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Jurij Badzio war einer der prominentesten sowjetischen Dissidenten ukrainischer Abstammung und einer der letzten politischen Gefangenen in der UdSSR. Er war Demokrat, Sozialist und einer von vielen, die zu Sowjetzeiten für die nationale Unabhängigkeit der Ukraine eintraten. 1979 wurde Jurij Badzio wegen seines Textes „Das Recht zu leben“ verhaftet. Das Manuskript wurde beschlagnahmt, aber eine Zusammenfassung konnte im Westen veröffentlicht werden. Badzio wurde schließlich im Dezember 1988 freigelassen.
„Es besteht kein Zweifel daran, dass meine Frau und ich nach der Durchsuchung (Februar 1979) und der Beschlagnahme des Manuskripts der (unvollendeten) Dissidentenmonographie 'Das Recht zu leben‘ verhaftet werden, als wir spät in der Nacht durch die Straßen in der Nähe unseres Hauses gingen und die Situation diskutierten. Was soll man der Welt mitteilen, wie soll man seine Position formulieren, fragte meine Frau. Ich hatte die Formel parat: Humanismus, Patriotismus, Demokratie, Sozialismus. Auf diese Reihenfolge kommt es an, betonte ich.“ („Die Pappeln machen mobil...“, Interview mit Jurij Badzio für die Website von Nascha Ukraina, 2. Juni 2013)
Dieser Beitrag ist eine Übersetzung des englischen Beitrags von Historiker Vladyslav Starodubtsev. Das Original steht hier zum Download zur Verfügung.
Badzio wurde 1936 in dem kleinen Dorf Kopynivtsi in der Region Transkarpatien (Zakarpattya) in eine Bauernfamilie hineingeboren. Er erlebte, wie das Dorf mehrfach die Staatenzugehörigkeit wechselte – von Tschechien über Ungarn, die Sowjetunion und schließlich zur Ukraine. Badzio erinnert: „In der Geburtsurkunde bin ich 'Jirji' (tschechische Regierung), dann 'Djort' (ungarische Regierung), im sowjetischen Pass wird aus 'Djort' 'Georgiy' (in der unabhängigen Ukraine erhielt ich meinen natürlichen Namen – Jurij – zurück).“ Seine jüngeren Jahre fielen in die Zeit des Krieges und mit der Annexion von Zakarpattya durch die UdSSR verbrachte er seine Jugendjahre in einem neuen Staat unter neuer Herrschaft. An die Kriegsjahre hat Badzio nicht viele Erinnerungen. Heraus stechen solche an die Judenverfolgung: „[...] die Gendarmen nehmen uns die ganze jüdische Familie weg, unsere Nachbarn; ich höre von den Dorfbewohnern, wie die ungarischen Behörden uns erziehen: ‚wenn ihr ungarisches Brot esst – sprecht ungarisch‘.“ („Die Pappeln machen mobil...“, Interview mit Jurij Badzio für die Website von Nascha Ukraina, 2. Juni 2013)
In der Sowjetunion hatte Badzio die Möglichkeit, ukrainische Sprache und Literatur zu studieren. 1958 schloss er die Staatliche Universität Uschgorod ab und wurde Lehrer für ukrainische Sprache und Literatur. Zudem verfügte Badzio über gute Kenntnisse der deutschen Sprache; so übersetzte er später sogar Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“ ins Ukrainische. All dies ebnete Badzio den Weg für eine gute Karriere. Er war Mitglied der Kommunistischen Jugend – und trat dann in die Partei ein. Schon früh kritisierte er in privaten Briefen das Bildungssystem indem er sagte, der Unterricht sei „vollgestopft mit Marxismus“. Später, nach dem XX. Parteitag der KPdSU kritisierte er auch Stalin energisch, wobei die orthodoxere Kommunistische Jugend die von Badzio bezogene Position nicht teilte. „Der Kult um die Persönlichkeit Stalins“, so Badzio in einer Notiz aus dem Jahr 1956, „hängt er nicht mit unserem System im Allgemeinen zusammen? Ich muss nachdenken.“ Und kurz darauf notiert er: „Die Wurzel des Personenkults liegt in der Fetischisierung, dem sozialistischen Despotismus, in der Fetischisierung, der Vergötterung der Partei.“ („Die Pappeln machen mobil...“, Interview mit Jurij Badzio für die Website von Nascha Ukraina, 2. Juni 2013)
Da Badzio von einer akademischen Laufbahn träumte, bewarb er sich 1961 für ein Aspiranturstudium (Postgraduiertenstudium) in Kyjiw. Er war einer der besten Studenten und seine Arbeiten wurden bereits weithin bewundert; sein Diplom wurde als das beste in der Region ausgezeichnet.
