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Ist die Austeritätspolitik der richtige Weg zur Überwindung der Krise in der Eurozone, oder stellt sie im Gegenteil eine Gefahr für die Rückkehr zu nachhaltigem Wachstum und mehr Wohlstand in Europa dar?
Die in Europa praktizierte Austeritätspolitik steht seit längerem in der Kritik. Nicht nur vor dem Hintergrund der bisher gescheiterten Antikrisenpolitik in Griechenland stellt sich die Frage, ob eine rasche Rückführung der Staatsverschuldung eine notwendige Voraussetzung für die Wiedererlangung wirtschaftlicher Dynamik ist oder ob die Sparpolitik ganz im Gegenteil den wirtschaftlichen Aufschwung behindert. Dies ist eine Kernfrage, deren Beantwortung zentral für die Ausgestaltung einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik in Deutschland und Europa ist.
Deshalb haben wir die Debatte darüber auf einer Podiumsdiskussion am 16. September 2015 in Berlin mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, weiteren Vertreter_innen aus der Politik und Wissenschaft und knapp 600 Gästen in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin geführt.
Die Logik der Austerität
In seinem Vortrag ging Joseph Stiglitz, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Columbia University in New York, ehemaliger Chefökonom der Weltbank und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften auf aktuelle Untersuchungen zu dieser Thematik ein. Er hob hervor, dass sogar die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und auch der Internationale Währungsfonds (IWF) mittlerweile in Studien zu dem Ergebnis kommen würden, dass die in den vergangenen Jahren in Europa praktizierte Sparpolitik die wirtschaftliche Lage und damit auch die Verschuldungssituation in den europäischen Krisenstaaten nicht verbessert, sondern verschärft habe. Die von Befürworter_innen der Austerität vertretene Hypothese, dass eine rasche Reduzierung der Staatsdefizite eine notwendige Voraussetzung sei, um das Vertrauen der privaten Akteure an den internationalen (Finanz-)Märkten wieder zurückzugewinnen und so zu mehr Investitionen und Wachstum zu gelangen, habe sich vor dem Hintergrund der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung in Europa, gerade auch im Vergleich zu den USA, als eindeutig falsch erwiesen.
Vielmehr habe die ab 2010 nahezu zeitgleich von allen europäischen Volkswirtschaften praktizierte Austeritätspolitik in den Folgejahren zu einem Nachfrageschock in der Eurozone geführt, mit der Folge, dass in vielen Mitgliedsstaaten die Wirtschaftsleistung immer stärker einbrach und immer mehr Menschen arbeitslos wurden. Dadurch seien die Steuereinnahmen in den betroffenen Staaten gesunken, was sie aufgrund der Austeritätsdoktrin abermals zu weiteren Sparrunden zwang. Gekürzt worden sei nicht nur bei den Löhnen und den Sozialausgaben, sondern vor allem auch bei den öffentlichen Investitionen, insbesondere im Bereich der Infrastruktur, der Bildung und Forschung sowie der Gesundheit. Letztlich habe die Austeritätspolitik im Zuge des Wachstumseinbruchs noch nicht einmal ihr primäres Ziel, die Stabilisierung der Staatsverschuldung, erreicht. Ganz im Gegenteil sei diese in den Krisenstaaten trotz oder gerade wegen der massiven Sparbemühungen in den letzten Jahren bis heute immer weiter angestiegen.
Empfehlungen des Nobelpreisträgers
Joseph Stiglitz betonte zugleich: Mit der Politik des Sparens würde auch das Streben nach mehr sozialer Gleichheit untergraben, da unter den Ausgabenkürzungen vor allem die unteren und mittleren Einkommensschichten der Bevölkerung besonders stark leiden würden. Eine gleichmäßigere Verteilung von Einkommen und Vermögen sei nicht nur wichtig für die Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben und an der gesamtgesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung, sondern sie nehme auch einen positiven Einfluss auf den Wachstumsprozess der Volkswirtschaften. Hierauf hätten ebenfalls aktuelle Studien der OECD und des IWF hingewiesen. Eine zunehmende soziale Ungleichheit führe dagegen zu weniger (Bildungs-)Chancengerechtigkeit, zu gesamtwirtschaftlichen Nachfrageproblemen, zu vermehrten wirtschaftlichen Instabilitäten und Krisenerscheinungen und damit letztendlich auch längerfristig zu geringerem Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum.
