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Kurzgefasst und eingeordnet von Carsten Schwäbe – Carsten Schwäbe hat Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft studiert und arbeitet als Wissenschaftler im Bereich der Innovationsforschung an der Freien Universität Berlin.
Klimawandel, Ungleichheit und der digitale Fortschritt verlangen von allen, unsere Welt neu zu denken. Maja Göpel analysiert, warum wir es zu den ökologischen und sozialen Problemen haben kommen lassen. Das Hauptproblem besteht in unserem gegenwärtigen Verständnis von Wachstum. Es ist nicht vereinbar mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Dabei führt Konsumverzicht nicht zwingend zu Wohlstandsverlusten und technologischer Fortschritt nicht zwangsläufig zu mehr Nachhaltigkeit.
Für einen Wandel zu einer besseren Welt muss der Staat die Richtung vorgeben, in die sich der Markt entwickeln soll. Nachvollziehbare Entscheidungen einzelner Marktteilnehmer _innen führen nämlich nicht immer zum allgemeinen und damit auch ihrem eigenen Wohlergehen.
Die soziale Frage ist mit der ökologischen Frage untrennbar verbunden. Es braucht eine neue Verständigung über Gerechtigkeit, wie Investitionen in eine nachhaltige Wirtschaftsweise finanziert werden und wo wir als Gesellschaft auf Konsum verzichten können. Gerechtigkeitsfragen und ein starker Staat sind die Kernthemen der Sozialdemokratie. Das Buch liefert dafür wichtige Denkanstöße.
Maja Göpel ist die Wissenschaftliche Direktorin des 2020 gegründeten Hamburger Think Tanks „The New Institute“. Bekannt wurde die Diplom-Medienwirtin und promovierte Politökonomin als Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen. In ihrer Arbeit an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und gesellschaftlicher Interessenvertretung beschäftigt sie sich als Transformationsforscherin mit den Grundvoraussetzungen unserer Gesellschaftsordnung und wie diese im sozial-ökologischen und digitalen Zeitalter neugestaltet werden sollen.
Über Jahrzehnte hat unser Wirtschaftssystem uns ein Mehr an Energie, Nahrung, Medizin und Sicherheit gebracht. Der Wohlstand konnte für alle, auch die Armen, gemehrt werden; Fortschritt und Frieden stellten sich in der Nachkriegszeit ein. Dieses Wachstum halten wir heute für selbstverständlich. (S. 12-13) Doch unser Wirtschaftssystem steht unter Druck und zwar nicht nur durch Klimawandel, Umweltverschmutzung oder Ressourcenverbrauch. Auch hohe Mieten, Finanzkrisen oder die Ungleichheit sind menschengemacht. Daher stehen wir an einer Zeitenwende. Erst wenn wir uns der manchmal auch verborgenen Regeln unseres Wirtschaftssystems bewusstwerden und sie hinterfragen, können wir mit wirklich neuen Lösungen experimentieren.
Bisher basierte unser Verständnis von Fortschritt auf „expandieren und extrahieren“, oder direkter formuliert: „ausbreiten und ausbeuten“. (S. 29-30) Dieses Modell funktionierte, solange es nur wenige Menschen auf der Welt gab und die meisten davon nur bescheidene Konsumwünsche hatten. Das hat sich geändert:
„Während der Menschheit lange sehr viel Planet für wenig Mensch gegenüberstand, gibt es heute für immer mehr Menschen immer weniger Planet. Will die Menschheit nicht ihren eigenen Zusammenbruch herbeiführen, muss sie lernen, in einer vollen Welt zu wirtschaften, auf einem einzigen Planeten, mit begrenzten Ressourcen.“ (S. 44)
Ein Beispiel: Bis zum Zweiten Weltkrieg dienten Hühner auf den Bauernhöfen als Nahrungsquelle für Eier und Fleisch. Heute gibt es hochspezialisierte Hühnerrassen in getrennten Geflügel- und Legebatterien. Mit ihnen verschwand die Vielfalt auf den Höfen und die genetische Verengung macht die Tiere heute krankheitsanfälliger. (S. 41-43)
Ein weiteres Beispiel: Bienen und andere Insekten bestäuben Pflanzen. Ihre Leistung lässt sich auf Billionen von Euro beziffern. Das Insektensterben durch den Einsatz von Pestiziden gefährdet nun die Artenvielfalt und auf lange Sicht die Produktivität. Noch versucht der Mensch, die Natur zu ersetzen, wenn sie nicht in seinem Sinne funktioniert. So lässt zum Beispiel die US-amerikanische Supermarktkette Walmart Roboterbienen entwickeln, die aber einen hohen Energiebedarf haben und weniger effizient sind als echte Bienen.