In Kyjiw traf sich Badzio mit Dissidenten, die später als die „1960er-Generation“ bezeichnet werden. Er arbeitete mit dem Dichter Wassyl Stus zusammen, der ein guter Freund von ihm war. Seine erste ernsthafte dissidentische Aktion fand jedoch am historischen 4. September 1965 anlässlich der Premiere des ukrainischen Films „Schatten der vergessenen Vorfahren“ (Tini zabutykh predkiv) statt. Am Ende des Films betrat der ukrainische Dissident Iwan Dzyuba die Bühne und sprach über die Verhaftungen politischer Aktivist:innen in der sowjetischen Ukraine. Ihm schlossen sich Wassyl Stus und Wjatscheslaw Tschornowil an. Die Rede endete mit dem Aufruf „Diejenigen, die gegen Verhaftungen sind, stehen auf!“ Ein Drittel der Kinobesucher:innen folgten dem Aufruf – unter ihnen war auch Jurij Badzio. Schon zuvor war Badzio Organisator des ersten ukrainischen informellen Literaturklubs (Club für kreative junge Menschen/Klub tvorchoyi molodi), der als „antisowjetisch“ galt. Doch Konsequenzen folgten erst nach dem Protest im Kino. Er durfte seine Aspirantur nicht weiterführen, ihm wurde generell die wissenschaftliche Arbeit verweigert und er wurde aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Einige Zeit lang versuchte er, seine akademische Laufbahn zu erneuern, und beteiligte sich daher eher passiv an der Dissidentenbewegung.
Interviewer: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es Ihrer Meinung nach zwischen den anti-ukrainischen Kräften der Sowjetzeit und der Zeit der unabhängigen Ukraine?
Badzio: Was sie gemeinsam haben, ist der Versuch des Russischen Reiches, uns nicht nur politisch, sondern auch kulturell zu absorbieren, d.h. zu assimilieren, zu entnationalisieren [...] – die Russifizierung der Vergangenheit zu konsolidieren und zu legitimieren.
Neu ist hier nun eine anti-ukrainische Politik unter dem Banner der Demokratie (formaler Demokratie) [...] Die Aufrechterhaltung des derzeitigen Grades der Russifizierung in den großen Städten der Ost- und Südukraine spaltet die Ukraine territorial, die Aussicht auf eine „Wiedervereinigung“ mit Russland ist hier offensichtlich. Dies belegen soziologische Erhebungen in all den Jahren unserer Unabhängigkeit sowie die politische Lage in der Ukraine in den letzten Jahren. Gleichzeitig gibt es einen ermutigenden ideologischen und politisch-propagandistischen Bezugspunkt (die Möglichkeiten der Materialisierung sind grenzenlos!) – die epochale Bemerkung des russischen Präsidenten W. Putin in einem Gespräch mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Bush über die Ukraine: Das ist kein Staat, zwei Drittel seines Territoriums waren ein Geschenk von uns.
