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Egal was geschieht – Iran bleibt ein Schlüsselland im Nahen Osten. Die EU wird daher die nächste iranische Regierung eingehend beurteilen und eine realistische, sich auf die wichtigsten Interessen Europas konzentrierende Strategie entwickeln müssen.
Bild: Mamedov
Eldar Mamedov
Als 2015 das unter dem Kürzel JCPOA bekannt gewordene Nuklearabkommen zwischen den Weltmächten und Iran geschlossen wurde, hoffte die damalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, dass es sich nicht als Endpunkt, sondern als Basis für die europäisch-iranischen Beziehungen erweisen würde. Die gemeinsame Erklärung von Mogherini und dem iranischen Außenminister Javad Zarif aus dem April 2016 formulierte ein entsprechend ehrgeiziges Programm. Dieses umfasste Absichtserklärungen etwa für die Bereiche Handel, persönliche Beziehungen und Bildungsaustausch.
Doch die Pläne scheiterten: Zu groß war der „maximale Druck“, den die Trump-Administration auf Iran ausübte, und der EU mangelte es an Bereitschaft beziehungsweise Möglichkeiten, die eigene strategische Autonomie zu behaupten. Die Rückkehr der Demokraten ins Weiße Haus und – damit verbunden – besseren Aussichten auf eine Wiedereinsetzung des JCPOA könnten der vor fünf Jahren avisierten Agenda nun neues Leben einhauchen.
Allerdings gefährdet aktuell ein weiteres Problem die Beziehungen zwischen der EU und Iran, und dieses Mal befindet sich das Problem auf iranischer Seite. Nachdem der Wächterrat fast alle gemäßigten und reformorientierten Kandidat*innen von der Präsidentschaftswahl im Juni 2021 ausgeschlossen hat, bereitet sich die EU auf einen Konservativen als nächsten iranischen Präsidenten vor. Denn die besten Chancen werden dem bisherigen Chef der Justiz, Ebrahim Raissi, eingeräumt.
Die Vertreter*innen des konservativen Lagers stehen Kontakten mit dem „Westen“, insbesondere bei Beziehungen unter den Bevölkerungen oder im Bereich der Kultur, traditionell skeptisch gegenüber. Sie erscheinen ihnen als Mittel des Westens, die Islamische Republik zu infiltrieren und zu unterwandern. Das Erstarken eines Kandidaten wie Raissi – der vom Makel einer Beteiligung an massiven Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit, wie dem Massaker an den politischen Gefangenen 1988, gezeichnet ist – dürfte für die EU relativ teuer werden: Es geht um ihren Ruf und um die Transaktionskosten beim Umgang mit der voraussichtlich nächsten Regierung Irans. Die Bühne ist bereit für eine Phase eher minimalistischer Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Iran.
An dieser Entwicklung ist die EU nicht ganz unschuldig. Dennoch liegt die Hauptverantwortung im undemokratischen Wesen des iranischen Systems. Die Bemühungen der Regierung Rohani um soziale und ökonomische Reformen wurden vom Deep State der Islamischen Republik immer wieder ausgebremst. Der Wächterrat hob diese Sabotage auf die nächste Stufe, indem er jede potenziell reformistische Herausforderung bei den Präsidentschaftswahlen bereits im Vorfeld eliminierte.
Schuld am Status Quo ist auch die Trump-Administration, die die iranischen Befürworter*innen der Annäherung an den Westen und der Reformen im eigenen Land durch den Verstoß gegen das Wiener Nuklearabkommen und ihre Kampagne des „maximalen Drucks“ deutlich schwächte. Zu nennen sind weiterhin die Fehler und das Missmanagement der vor allem von den weniger gut gestellten Bürger*innen im Land oft als unnahbar und ineffizient wahrgenommenen Regierung Rohani. Beschädigt wurde deren Ansehen auch durch die brutale Niederschlagung der Wirtschaftsproteste der Jahre 2017 bis 2019.
Gleichwohl kann sich die europäische Seite nicht ganz der eigenen Verantwortung entziehen. Die EU/E3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) diskreditierte die Idee von Europa als eine realistische westliche Option für den Iran, als sie darauf verzichtete, sich nachdrücklich gegen Trumps Politik aufzulehnen. Das INSTEX-Projekt – eine Zweckgesellschaft, entworfen, um die extraterritorialen US-Sanktionen zu umgehen – kam nie wirklich in Gang. Die EU erwies sich als unfähig, Iran jene ökonomische Vorteile zu bieten, die Teheran als Folge des JCPOA für das Land gesichert zu haben glaubte. Überdies erweckte die E3 gelegentlich den Anschein, für das Scheitern des Nuklearabkommens seien nicht die USA, sondern Iran verantwortlich. Nicht weniger unglücklich war die einseitige Anschuldigung, Iran destabilisiere die Region, obwohl Frankreich und Großbritannien selbst enge Beziehungen zu anderen problematischen Akteuren wie Saudi-Arabien und den VAE haben. Die Waffenverkäufe der beiden europäischen Länder an die Monarchien im arabischen Raum boomen. Auch das verkleinert den Spielraum für die gemäßigten Kräfte in Iran.