„Indem der Mensch die natürlichen Systeme seinem Bedarf unterwirft, reduziert er ihre Vielfalt, macht sie verletzlicher und braucht einen immer größeren Aufwand, um sie zu stabilisieren.“ (S. 53)
Warum aber haben wir uns so von der Natur abgekoppelt? Das hat mit der dominierenden Denkweise der Wirtschaftswissenschaft zu tun. Obwohl einige Studien belegen, dass ab einer gewissen Einkommenshöhe zusätzliches Geld nicht mehr glücklicher macht, prägt unser Wirtschaftssystem weiterhin der Homo Oeconomicus und seine Rationalität als Maximierung von Nutzen und Einkommen.
Die Berufung auf den schottischen Moralphilosophen Adam Smith, den Erfinder der „unsichtbaren Hand“ des Marktes, greift zu kurz. Dieser betonte schon im 18. Jahrhundert die Bedeutung des Mitgefühls als zentralem Wesenszug des Menschen. Daher sollten Märkte im Sinne der Menschen reguliert werden, wenn die unsichtbare Hand allein nicht zu gewünschten Ergebnissen führt.
Um die Bedeutung des globalen Wettbewerbs für ökonomische Effizienz zu betonen, bezieht sich die Wirtschaftswissenschaft auch auf Charles Darwin und die Evolutionsbiologie. Der Druck globaler Konzerne führe zu einem starken Wettbewerb, in dem sich nur das Beste durchsetze und damit Effizienz gewährleiste. Dabei wird oft vergessen, dass Darwins Verständnis von Evolution nicht auf Konzentration, sondern auf Vielfalt fußt. Konkurrenz in der Natur ist lokal begrenzt. Unterschiedliche Rahmenbedingungen ergeben unterschiedliche Lösungen, die jedoch einen wichtigen Wert für den Fortbestand des gesamten Systems und für die Entstehung neuer Ideen haben.
Adam Smith oder Charles Darwin sind zwei Beispiele für die Tendenz der aktuellen Wirtschaftswissenschaft, Theorien aus ihrem Kontext zu reißen und als universelle Gesetzmäßigkeiten auszugeben. Die Wirtschaftswissenschaft muss aber reflexiver werden und sich stärker hinterfragen. (S. 65-66)
Die bisherigen Vorstellungen blockieren neue, kooperative Lösungen für das Leben der Menschen in der neuen Realität einer „Vollen Welt“. (S. 72-73), also einer Welt, in der sehr viele Menschen mit sehr weitgehenden Konsumwünschen zusammenleben.
Der zentrale Wert unseres Wirtschaftssystems ist heute noch das Wachstum. Indem das Bruttoinlandsprodukt jedes Jahr weiterwächst, mehren wir unseren Wohlstand, erhöhen den Konsum oder müssen weniger arbeiten. In der alten Realität einer leeren Welt, in der wenige Menschen lebten, hat das für eine gewisse Zeit funktioniert, auch weil die meisten Menschen mit sehr wenig Konsum auskamen.
Die sich verstärkenden Umweltprobleme zeigen, dass wir die natürlichen Grenzen der Leistungsfähigkeit unseres Planeten erreichen. Wirtschaftswachstum und der Ausstoß von Treibhausgasen haben sich in den letzten zwei Jahrhunderten parallel entwickelt. Nur in Wirtschaftskrisen wie der Ölkrise in den 70er Jahren oder dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gingen die Emissionen zurück.
„Schrumpft die Wirtschaft, verlangsamt sich der Klimawandel. Wächst die Wirtschaft, beschleunigt er sich.“ (S. 76)
In der neuen Realität müssen wir uns die Frage stellen: Wie viel ist genug? Das ist aber in unserem wachstumsorientierten Wirtschaftssystem nicht vorgesehen.