Die Reduzierung der hohen sozialen Ungleichheit sei daher eine weitere zentrale Voraussetzung für eine möglichst rasche Rückkehr zu einem starken und nachhaltigen Wachstumspfad in Europa. Hierzu müssten die europäischen Regierungen mehr Mut zu Reformen aufbringen. Beispielsweise sei eine progressivere Ausgestaltung der Einkommensteuersysteme oder auch eine stärkere Besteuerung von Kapitaleinkommen und hohen Vermögen von zentraler Bedeutung für mehr soziale Gleichheit. Mit den so gewonnen zusätzlichen Finanzmitteln, aber auch durch eine Abkehr von der zu strikten Austeritätspolitik müssten gerade jetzt wichtige Investitionen in die Zukunft Europas getätigt werden, statt immer weiter nur darauf zu pochen, dass der Schuldenabbau Vorrang habe. Nur so ließe sich die anhaltend hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit, die eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Stabilität der Demokratie und den Zusammenhalt in Europa darstellen würde, effektiv bekämpfen.
Bild: Bild: FES Berlin
Qualitative Investitionen oder Sparkurs?
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion forderte Yasmin Fahimi, Generalsekretärin der SPD, ebenfalls mehr qualitative Ausgaben des Staates, beispielsweise für die Kinderbetreuung, die Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie die Infrastruktur, damit die für nachhaltiges Wirtschaftswachstum notwendigen Strukturen und Innovationen geschaffen werden könnten. Aber auch die Einnahmenseite müsse verbessert werden, beispielsweise durch die Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer in Europa oder auch durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer, die gleichzeitig helfen würde, Spekulationsblasen an den Finanzmärkten – ein zentraler Auslöser der Krise – zu verhindern.
Moderatorin Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der Tageszeitung „taz“, wies während der Podiumsdiskussion auf einen Widerspruch hin: Als Deutschland 2008/2009 infolge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise einen starken Wirtschaftseinbruch erlitten hatte, lautete ein Vorschlag des Sachverständigenrates an die Bundesregierung, Konjunkturpakete zur Stabilisierung der Wirtschaft zu verabschieden. Die Abwrackprämie, deutlich mehr Investitionen in die Infrastruktur, aber auch die massive Ausweitung der Kurzarbeiterregelung hätten der Wirtschaft und dem Land damals erheblich geholfen, schnell aus der Krise zu kommen und bereits 2010 wieder positive Wachstumsraten zu verzeichnen. Doch im Falle Griechenlands seien von der sogenannten Troika nur harte Sparkurse statt Investitionspakete verordnet worden. Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Mitglied des Sachverständigenrates erwiderte, dass nicht Konjunkturpakete, sondern nur Strukturreformen geeignet seien, um Griechenland wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückzuführen. Die Tatsache, dass sich die Lage in Griechenland bis heute nicht grundlegend verbessert habe, würde daran liegen, dass dort die geforderten Strukturreformen nur unzureichend umgesetzt worden wären und das Land nur gespart habe, was sicherlich nicht ausreichend sei, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu erhöhen.
Ein Wirtschaftswachstum, von dem alle profitieren
Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), kritisierte als zentralen Grund der Krise in der Eurozone die Abkopplung der Reallohnentwicklung vom Wachstum der Wirtschaft, was nicht nur im Falle Deutschlands zu einer wachsende sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft beitragen habe. Aus Sicht der Gewerkschaften müsse dieser Trend umgekehrt werden, beispielsweise im Niedriglohnsektor durch eine Stärkung der Tarifbindung, damit das aktuelle Wachstum auch bei den Menschen ankommt, die es erwirtschaften. Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns sei von der Politik eine wichtige Maßnahme ergriffen worden, um zumindest das weitere Absinken des Lohnniveaus nach unten zu stoppen.
Der überwiegende Tenor der Abendveranstaltung war: Die Wirtschaftspolitik müsse in Deutschland und Europa durch mehr öffentliche Investitionen, durch steuerpolitische Maßnahmen und durch eine effektivere Regulierung der Finanz- und Arbeitsmärkte dafür sorgen, dass eine gleichmäßige Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten an der Wachstums- und Wohlstandsentwicklung gelingt. Der Verweis auf die schwäbische Hausfrau würde aus gesamtwirtschaftlicher Sicht in eine Sackgasse führen, und die Angst vor neuen Staatsschulden sei kein guter Ratgeber. Denn am Ende, so Joseph Stiglitz, zählten nicht nur die Schulden, sondern auch der öffentliche Kapitalstock, der den nachfolgenden Generationen ebenfalls hinterlassen werde und der über den Wohlstand der zukünftigen Generationen in entscheidendem Maße mitentscheide.
Sie können die gesamte Veranstaltung hier nochmals im Videomitschnitt verfolgen.
Die Highlights der Veranstaltung und ein Audiobeitrag fassen die wichtigsten Punkte zusammen.
Ansprechpartner in der FES: Markus Schreyer
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