„An Geschlechterperspektive fehlt es bei der Klimapolitik nach wie vor“

Interview mit Ulrike Röhr geführt von Lena Kronenbürger im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Ulrike Röhr entlarvt in diesem Interview die versteckten Geschlechterungleichheiten in der Klimapolitik und fordert eine dringend notwendige feministische Perspektive auf die globale Klimakrise. Die Soziologin deckt auf, wie Machtverhältnisse und Entscheidungsprozesse in der Klimapolitik das Geschlechterverhältnis beeinflussen und zeigt, wie Klimagerechtigkeit und Gendergerechtigkeit Hand in Hand gehen sollten. Sie konfrontiert uns mit der unbequemen Wahrheit, dass Frauen und Männer von den Auswirkungen des Klimawandels und den Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise unterschiedlich betroffen sind und verrät, was entscheidend ist, um sowohl eine gerechtere als auch nachhaltigere Zukunft für alle zu schaffen.

 

Lena Kronenbürger: Was hat Klimapolitik mit Feminismus zu tun?

Ulrike Röhr: Für mich bedeutet Feminismus das Infragestellen der patriarchalen bzw. männlich dominierten Machtverhältnisse. Wenn wir also über Feminismus in Bezug auf Klimapolitik sprechen, muss man sich eigentlich nur angucken, wer bestimmt, was für den Klimaschutz gemacht wird. In der Wirtschaft, Politik und Umweltverbänden sind es oft Männer, die diese Entscheidungen aus ihrer männlich geprägten Perspektive treffen. Das hat Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse, die nicht nur die Erwerbsarbeit betreffen, sondern auch die Zuschreibung und Verteilung von unbezahlter Arbeit oder Freizeitaktivitäten.

 

„Es geht nicht nur um die direkten Folgen des Klimawandels, sondern auch um die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels“

 

 

LK: Klimagerechtigkeit und Gendergerechtigkeit gehen also für Sie Hand in Hand.

UR: Ja, allerdings sollten wir dabei nicht nur internationale Ungerechtigkeiten oder Generationengerechtigkeit betrachten, wie es bei Fridays For Future häufig der Fall ist. Es geht auch um die Gerechtigkeit innerhalb der Generationen. Hierbei sind feministische Politik und geschlechtergerechte Klimapolitik gefragt, um genau zu betrachten, welche Auswirkungen sie haben. Das ist für mich der Schlüssel zur Gerechtigkeit, wenn man alle Facetten betrachtet.

 

LK: Wenn man über Genderaspekte des Klimawandels spricht, denken viele sofort an Frauen im globalen Süden, da sie dort überproportional unter den bereits eingetretenen Auswirkungen des Klimawandels leiden. Wie aber sieht es in Deutschland aus?

UR: Es stimmt, diese Probleme, ausgelöst durch den Klimawandel, sind Realität im globalen Süden – und deutlich sichtbarer als die Auswirkungen des Klimawandels im globalen Norden. Aber wenn man über Gender und Klima redet, dann sollten nicht nur lange Wege oder kein Trinkwasser in den Kopf kommen. Denn es geht nicht nur um die direkten Folgen des Klimawandels, sondern auch um die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, die hierzulande stärker ins Spiel kommen als im globalen Süden. Diese Maßnahmen haben unterschiedliche Auswirkungen, abhängig von der Beteiligung und den Machtverhältnissen. Faktoren wie ökonomische Verhältnisse und die Aufteilung von Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern in Bezug auf Versorgungsarbeit spielen eine große Rolle.  

 

LK: Der Zusammenhang von Klimaschutzmaßnahmen und der Geschlechterverteilung in der Care-Arbeit ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Könnten Sie diesen näher erläutern?