Nichtsdestoweniger wird Iran eine zentrale Macht im Nahen Osten bleiben und die Politik des Landes wird eine Reihe von Konflikten in der Region prägen, die von sicherheitspolitischer Relevanz für die EU sind. Zu nennen sind Afghanistan, Irak und Syrien. Die iranische Politik wird auch Konsequenzen für die Stabilität am Persischen Golf und die nukleare Aufrüstung haben. Es bleibt der Europäischen Union daher nichts anderes übrig, als sich mit Iran zu beschäftigen, gleichgültig wer das Land führt. Daher wird sie die neue Regierung in Teheran eingehend beurteilen und eine realistische Strategie entwerfen müssen, die ihre wesentlichen Interessen im Blick behält.
An oberster Stelle dieser Interessen steht die Wiedereinsetzung des Nuklearabkommens, das Nicht-Proliferation im Gegenzug für die Aufhebung der Sanktionen gewährleisten soll. Es besteht durchaus eine Chance, dass die Fortsetzung der Verhandlungen in Wien zu einem für beide Seiten zufriedenstellenden Ergebnis führen. Auf iranischer Seite fällt die Entscheidung einer Rückkehr zum JCPOA im „System“ (nezam) und wird vom Obersten Führer der Islamischen Republik Ayatollah Chamenei genehmigt. Strategisch gesehen hängt sie damit weder von der Regierung Rohani noch von den anstehenden Wahlen ab. Ungeachtet verschiedener taktischer Ansätze möchte das gesamte politische Establishment das Ende der Sanktionen herbeiführen. Denn diese stellen nicht nur ein Problem für die iranische Wirtschaft dar, sondern behindern die Geschäftsinteressen der wichtigsten Akteure, nicht zuletzt der Revolutionsgarde IRGC, in der Region. Unbeschadet der Teheraner Erklärungen zu „strategischen Partnerschaften“ mit China und Russland bestehen überdies auch Moskau und Peking auf der Erfüllung des JCPOA.
Das nezam hätte nichts gegen einen Abschluss der Verhandlungen durch das diplomatisch und technisch kompetente Team von Außenminister Zarif, denn nicht die politischen Gegner im Zentrum und im Lager der Reformer würden von einem Deal profitieren, sondern die neue, konservative Regierung, die die wirtschaftliche Erholung Irans für sich reklamieren könnte. Die EU sollte sich dennoch weiterhin für eine Wiederaufnahme des JCPOA einsetzen, selbst wenn das die Kräfte in Teheran stärken könnte, die sich weniger umfassend verpflichten möchten als die Regierung Rohani am Ende ihrer Amtszeit.
Der zweite wichtige Aspekt ist die Deeskalation auf regionaler Ebene am Persischen Golf und im Nahen Osten. Während Washington sich ein Stück weit von der bedingungslosen Unterstützung Riads löst, und die von Iran unterstützten Huthi-Rebellen auf dem Schlachtfeld Erfolge gegen die von den Saudis geführte Koalition im Jemen feiern, finden erste iranisch-saudische Geheimgespräche in Bagdad statt. Bei der Wahl einer Regierung Raissi dürften weitere Verhandlungen zwischen Iran und den regionalen Rivalen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten folgen. Die Tatsache, dass das außenpolitische Team Raissis vermutlich eher auf die Präferenzen des iranischen Sicherheits-Establishments, einschließlich der Revolutionsgarde, eingehen würde, sollte diese Konsultationen befördern. Ein Sieg Raissis würde das „Tageslicht“ zwischen Diplomatie und „militärischem Feld“, das Zarif in seinem geleakten Interview ansprach, definitiv eliminieren. Dass die Gespräche mit den Saudis nicht vom Außenminister, sondern vom Chef der Quds-Einheit der Revolutionsgarde Ismail Ghaani geführt werden, lässt vermuten, dass eine Vereinbarung, die auch die legitimen Sicherheitsinteressen Saudi-Arabiens berücksichtigt, bessere Chancen hat, auch auf iranischer Seite umgesetzt zu werden.
Während der Präsidentschaft Rohanis taten die Diplomat*innen Saudi-Arabiens und der VAE den Staatschef und Zarif häufig als lächelnde Fassade eines Regimes ab, dessen „wahre Entscheidungen“ von den Hardlinern im Sicherheitsapparat und im Büro des Revolutionsführers getroffen würden. Ein solcher nie gänzlich glaubwürdiger Vorwand für die Ablehnung eines Dialogs wird mit einer Regierung Raissi im Amt noch weniger Gewicht haben. Die EU sollte regionale Deeskalationsbemühungen nachhaltig unterstützen.