Das Erwachen und die Reifung des ukrainischen Nationalbewusstseins werden von innen- und außenpolitischen Kräften heftig bekämpft, und zwar nicht nur im Osten, wie die identischen Reaktionen Russlands und des Westens auf die Inhaftierung und das (offensichtlich begründete) Strafverfahren gegen J. Timoschenko mehr als deutlich gezeigt haben. Hier ist es gerade der Westen, der in seiner Haltung und im Gespräch mit den ukrainischen Behörden „ausdrucksstärker“ ist, der offen die Sprache des Diktats spricht und die staatliche Souveränität der Ukraine und ihrer Behörden grob missachtet. Die Lage in der Ukraine ist heute äußerst dramatisch, kompliziert und bedrohlich. Ideologisch, politisch (Personal, Finanzen, angemessene Position und Verhalten, kurz gesagt, das Fehlen einer etablierten politischen Klassenführung) und psychologisch sind wir darauf nicht vorbereitet.
Ich bin davon überzeugt, dass die Ukraine als Staat, als Land, nicht vollwertig werden wird, und wir werden nicht aus einer solchen festgefahrenen Krise politischer und wirtschaftlicher Instabilität herauskommen, solange wir nicht öffentlich das diskutieren, was immer die „ukrainische nationale Frage“ genannt wurde. Das heißt, die Frage nach den Rechten der Ukrainer, nach der Tatsache, dass die Demokratie den demokratiefeindlichen Aktivitäten keine legitimen Rechte einräumen kann.
Und genau das ist durch die mechanische Anwendung demokratischer Prinzipien geschehen. So wurde die Kommunistische Partei der Ukraine, die zu Recht und mit Recht verboten wurde, plötzlich, ohne ihre Ideologie und Politik zu ändern, zu einer legalen Organisation mit legalen Aktivitäten. Ich nenne diese Legalisierung eines solchen Zustandes eine „neue Eroberung der Ukraine“.
Sehen Sie, früher war bekannt, dass der bolschewistische Totalitarismus eine gewisse politische und kulturelle Autonomie, die theoretisch die ukrainische Republik war, vollständig beseitigt hat, und jetzt akzeptieren diese Kräfte unsere Unabhängigkeit nicht (die Kommunistische Partei der Ukraine spricht darüber, indem sie die Unabhängigkeitserklärung 1991 offen als „konterrevolutionären Akt“ bezeichnet), sie werden plötzlich zu einer völlig legalen Organisation und mehr noch: die Behörden betrachten sie als respektable Opposition, fast die einzige wirkliche Opposition (so wird es oft erklärt). Das ist ein schreckliches Paradoxon. („Die Pappeln mobilisieren...“, Interview mit Jurij Badzio für die Website von Nascha Ukraina, 2. Juni 2013)
1971 schrieb Badzio einen Brief an das Präsidium des ukrainischen Schriftstellerverbandes. Darin beschrieb er den Zustand der ukrainischen Literatur und Kultur in der Ukraine als „zweitrangig“ gegenüber dem Russischen. 1972 wurden die meisten der Kontakte und engen Freunde von Badzio verhaftet. Iwan Dsjuba und Wassyl Stus wurden wegen ihrer Opposition inhaftiert. (Wassyl Stus starb 1985 in einem sowjetischen Lager; Iwan Dsjuba wurde Mitbegründer der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung und der ersten oppositionellen demokratischen Partei „Volksbewegung“). Badzio verlor alle Hoffnungen auf eine akademische Karriere. Zuvor war er ein viel publizierender und geschickter Literaturkritiker, Übersetzer und Herausgeber. Seine Wohnung wurde vielfach zum Schauplatz offizieller und weniger offizieller Besuche des KGB. Auch die inoffiziellen Besuche blieben ihm nicht verborgen; wie