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„Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen“

 

Vor 35 Jahren beginnt in Baden-Württemberg der Kampf der Metallarbeiter_innen  für die 35-Stunden-Woche. Mit fast sieben Wochen Verhandlungen, Streiks und Aussperrungen ist er einer der längsten und härtesten in der bundesdeutschen Tarifgeschichte.

Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit hat zunächst zum Ziel, den durch gestiegene Leistungsanforderungen (Rationalisierung, Schichtarbeit, Akkord, erhöhtes Arbeitstempo, gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen) entstehenden Stress zu begrenzen und dadurch einen Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt zu leisten.

Im AdsD werden neben Themen der Sozialdemokratie verstärkt Materialien der deutschen und internationalen Gewerkschaften betreut, so unter anderem die der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall), der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF), der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Hinzu kommen über eintausend Nachlässe und Deposita von Persönlichkeiten der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften, darunter auch der Nachlass von Georg Leber.  – Recherchierbar auf unserem iServer.

In der Wirtschaftskrise Mitte der 1970er-Jahre mit der deutlichen Zunahme von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit tritt der beschäftigungspolitische Aspekt in den Vordergrund: Die Arbeitszeitverkürzung soll neue Arbeitsplätze schaffen und die Streichung bestehender Arbeitsplätze verhindern („Arbeitszeit verkürzen heißt Arbeitsplätze schaffen!“, „Statt Arbeitslosigkeit für viele – Arbeitszeitverkürzung für alle!“). Außerdem sollen die Arbeitnehmer_innen durch die Verkürzung der Wochenarbeitszeit mehr Spielraum für ihr soziales, kulturelles und gesellschaftliches Leben erhalten.

Zunächst herrscht innerhalb der IG Metall (Industriegewerkschaft Metall) aber noch Uneinigkeit über die konkrete Umsetzung der grundsätzlich akzeptierten Forderung. Auf dem 12. Gewerkschaftstag der IG Metall im September 1977 gelangt die Forderung nach der 35-Stunden-Woche erst nach einer kontroversen Debatte und nur mit knapper Mehrheit in den gewerkschaftlichen Zielkatalog. Streitpunkte sind die Notwendigkeit des vollen Lohnausgleichs, die Dauer des Übergangszeitraums und die Alternative einer tariflichen Vorruhestandsregelung. Es dauert noch bis Ende September 1982, bevor sie durch Vorstandsbeschluss in die nächste Tarifrunde genommen wird. Ende September 1983 wird dieser Beschluss dann in die Forderung der Großen Tarifkommission der IG Metall nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich umgesetzt.

Ab Dezember 1983 folgt ein zäher Verhandlungsmarathon, denn die Arbeitgeberverbände lehnen die Arbeitszeitverkürzung kategorisch ab. Ihrer Meinung nach führten die durch die  Arbeitszeitverkürzung entstehenden höheren Arbeitskosten zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und stellten eine Gefährdung des wirtschaftlichen Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft dar. Stattdessen streben sie eine tarifliche Vorruhestandsregelung sowie eine stärkere Arbeitszeitflexibilisierung an.

Auch die Bundesregierung stellt sich gegen die Forderung der IG Metall. Im November 1983 bezeichnet Kanzler Helmut Kohl die 35-Stunden-Woche als „absurd, dumm und töricht“, da sie der Wirtschaft schade und zu massiven Arbeitsplatzverlusten führe. Als Alternative legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Vorruhestandsregelung vor.

Während insgesamt fünf Verhandlungsrunden und zwei erfolglosen Spitzengesprächen kommt es ab dem 12. März 1984 bundesweit zu mehreren Warnstreiks. Am 18. April 1984, nach einer weiteren ergebnislosen Verhandlungsrunde, beschließt die Tarifkommission in Nordwürttemberg/Nordbaden die Urabstimmung. Das Ergebnis ist eindeutig: Am 3./4. Mai 1984 stimmen in Nordwürttemberg/Nordbaden 80,05% für den Streik, am 8./9. Mai 1984 in Hessen 80,77%.

Der Streik beginnt am 14. Mai 1984 mit 13.000 Metaller_innen im Tarifgebiet  Nordwürttemberg/Nordbaden, eine Woche später, am 21. Mai 1984, folgt Hessen und insgesamt  57.500 Beschäftigte in 23 Betrieben befinden sich somit im Streik.

Die Arbeitgeber_innen reagieren sofort mit Aussperrung: Bereits am 22. Mai 1984 sind über 100.000 Metaller_innen sowohl heiß als auch kalt ausgesperrt, weitere Betriebe folgen. Zuletzt sind über 500.000 Arbeitnehmer_innen betroffen.

Der Druck auf die IG Metall verstärkt sich, als durch einen Erlass des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, den kalt Ausgesperrten kein Kurzarbeitergeld mehr gezahlt wird, wohingegen die von heißer Aussperrung betroffenen Metaller_innen Streikgeld von der IG Metall bekommen. Gegen diesen sogenannten „Franke-Erlass“ leitet die IG Metall rechtliche Schritte ein.

Am 28. Mai 1984 protestieren 250.000 Menschen auf einer Großdemonstration in Bonn „Gegen Aussperrung und Rechtsbruch. Für Arbeit und Recht“. Der „Franke-Erlass“ wird am 21. Juni 1984 von den Sozialgerichten für rechtswidrig erklärt, das Kurzarbeitergeld muss nun doch ausbezahlt werden.

Nach weiteren ergebnislosen Verhandlungsrunden einigen sich die Tarifparteien auf das Verfahren der besonderen Schlichtung unter Vorsitz des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Georg Leber (SPD), von 1957 bis 1966 Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden, und des Arbeitsrechtsprofessors Bernd Rüthers.

Der von ihnen erarbeitete Einigungsvorschlag vom 26. Juni 1984 beinhaltet eine Senkung der Wochenarbeitszeit auf 38,5 Stunden bei vollem Lohnausgleich, mit der Möglichkeit, sie in einer Spanne zwischen 37 und 40 Stunden flexibel auf die Beschäftigten zu verteilen. Sowohl der Gesamtmetall-Vorstand als auch die große Tarifkommission der IG Metall stimmen dem Kompromissvorschlag, dem sogenannten „Leber-Kompromiss“, zu.

Nach den nun folgenden Urabstimmungen zwischen dem 29. Juni und 4. Juli 1984 ist nach fast sieben Wochen der Streik mit 54,52% Zustimmung in Baden-Württemberg und 52,39% in Hessen beendet. Die Ergebnisse werden auch von den anderen regionalen Tarifgebieten übernommen.

Zwar wird es noch bis 1995 dauern, bis die 35-Stunden-Woche als tarifliche regelmäßige Wochenarbeitszeit in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie endgültig eingeführt wird, aber:

Der Einstieg in die schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche ist erreicht, das Tabu der Unternehmerverbände, die wöchentliche Arbeitszeit nicht unter 40 Stunden zu reduzieren, ist gebrochen.

Archiv der sozialen Demokratie

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Aussperrung

Aussperrung bezeichnet die Freistellung von Arbeitnehmer_innen von der Arbeitspflicht durch ihre Arbeitgeber_innen ohne Lohnfortzahlung und ist in der Regel eine Maßnahme von Arbeitgeber_innen im Streikfall.

In Abgrenzung zur heißen wird von kalter Aussperrung gesprochen, wenn Mitarbeiter_innen von ihrer Beschäftigung ausgeschlossen werden, weil der eigene Betrieb die Arbeit einstellt, da dieser von der Produktion eines bestreikten Betriebs abhängig ist.

Mehr dazu bei der IG Metall Weser-Elbe

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