UR: Durch den Klimawandel kann Mehrarbeit auf diejenigen zukommen, die Care-Arbeit leisten – immer noch vorrangig Frauen. Hitzewellen oder Hochwasserkatastrophen sind eine Herausforderung für alle, aber besonders für diejenigen, die für Kinder, Kranke und Alte sorgen. Mit den Klimaschutzmaßnahmen kann diese Arbeit unterstützt oder behindert werden. Wenn zum Beispiel in Städten autofreie Zonen eingerichtet werden, wird dadurch Platz für Grünflächen frei. Die helfen gegen den Klimawandel und tragen dazu bei, Hitze zu mildern. Gleichzeitig werden damit Kommunikationsräume hergestellt, in denen Kinder auch mal unbeaufsichtigt spielen können, Kontakte und der Austausch zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ermöglicht und Nachbarschaften gestärkt werden. Dagegen wehrt sich aber die Autofahrerlobby. Und hat das Recht auf ihrer Seite, weil in Deutschland das Auto immer noch Vorrang vor allen anderen Verkehrsteilnehmer_innen hat.

LK: Welche Maßnahmen werden aktuell in Deutschland zur Bekämpfung des Klimawandels umgesetzt?

UR: Ich greife jetzt mal die Maßnahmen heraus, die die Privathaushalte betreffen. Da geht es zum einen um die energetische Sanierung von Gebäuden, zum anderen um den Austausch von Heizungen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Das ist auch dringend nötig, da hätte in der Vergangenheit schon viel mehr gemacht werden müssen. Aber: nicht alle Hausbesitzer_innen können sich das finanziell leisten. Gerade die älteren, schlecht oder gar nicht gedämmten Einfamilienhäuser werden häufig von Rentner_innen genutzt, deren Einkommen am Rande der Armutsgrenze liegt. Häufig sind dies – unter anderem aufgrund der höheren Lebenserwartung – ältere Frauen, die sich die Sanierung selbst bei finanzieller Förderung nicht leisten können. Gleiches gilt für den Heizungsaustausch. In beiden Fällen bedarf es sehr zielgerichteter Unterstützung.

LK: In Bezug auf Klimaschutzmaßnahmen spielt die sogenannte Klimafinanzierung eine wichtige Rolle. Was genau steckt dahinter?

UR: Im internationalen Kontext bezieht sich Klimafinanzierung, einfach erklärt, auf Geldmittel, die eingesetzt werden, um die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern und den Klimawandel zu bekämpfen, besonders im globalen Süden. Das bedeutet, dass Geld bereitgestellt wird, um Ländern zu helfen, sich an den Klimawandel anzupassen und ihre Gesellschaften zu transformieren. Dieses Geld wird vor allem von Industrieländern zu Verfügung gestellt.  

Bei uns stellt sich die Frage, wie das Geld für die Finanzierung von Klimaprojekten und Maßnahmen generiert und verteilt wird. Aktuell kommt viel Geld aus der CO2-Bepreisung, die 2021 auf Wärmeenergie und Mobilität ausgeweitet wurde. Dadurch werden Heizenergie und Kraftstoffe teurer. Im letzten Wahlkampf haben SPD und Grüne für ein Klimageld geworben, um einen Teil der Einnahmen aus CO2-Bepreisung zurück an die Bevölkerung zu verteilen. Allerdings ist das Klimageld seit der Ampelkoalition nicht mehr im Fokus. Die CO2-Bepreisung bleibt trotzdem bestehen – und sie betrifft die Geschlechter sehr unterschiedlich.

LK: Inwiefern?

UR: Frauen haben beispielsweise einen höheren Wärmebedarf, und zwar nicht, weil sie sich falsch kleiden, sondern weil ihr Grundumsatz anders ist als der von Männern. Außerdem halten sie sich auch viel länger in ihren Wohnungen auf – leider oft in schlecht gedämmten Wohnungen – da sie häufiger in Teilzeit arbeiten, um zum Beispiel für Familienangehörige zu sorgen. Dadurch kommen natürlich höhere Energiekosten auf sie zu. So sind Frauen auch stärker als Männer von Energiearmut betroffen. Dies sollte man immer auch im Hinterkopf behalten, wenn Maßnahmen geplant werden.

 

„Es profitieren vorrangig Männer“

 

LK: Welche politischen Instrumente oder Strategien werden eingesetzt, um Energiearmut zu reduzieren?

