arbeitete später als Versicherungsvertreter. Nach dem Schulbesuch in Hannover studierte er bis 1907 am Rabbinerseminar in Halberstadt und in Berlin.
Im Archiv und insbesondere in den persönlichen Nachlässen mischen sich Berufliches, Politisches und Persönliches – und damit häufig auch Kurioses. Im Nachlass des sozialistischen Pädagogen Kurt Löwenstein (1885-1939), Initiator der Kinderrepubliken, befinden sich unter anderem die Mitschriften von zwei Diktaten, die dieser im Schlaf gesprochen hat und von seiner Frau notiert wurden. Der größere Teil des Nachlasses Löwensteins wurde 1990 an das AdsD von Sohn Dyno Löwenstein übergeben. Einen kleineren übergab schon 1977 Ferdinand Brandecker, der zur Kinderfreundebewegung arbeitete.
Löwenstein orientiere sich an einer modernen jüdischen Orthodoxie, die einerseits moderne Philosophie und Naturwissenschaften anerkannte, andererseits aber an traditionellen Gebräuchen festhielt. Wie es zum Bruch mit dem jüdischen Glauben kam, bleibt etwas im Dunkeln. Löwenstein wurde jedenfalls nicht Rabbiner, sondern absolvierte die externe Lehrerprüfung in Harburg/Elbe und wurde 1910 in Erlangen promoviert. Anschließend kehrte er nach Hannover zurück und engagierte sich im „Bund für Schulreform“ und in der „Freireligiösen Gemeinde“. Am Ende des Ersten Weltkriegs, den Löwenstein als strikter Kriegsgegner glücklicherweise beim Roten Kreuz verbringen konnte, trat er der USPD.
Schon in seiner Dissertation hatte sich Löwenstein mit pädagogischen Fragen befasst, nun wurde er der wichtigste Schulpolitiker der „Unabhängigen“. Im von Löwenstein inspirierten Schulprogramm der USPD heißt es: „Das Ziel sozialistischen Erziehungswesens ist die Befreiungder Gesamtheit des Proletariats aus geistiger Bevormundung und Unterdrückung, nicht der Aufstieg einzelner begabter Proletarierkinder.“ Ziel war die Einheitsschule mit Abschlüssen bis zum Abitur und insbesondere die Fernhaltung der Kirchen aus der Schule. Löwenstein war in beiden sozialdemokratischen Parteien akzeptiert, die ihn 1920 zum Leiter des Berliner Bildungswesens machten. Seinen sozialistischen Vorstellungen schlug jetzt bereits der Antisemitismus der bürgerlichen Rechten entgegen, die ihn als „roten Juden“ beschimpften. Der preußische Oberpräsident nahm die Ernennung daraufhin zurück. Löwenstein wirkte nun als Stadtrat für Volksbildung in Berlin-Neukölln, wo er unter anderem an der Umwandlung des Kaiser-Friedrich-Realgymnasiums in eine Einheitsschule beteiligt war. Diese erste integrierte Gesamtschule Deutschland hieß seit 1930 Karl-Marx-Schule.
1920 wurde Löwenstein über die Liste der USPD in den Reichstag gewählt. Nach der Spaltung der Partei ging er 1922 mit den verbliebenen unabhängigen Parlamentariern zur SPD. Neben seiner Arbeit in Neukölln fand Löwenstein auf Reichsebene in der Kinderfreundebewegung sein zentrales Betätigungsfeld. Er sah es als Aufgabe der Arbeiterbewegung, dass sie einen Teil der Erziehung ihrer Kinder in die eigenen Hände nimmt. Von 1924 bis zum Verbot 1933 stand Löwenstein der zur SPD gehörenden Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde vor. Das Markenzeichen waren die Kinderrepubliken der „roten Falken“, große Zeltlager, an denen zwischen 1927 und 1932 67.000 Kinder teilnahmen. Skandale erregte nicht zuletzt die damals als verrucht geltende Koedukation, also: Jungs und Mädchen verbrachten gemeinsam ihre Ferienfreizeiten.
Nach dem Löwenstein in der Nacht vor dem Reichstagsbrand 1933 nur knapp einem Mordanschlag der SA entgangen war, floh die Familie über Sachsen nach Prag und Paris, wo er weiterhin politisch tätig war. Im Mai 1939 erlag er einem Herzinfarkt. Seiner Frau Mara Kerwel und ihrem Sohn gelang 1941 die Flucht in die USA.
Seine auch körperlich erschöpfende Tätigkeit konnte Löwenstein nur durch ausgedehntes tägliches Arbeitspensum durchführen. Gelegentlich diktierte er sogar noch im Schlaf. „Ich erinnere mich an einige Male“, so sein Sohn Dyno Löwenstein, „wo Mara amüsiert diese ‚Schlafdiktate‘ mitschrieb und sie ihm am nächsten Morgen zu Kurts Erstaunen vorlas“. Ein „Sprachdiktat“ (undatiert) behandelt das Verhältnis von Sprache, Logik und weltanschaulichen Grundlagen und endet mit der oben zitierten, leicht abfälligen Bemerkung über den deutschen Philosophen und Pädagogen Johann Friedrich Herbart (1776-1841). Im zweiten überlieferten „Sprachdiktat“ (5. November 1938) bewegte Kurt Löwenstein die Frage nach den geistigen Grundlagen und der Stellung des Menschen in seiner Zeit: „Das, was unserer Zeit fehlt, sind nicht Menschen, die die Gesamtheit erfassen können, sondern Menschen, die in der Gesamtheit der Zeit stehen und leben, und sie beherrschen, verifizieren und realisieren können; Menschen, die nicht die Ideologie der Totalitätsansprüche anbeten.“
Archiv der sozialen Demokratie
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