es üblich war, hatte auch Badzio Mittel und Wege, um zu sehen, ob jemand in seiner Abwesenheit seine Wohnung besuchte. – Dies wurde auch in seinem Strafverfahren vom KGB beschrieben. Im Jahr 1972 führte der KGB im Zusammenhang mit der Verhaftung von Iwan Dsjuba eine Razzia in seiner Wohnung durch. Dabei fanden sie und beschlagnahmten Korrespondenz sowie Bücher des ukrainischen Historikers und führenden Kopfs der Unabhängigkeitsbewegung nach dem Ersten Weltkrieg, Mychajlo Hruschewskyj (1866—1934). Danach verlor er erneut seinem Job, konnte keiner geisteswissenschaftlichen Arbeit mehr nachgehen und ihm drohte ein Strafverfahren, wenn er nicht in einer Zementfabrik außerhalb von Kiew arbeiten würde. Badzio fand einen Job in einer Brotfabrik in der Nachtschicht und schrieb einen Brief an den KGB, in dem es hieß, dass er bereits schwerer körperlicher Arbeit nachginge und dass alle Beschwerden des KGB über seine Arbeit gegen ihn öffentlich gemacht werden sollten. Badzio wollte damit den Vorwurf des „Sozialparasitismus“ kontern, der in der UdSSR ein strafbares Vergehen darstellte. Dissident:innen wurden von den meisten Arbeitsmöglichkeiten isoliert und entweder wegen „Arbeitslosigkeit“ ins Gefängnis gesteckt oder in unbequeme Arbeitsstätten zur Schwerstarbeit geschickt.
Von diesem Zeitpunkt an schränkte er zu seiner eigenen Sicherheit und um seine Freund:innen nicht in Gefahr zu bringen, alle seine Kontakte ein. In konspirativer Weise begann er 1972 an seinem Hauptwerk zu arbeiten: „Das Recht auf Leben“ – ein umfassendes Werk über die Kritik an totalitären Regimen und nationaler Unterwerfung. Badzio schrieb in der Hoffnung, das Buch schließlich im Westen veröffentlichen zu können. Zugleich bereitete er sich moralisch auf seine Verhaftung vor.
Wie immer wurde er in seiner Arbeit von einem Gefühl für Gerechtigkeit und Wahrheit geleitet. Sein Ansatz unterschied sich von dem anderer Dissident:innen: Während diese üblicherweise sowjetische Terminologie verwendeten, um das Regime auf subtile Weise zu kritisieren, verfasste Badzio ein Werk mit unvermittelter Sprache. Von 1972 bis 1979 war dieser Text sein Hauptwerk. Mitte 1977 waren etwa 1.400 Seiten und vier von fünf Kapiteln plötzlich „verschwunden“, wie Badzio später schrieb. Es gelang ihm, große Teile seines Buches wieder zu schreiben, aber 1979 fand eine offizielle Durchsuchung politischer Natur in Badzios Wohnung statt und weitere 400 Seiten wurden beschlagnahmt. Damit war die Möglichkeit, das Manuskript in den Westen zu schicken, zusammen mit einer immensen Menge an Arbeit verloren. Die kurze Zeit vor der Verhaftung nutzte er, um einen offenen Brief an das Präsidium und das ZK der KPdSU zu schreiben, der eine sehr kurze Zusammenfassung seiner Arbeit darstellte – um im letzten Moment noch öffentlich zu protestieren und der Welt mitzuteilen, was in der Ukraine vorging. Glücklicherweise wurde der Brief von der ukrainischen Helsinki-Gruppe im Westen verbreitet. In dem Brief argumentierte Badzio, dass Lenins Konzept der Annäherung und damit der Tod der Nationen ein nationalistisches Konstrukt sei. Das Konstrukt entstamme keiner wirklichen demokratischen Bewegung, sondern sei ideologisch und spiegele in Wirklichkeit die ungleiche Stellung aller Nicht-Russen unter den Völkern der UdSSR wider. Anstelle des „Aussterbens der Nationen“ dominierten russischer Chauvinismus und Exzeptionalismus.