UR: Um ärmeren Haushalten zu helfen, gibt es höhere Zuschüsse. Allerdings herrschen in der Politik unterschiedliche Meinungen darüber, ob alle Haushalte die gleichen Zuschüsse erhalten sollten oder ob einkommensschwächere Haushalte mehr Unterstützung benötigen. Es gibt Vorschläge, dass ärmere Haushalte größere Zuschüsse erhalten als reichere Haushalte, die weniger oder gar keine Zuschüsse benötigen. Diese werden in der Politik diskutiert, aber in der Vergangenheit wurden Zuschüsse oft gleichmäßig wie mit der Gießkanne verteilt, unabhängig von der finanziellen Situation der Empfänger_innen. Dies hat zur Folge, dass ärmere Haushalte weniger Unterstützung erhalten, weil das Geld nur einmal verteilt werden kann. Diese Verteilungsmethode reicht für einkommensschwache Haushalte oft nicht aus, bei Haushalten mit hohen Einkommen fallen sie nicht ins Gewicht, weil sie nicht benötigt werden.

LK: Inwiefern wirkt sich die allgemeine, gießkannenartige Verteilung auf die Geschlechterverhältnisse aus?

UR: Ganz einfach: Frauen sind nicht nur öfter als Männer von Energiearmut betroffen, sondern auch von Armut allgemein. Wenn man genau hinschaut, wer wie viel verdient, wird das bekannte Geschlechtergefälle bei den Einkommen, das Gender Pay Gap, deutlich. In Einkommensgruppen bis 1.500 € netto sind mehr Frauen vertreten. Ab einem Einkommen von 1.501 € überwiegen jedoch die Männer, und je höher das Einkommen, desto größer wird die Kluft zwischen Männern und Frauen. Diejenigen, die weniger Geld haben, sind also zu einem großen Anteil Frauen. Es ist daher wichtig, dass in diesen Diskussionen die Bedürfnisse und Herausforderungen von einkommensschwächeren Haushalten berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass alle Bürger_innen gleichermaßen von den Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels profitieren können bzw. bei den Kosten Unterstützung erhalten. Denn aktuell werden Gelder häufig so verteilt, dass sie eher bestimmten Gruppen zugutekommen. Klar ausgedrückt: Es profitieren eher Männer. Das Problem ist, dass Klimapolitik oft aus einer androzentrischen, also aus einer männerzentrierten Perspektive geplant und formuliert wird, wodurch andere Aspekte vernachlässigt werden.

LK: Haben Sie Beispiele für klimapolitische Maßnahmen, die tatsächlich eher Männer begünstigen?

UR: Die Erhöhung der Pendlerpauschale und Zuschüsse für Elektroautos sind zum Beispiel Maßnahmen, von denen eher Männer profitieren, da sie mehr pendeln und eher Elektroautos kaufen. Ich habe mir mal die Mühe gemacht und geguckt, wer welche Autos kauft. Und siehe da, deutlich weniger Frauen kaufen Elektroautos, da sie einfach teurer sind.  

Ein weiteres Beispiel ist die Wohnsituation von Frauen. Wenn sie alleinstehend sind, leben sie oft in kleinen Wohnungen, die schlecht gedämmt sind und sich in Stadtgebieten mit hoher Luft- und Lärmverschmutzung befinden. Frauen sind in dieser Hinsicht mehrfach benachteiligt, da sie oft die geringsten Möglichkeiten haben, Energie zu sparen. Sie haben als Mieterinnen keine Möglichkeit, ihre Wohnung zu dämmen, da sie nicht Eigentümerinnen sind. Und wenn der Eigentümer/die Eigentümerin seine oder ihre Wohnhäuser dämmt, erhöht sich dadurch die Miete und die Mieter_innen werden verdrängt.  

