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Vor einhundert Jahren, zur Wahl der Nationalversammlung am 19. Januar 1919, durften Frauen in Deutschland erstmals das Wahlrecht ausüben. Dieser Beitrag blickt zurück auf eine in mehrfacher Hinsicht historisch bedeutende Wahl und einige wichtige Vertreterinnen der Frauenbewegung.
Bild: SPD-Abgeordnete in der Nationalversammlung von AdsD
Heiterkeit ist die Reaktion im Hohen Haus, als Marie Juchacz als erste Frau in einem deutschen Parlament das Wort ergreift und mit "Meine Herren und Damen!" ihre Rede einleitet. Was auch immer das Plenum so unterhaltsam gefunden haben mochte - die Abgeordnete meinte es sehr ernst. "Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als freie und gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat. […] Ich möchte hier feststellen - und glaube damit hier im Einverständnis vieler zu sprechen - , dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa im althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist."
Marie Juchacz hielt diese Rede am 19. Februar 1919, einen Monat nachdem am 19. Januar 1919 die Frauen in Deutschland erstmals das Wahlrecht ausüben konnten. 82% der wahlberechtigten Frauen nahmen dieses hart erstrittene Recht wahr: 17,7 Mill. Wählerinnen eilten zu den Urnen. Und schließlich zogen 37 Frauen von insgesamt 423 Abgeordneten in die Nationalversammlung ein.
Aufgabe der Nationalversammlung war die Ausarbeitung einer Verfassung; die weiblichen Abgeordneten zogen dabei nur selten an einem Strang. Die Mehrheitsverhältnisse zwangen zu Kompromissen und schwammigen Formulierungen, so auch bei der Verankerung der Gleichberechtigung der Frau als Verfassungsrecht: "Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten" (Art. 109). Toni Pfülf (SPD) hatte - unterstützt von Marie Juchacz (SPD), Lore Agnes und Luise Zietz (beide USPD) - leider vergeblich die Streichung des Wortes "grundsätzlich" beantragt. Manche Politikerin bewertete das Ergebnis als "Kautschuk-Paragraphen".
Der Weg bis hierher war lang: in der Paulskirchenverfassung der Revolution 1848/49 spielte das Frauenwahlrecht keine Rolle (obwohl auch in der 48er Revolution zahlreiche Frauen mitgekämpft hatten). Im reaktionären Nachrevolutionsklima war eine politische Betätigung für Frauen undenkbar. Die bürgerlichen Frauen begannen, in Vereinen vor allem um den Zugang zu Bildung und Berufstätigkeit zu kämpfen. Die Arbeiterinnen fanden keinerlei Unterstützung in den sich bildenden Arbeitervereinen; vielmehr wurden sie von den Männern als unliebsame weil billigere Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt betrachtet.
1891 endlich nahm die SPD dann die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in ihr Erfurter Programm auf: "Allgemeines, gleiches, direktes Wahl- und Stimmrecht mit geheimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und Abstimmungen."
Prominente Wortführerinnen führten den Kampf um die politischen Rechte der Frauen vor allem in Vereinen und deren Verbands-Zeitschriften:
Clara Zetkin veröffentlichte für die SPD ab 1890 "Die Gleichheit". Sie vertrat die Position der proletarischen Frauenbewegung, dass es Sache der Sozialdemokratie sei, für die politische Gleichberechtigung der Frauen einzutreten. Für Zetkin war der Emanzipationskampf verbunden mit dem Kampf der unterdrückten Klassen gegen die Herrschenden, das Frauenstimmrecht Instrument zum Kampf gegen den Kapitalismus.
Minna Cauer gründete 1895 "Die Frauenbewegung", die sie bis 1919 herausgab. Die Aktivistin stritt hier für das Frauenstimmrecht, die Unterstützung lediger Mütter und eine freie Berufswahl für Frauen und gründete als Plattform den "Verein Frauenwohl".
Anita Augspurg gab ab 1907 die "Zeitschrift für Frauenstimmrecht" heraus, ab 1912 dann für den "Deutschen Verband für Frauenstimmrecht" das Monatsheft "Frauenstimmrecht". Als erste deutsche Juristin hatte sie sich schon seit 1897 gegen die Rechtlosigkeit der Frauen im Bürgerlichen Gesetzbuch und die Auswirkungen auf ihre Kinder und ihr Vermögen eingesetzt. Wie Minna Cauer gehörte sie zum radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung.
Marie Stritt betreute für den Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) das "Centralblatt" (später unter dem Titel "Die Frauenfrage"). Während der BDF sich nicht explizit für das Frauenwahlrecht einsetzte, stellte Stritt sich nach ihrem Rücktritt als BDF-Vorsitzende 1910 ganz in den Dienst der Sache. 1911 wurde sie Vorsitzende des "Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht", 1916 dann des "Deutschen Reichsverbandes für Frauenstimmrecht". Es gelang ihr, auf die Flügelkämpfe innerhalb der Frauenbewegung konstruktiv und versöhnend einzuwirken. In den entscheidenden Jahren 1917 und 1918 organisierte sie große Volksversammlungen, um der (im Weltkrieg zunächst zurückgetretenen) Forderung nach dem Frauenwahlrecht erneut Nachdruck zu verleihen.
Gertrud Bäumer löste auf Betreiben Helene Langes Marie Stritt in der Leitung des BDF ab und gab für den Bund die Zeitschrift "Die Frau" heraus. Obwohl der BDF erst spät und zögerlich das Frauenwahlrecht gefordert hatte, zog Bäumer selbst schon 1919 für die Deutsche Demokratische Partei in die Weimarer Nationalversammlung ein und blieb bis 1930 Mitglied des Reichstages.
Marie Juchacz hatte recht: was der deutsche Kaiser seinen weiblichen Untertanen verwehrt hatte, brachte die Revolution. Am 12. November 1918 erklärte der Rat der Volksbeauftragten, zukünftig "alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften […] fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen".
300 Frauen kandidierten für die Wahl in die Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Die SPD, die als erste und einzige Partei das Frauenwahlrecht in ihr Parteiprogramm aufgenommen hatte, brachte mit 19 (von insgesamt 165) die meisten weiblichen Abgeordneten in das Hohe Haus. Marie Juchacz, die so mutig und kämpferisch die erste Rede einer Frau in einem deutschen Parlament hielt, gehörte dem Reichstag von 1920 bis zu seiner Auflösung 1933 an. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste Juchacz fliehen und verbrachte die Jahre bis 1949 im Exil. Ihr Name ist heute vor allem mit dem Aufbau der "Arbeiterwohlfahrt" verbunden, die 1919 ihr 100jähriges Bestehen feiert.
Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung hält umfangreiche Literatur zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung bereit.
Das AdsD hat kürzlich den Teilnachlass Elfriede Eilers erschlossen. Aus diesem Anlass widmen wir uns in unserem aktuellen Blogbeitrag der…