Unser Wirtschaftssystem lebt davon, dass immer wieder Neues entwickelt, vermarktet und konsumiert wird und nicht davon, mit Ressourcen nachhaltig umzugehen. (S. 81-82)
Man muss sich nur vorstellen, ein großer Handy-Hersteller würde ankündigen, für das kommende Jahr kein neues Produkt auf den Markt zu bringen. Oder der Staat verteuert Handys mit höheren Steuern – möglicherweise aus Umweltgründen. Der Konsum würde sinken, Aktienkurse des Unternehmens einbrechen und Arbeitsplätze wären gefährdet.
Grund dafür ist das die Modellannahme in der Wirtschaftswissenschaft, bei der der Wert mit dem Preis gleichgesetzt wird. Der Wert eines Gutes ergäbe sich demnach aus der Zahlungsbereitschaft des Homo oeconomicus.
„Subjektive Präferenzen (der Käufer*innen) schlagen objektive Ressourcen, Tauschwert entkoppelt sich vom Nutzwert.“ (S. 92)
Nur so ist zu erklären, warum viele Medikamente - zum Beispiel zur Bekämpfung von Krebs - so teuer sind, obwohl ihr Vorteil im Vergleich zu verfügbaren Alternativen nur gering ist: Es gibt jemanden, der diesen Preis bereit ist zu zahlen. Daher fordert Göpel mehr Transparenz darüber, wie Preise entstehen und wie sie mit gesellschaftlichen Werten und Zielen in Einklang gebracht werden können. (S. 94)
Technologischer Fortschritt steht für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch für die Ausbeutung der Natur durch den Menschen. Vergleicht man zum Beispiel die Entwicklung der Motorenleistung eines VW Käfers aus den 50ern mit einem VW Beetle der 90er, so ist der Benzinverbrauch pro Kilometer annährend gleichgeblieben, aber die Leistung von etwa 30 auf 90 bis 115 PS gestiegen. Der Fortschritt des sparsameren Verbrauchs wurde in Motorleistung übertragen und der Benzinverbrauch stieg weiter, da immer mehr Leute ein Auto besaßen. (S. 104-105)
Eine neue, sparsame Technik findet größere Verwendung und führt damit zu einem höheren Verbrauch, der die technologischen Einsparungen übersteigt. Dieses Phänomen wird Rebound-Effekt genannt. Davor sind auch Technologien für die sozial-ökologische Transformation nicht gefeit. Die Gesellschaft müsse ihnen deshalb eine klare Richtung geben.
Beispiel Elektromobilität: Das US-Unternehmen Tesla wirbt mit für ein Sportwagenmodell, das selbst 2,1 Tonnen wiegt, nochmal 1,7 Tonnen laden kann und eine besonders schnelle Beschleunigung garantiert. Obwohl nur wenige Käufer solche Leistungen wirklich brauchen, wurde das Modell in den USA bereits mehr als zweihundertfünfzigtausend Mal vorbestellt. (S. 112)
Nicht nur Innovationen, sondern auch der Konsum muss sich nachhaltig an unseren Bedürfnissen orientieren.
„Wir leben gar nicht umweltschonender, nur weil wir wohlhabender sind. Im Gegenteil. Wir schützen unsere eigene Umwelt natürlich durch schärfere Regeln und bewirtschaften ein im internationalen Vergleich relativ weit entwickeltes Müllsystem. […] Wir lagern aus, was für uns unangenehm ist, und ein, was wir brauchen. Das gilt europaweit“. (S. 126)
Dabei macht der Konsum nicht zwingend glückliche. Für mmer mehr Leute werden Besitz und Status zum Indikator für den eigenen Selbstwert. Würden wir soziale und ökologische Werte in den Vordergrund stellen, würde die Bedeutung des Materiellen für den eigenen Selbstwert sinken. Die Gesellschaft wäre in der Lage, die wirklich wichtigen Bedürfnisse zu priorisieren und auf diese Weise einen nachhaltigen Konsum mit mehr Lebensqualität zu verbinden. (S. 133-135)
Auch die Rolle des Staats im Markt muss neu bedacht werden. Ein Beispiel: Bis in die 1950er Jahre war die Eisenbahn das günstigste und zuverlässigste Verkehrsmittel, um von der Kleinstadt Ithaca nach New York zu reisen. Als sich jedoch immer mehr Menschen ein Auto leisten konnten, benutzten sie die Eisenbahn nur noch bei Schnee und Eis. Für die Eisenbahngesellschaft wurde das Geschäft unrentabel und sie wurde geschlossen. (S. 136-137)
Obwohl sich die einzelnen Menschen aus ihrer individuellen Sicht rational verhalten haben, kam ein für alle ungünstiges Ergebnis heraus. In der Wissenschaft wird dieses Problem „Die Tyrannei der kleinen Entscheidungen“ genannt. Der Markt koordiniert die Wünsche der Einzelnen oft nicht in gesellschaftlich gewünschter Weise. Göpel spricht daher dem Staat die Rolle einer übergeordneten Instanz zu, die überprüft, ob die Einzelentscheidungen wirklich einen höheren Nutzen für alle erzeugen.