Die ökonomischen Auswirkungen der Wohnsituation von Frauen sind heftig und haben auch Auswirkungen auf andere Aspekte der Geschlechterungleichheit, wie die Hausarbeit und Versorgungsarbeit Zuhause. Frauen und einkommensschwache Haushalte werden oft aufgefordert, Energie zu sparen. Doch aus Klimaschutzperspektive geht es nicht darum, dass arme Haushalte Energie einsparen, sondern dass die einkommensstarken Haushalte ihren Beitrag zur Reduzierung des Klimawandels leisten, da sie den absolut größten Teil zum Klimawandel beitragen. Der Einsatz zur Energieeinsparung kann auch zu einer zusätzlichen Belastung führen. Waschmaschinen in der Nacht einzustellen, weil da die Energie am billigsten ist, hat nämlich auch wieder Auswirkungen auf die Lebenssituation von Frauen.

 

„Das Problem ist, dass Klimapolitik oft aus einer männerzentrierten Perspektive geplant und formuliert wird“

 

LK: Welche Aspekte der aktuellen Klimapolitik könnten optimiert werden, um soziale und geschlechtsspezifische Belange besser zu berücksichtigen?

UR: Vor allem in den letzten fünf Jahren hat sich die Klimapolitik insofern verbessert, als dabei soziale Aspekte stärker berücksichtigt werden. Auch wenn angesichts der Steigerung der Energiepreise die sozialen Aspekte deutlich stärker in den Vordergrund gerückt sind, heißt das leider trotzdem nicht automatisch, dass die Geschlechterperspektive in den Vordergrund rückt. Daran fehlt es bei der Klimapolitik also nach wie vor. Seit 2001 sind Ministerien in Deutschland dazu verpflichtet, alle Maßnahmen und Gesetze auf ihre Geschlechterwirkung hin zu überprüfen, aber es passiert letztendlich nichts und wenn doch, dann wird nur eine Box angekreuzt, in der steht, dass keine Auswirkungen auf die Geschlechter feststellbar sind. Um dieses Problem anzugehen, setzen wir uns massiv dafür ein, dass für alle Maßnahmen ein sogenanntes „Gender Impact Assessment“ durchgeführt wird. Das ist ein Instrument, um sicherzustellen, dass auch Menschen in Ministerien und in der Industrie, die sich fragen, was Klimaschutz mit Geschlechterfragen zu tun hat, eine klare Antwort bekommen.

LK: Nun haben wir viel über die nationale Klimapolitik geredet. Wie sieht es auf internationaler Ebene aus?

UR: Die Klima-Außenpolitik muss insgesamt kohärent und glaubhaft sein. Dies kann nur gelingen, wenn sowohl die nationale als auch die internationale Klimapolitik geschlechtergerecht gestaltet wird. Ich persönlich finde es etwas problematisch, dass immer mehr Politikbereiche sich heutzutage als feministisch bezeichnen, sei es die feministische Außenpolitik, die feministische Entwicklungspolitik oder auch die feministische Umwelt- und Klimapolitik. Die erstgenannten haben bereits Leitlinien entwickelt, die auch positiv zu bewerten sind. Bei der Umwelt- und Klimapolitik fehlen diese leider.

LK: Dieses Gespräch vermittelt ein ziemlich düsteres Szenario bezüglich der Geschlechtergleichstellung in der Klimapolitik. Lassen Sie uns zum Abschluss noch einen Schritt weiter gehen: Was bringt Sie in Rage?

UR: In den letzten zwei Jahren ist mir aufgefallen, dass Umweltministerien zum Weltfrauentag am 8. März regelmäßig Statements abgeben, wie wichtig feministische Umwelt- und Klimapolitik ist. Das ist eine schöne Geste, aber den Worten müssen Taten folgen, sie müssen mit Inhalten gefüllt werden, sonst nützt es relativ wenig.


Über die Interviewpartnerin Prof. Dr. Ulrike Röhr

Ulrike Röhr ist Bauingenieurin und Diplom Soziologin und widmet sich seit 30 Jahren der Erforschung von Frauen- und Genderperspektiven in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Zusammen mit Kolleginnen an der Technischen Universität Berlin gründete sie den Verein LIFE – Bildung, Umwelt, Chancengleichheit e.V. Dort leitete sie bis 2014 den Bereich Gender, Umwelt, Nachhaltigkeit. Sie ist Co-Gründerin von GenderCC – Women for Climate Justice e.V. und Mitglied in der Sachverständigenkommission zum 4. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zu ökologischer Transformation.


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