Allerdings muss die EU auch realistisch zur Kenntnis nehmen, dass iranische Raketen und Stellvertreter-Gruppen in der Region nicht zur Debatte stehen, solange Teheran sie als unverzichtbare Abschreckung versteht. Hier wird es eine Kontinuität zwischen der scheidenden und der neuen Regierung geben. Dessen ungeachtet sind die Konservativen möglicherweise besser positioniert, um Verständigung in der Region, etwa über eine Begrenzung der Raketenreichweite im Gegenzug für entsprechende Schritte insbesondere von Riad und Abu Dhabi, zu erzielen. Ein Abbau der Spannungen würde mehr Sicherheit in der Straße von Hormus bringen, einer globalen Schifffahrtsroute, auf der einige EU-Staaten unter französischer Führung eine maritime Überwachungsmission betreiben. Eine Deeskalation könnte sich auch positiv auf andere, für die EU sicherheitsrelevante Gebiete auswirken, beispielsweise in Irak, Libanon und Syrien.
Das dritte Kerninteresse der Europäischen Union ist die Förderung der Menschenrechte in Iran. Dies hat ebenso normative wie praktische Implikationen: Nach wie vor sitzen mehrere Personen mit einer doppelten – europäisch-iranischen – Staatsbürgerschaft aus vorgeschobenen Gründen in iranischen Gefängnissen.
Angesichts seiner Vorgeschichte dürften die Menschenrechte bei einem Präsidenten Ebrahim Raissi der schwierigste Bereich für ein Engagement sein. Paradoxerweise könnte die Tatsache, dass er dem konservativen Lager angehört, ihm jedoch ermöglichen, Maßnahmen zu ergreifen, die eher moderate Politiker*innen nicht durchsetzen könnten. Zahlreiche negative Initiativen der letzten Jahre, wie die Inhaftierung von Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, wurden von den Konservativen im Justiz- und Sicherheitsapparat ergriffen, die ihre gemäßigten Gegner*innen bloßstellen und deren Ansehen im Westen sabotieren wollten. Mit einem konservativen Präsidenten gäbe es diesen Anreiz, Schaden anzurichten, nicht mehr. Auch wären dann direkte Verhandlungen mit den Entscheidungsträger*innen in Teheran, die während Rohanis Amtszeit zum großen Bedauern europäischer Diplomat*innen unerreichbar waren, möglich.
Es sollte auch nicht vergessen werden, dass das politische Umfeld in Iran unabhängig von Raissis verurteilenswerter Vergangenheit heute ein anderes ist als in der Zeit des revolutionären Eifers in den 1980er-Jahren. Raissi selbst fand es notwendig, sich zumindest den Anschein zu geben, die Entscheidung des Wächterrats, ihm den Weg zum Sieg durch den Ausschluss von Reformkandidat*innen von der Wahl zu sichern, abzulehnen. Überdies deutet die Geschichte des bürgerlichen Aktivismus in Iran keineswegs darauf hin, dass seine Wahl demütig als Ende des Kampfes um mehr Bürgerrechte und politische Partizipation akzeptiert werden wird.
Raissi sieht die Präsidentschaft als Sprungbrett für seinen ultimativen Aufstieg als Nachfolger Chameneis. Er könnte also durchaus versuchen, sich für diese Position zu legitimieren, indem er ein breiteres Segment der Gesellschaft anspricht als ausschließlich die Kerntruppe seiner Anhänger*innen. Wenngleich extreme Skepsis die Grundhaltung der EU bestimmen sollte, sind Versuche, sich stärker zu engagieren, unerlässlich. Eine Intensivierung der Gespräche über die Freilassung der in Iran festgehaltenen Gefangenen mit zwei Pässen wäre ein guter Anfang.
Die Perspektive einer konservativen Eroberung der Präsidentschaft, und damit der einen wichtigen staatlichen Institution, die die Konservativen bisher noch nie innehatten, ist gewiss entmutigend für die Europäische Union. Dennoch sollten Brüssel und die übrigen europäischen Hauptstädte ihre Kommunikationskanäle mit Teheran offenhalten, die eigenen Erwartungen auf das richtige Maß setzen und sich auf die europäischen Kerninteressen fokussieren. Langfristig könnte das die Grundlage für ein erweitertes, erneutes Engagement sein, wenn die politischen Bedingungen in Iran eine Öffnung wieder möglich machen. Während sich die EU auf die Zukunft vorbereitet, darf gleichwohl jedoch nicht vergessen werden, dass die Wahlen in Iran immer wieder überraschende Ergebnisse brachten. So ist Raissis Sieg zwar wahrscheinlich. Gesichert ist er jedoch noch nicht.
Eldar Mamedov ist politischer Berater der Sozialdemokraten im Außenpolitischen Ausschuss des Europäischen Parlaments und betreut die EP-Delegationen für interparlamentarische Beziehungen mit Iran, Irak, der Arabischen Halbinsel und den Maschrek. Zuvor arbeitete er im Außenministerium Lettlands und war im diplomatischen Corps der lettischen Botschaften in Washington D.C. und Madrid. Mamedov ist Absolvent der Universität von Lettland und der Diplomatischen Akademie in Madrid.
Dieser Artikel gibt die persönliche Meinung des Autors wieder. Er reflektiert nicht die Meinungen der sozialdemokratischen Fraktion oder des Europäischen Parlaments.
Auf Twitter: @EldarMamedov4
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