Der Staat gibt dem Markt Richtungen vor und schafft auf diese Weise nicht weniger, sondern sogar mehr Freiheit. Dies richtet sich gegen einen „halbierten Liberalismus“, bei dem mehr Freiheit ausschließlich durch einen besser koordinierten Markt entsteht. Denn so soll der Einzelne die globalen Umweltprobleme durch seine Kaufentscheidung lösen. Dies ist
„die Privatisierung des Umweltschutzes. Darüber freute sich die Wirtschaft, weil sie verantwortungsbewussten Verbraucher*innen nun ein Zusatzangebot mit entsprechenden Labeln für das bessere Gewissen machen konnte. Und es freute die Politik, weil sie damit um die unangenehme Aufgabe herumkam, etwas auch gegen Widerstände politisch zu regeln, am Ende gar etwas zu verbieten.“ (S. 149)
Wirklich weit sind wir damit auf den Weg in eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft noch nicht gekommen.
Maja Göpel gibt in ihrem Buch einen Überblick über die aktuelle Forschung zu sozial-ökologischen Transformationen. Die zum Teil komplexen und alternativen Denkweisen zum konventionellen Verständnis von Wirtschaften veranschaulicht sie in verständlicher Sprache. Konkrete Lösungsvorschläge umfasst das Buch nur wenig, dafür aber viele Beispiele und Buchempfehlungen zum Weiterlesen. Zentral ist für Göpel, dass wir erst unser Denken über schrankenloses Wachstum ändern müssen, bevor wir über gerechte Lösungen für eine nachhaltige Wirtschaft diskutieren.
„Wer akzeptiert, dass es Grenzen gibt, der muss auch akzeptieren, dass Güter und Verschmutzungsrechte endlich sind. Wenn der Kuchen aber nicht immer größer werden kann, stellt sich automatisch die Frage, wie er zu verteilen ist.“ (S. 161)
Die ökologische Frage ist auch eine soziale Frage und Gerechtigkeit wird zum Schlüssel für die sozial-ökologische Transformation.: Wie finanzieren wir die massiven Investitionen in eine nachhaltige Wirtschaft? Während viele eine höhere Staatsverschuldung akzeptabel finden, sollte eine ausgewogene Finanzierung auch Steuererhöhungen für besonders hohe Einkommen und Vermögen in Betracht ziehen. Denn diese haben besonders vom bisherigen Wirtschaftssystem profitiert. Umverteilung ist auch dann notwendig, wenn ökologischere Produkte höhere Preise bedeuten, damit alle sich Nachhaltigkeit auch leisten können. Brechen alte Industrien weg, müssen Markt und Staat aktiv über die Entwicklung neuer Industrien in den betroffenen Regionen nachdenken, statt diese einem schrankenlosen Wettbewerb auszusetzen.
Die politische Gestaltung dieses Wandels ist jedoch voraussetzungsvoll. Regierungen müssen ihn nicht nur einfach umsetzen. Gesellschaftliche Gruppen müssen sich im politischen Prozess ebenso aktiv einbringen, um neue, nachhaltige Ideen vor Ort in der Kommune oder im Unternehmen voranzubringen. Wer dafür noch Denkanstöße braucht, der findet sie in Maja Göpels Buch.
Verlag: UllsteinErschienen: 28. Februar 2020Seiten: 208ISBN: 9-783-550-20079-3