Die ideologischen Bedingungen der Situation der Völker der Sowjetunion werden ebenso wie die praktische Nationalitätenpolitik der KPdSU bestimmt von der offiziellen Doktrin, die als Konzeption einer blühenden Entwicklung und Annäherung der Nationen formuliert wird. Als Haupttendenz gilt dabei der Prozeß einer gegenseitigen nationalen Annäherung, in deren Folge eigenständige nationale Merkmale schwinden, d. h. die einzelnen Nationen einer anationalen kommunistischen Gesellschaft der Zukunft weichen sollen. Diese Ideologie — kein organisches Produkt eines demokratisch bestimmten Lebens, sondern eine politisch tendenziöse Doktrin — ist der eindeutigste Beweis für die nicht gleichberechtigte Stellung der nichtrussischen Völker der UdSSR und die wesentlichste Form der nationalen Unterdrückung. Das Schwinden der Nationen bezieht sich nämlich weder theoretisch noch praktisch auf das russiche Volk. Die Theorie der Annäherung und Verschmelzung der Nationen wird in der offiziellen Ideologie verbunden mit der Idee vom Russischen als „zweiter Muttersprache“: Die verstärkte kulturhistorische und politische Rolle der russischen Sprache im Leben der nichtrussischen Völker sei eine objektive Gesetzmäßigkeit. Im Zuge dieser Ideologie werden verstärkt der russische Patriotismus, der außergewöhnliche Internationalismus der Russen, ihre besonderen Verdienste in Geschichte und Gegenwart der sowjetischen Gesellschaft propagiert — ein eindeutiger Beweis dafür, daß die Ideologie der sogenannten Internationalisierung der sowjetischen Gesellschaft auf den russischen Großmachtnationalismus zurückgeht und keineswegs auf Marx’ Kommunismusbegriff.
Die Idee der Verschmelzung der Nationen ist ursprünglich eine Idee Lenins. Bereits im Augenblick ihrer Entstehung hat sie ihren dogmatischen Großmachtcharakter und ihr reaktionäres Wesen gezeigt. Die traurige Wirklichkeit des „Kerkers der Nationen“ verlangte von den gesellschaftlichen Kräften, die für sich beanspruchten, den Fortschritt zu vertreten, eine Ideologie der Wiedergeburt der Nationen und des historischen Wertes der nationalen Individualität der Völker. Für Lenin war die Idee der ethnischen Assimilation eine objektive progressive Gesetzmäßigkeit und die unabdingbare Bedingung für eine sozialistische Weltveränderung. Er begrüßte die Vermischung der Nationen im „amerikanischen Schmelztiegel“ und übersah dabei, daß der „Schmelztiegel“ die Folge einer unharmonischen antagonistischen Entwicklung der bürgerlichen Zivilisation war, kein organisch gewachsenes gesellschaftliches Ideal. […]
Die gegenwärtige Nationalitätenpolitik der Partei nimmt dem ukrainischen Volk das Recht auf Vergangenheit: Die gegenwärtige sowjetische Historiographie der Ukraine macht die abhängige, nicht gleichberechtigte Lage des ukrainischen Volkes nicht weniger deutlich als die offizielle Konzeption der Zukunft der Nationen — es handelt sich um zwei Enden der gleichen Politik der Erneuerung des „unteilbaren Rußlands".
Badzio schreibt über die Tendenzen der sowjetischen Geschichtsschreibung, die Kiewer Rus als „gemeinsame Geschichte“ der russischen, ukrainischen und belarussischen Nationalitäten darzustellen und sie zu nutzen, um die Ukrainer und Belarussen in ein gemeinsames Narrativ einzubinden. In diesem Narrativ tauchte die russische Nation schon vor der Kiewer Rus auf, die ukrainische und weißrussische aber erst im 14. und 15. Jahrhundert und auch nur aus dem einzigen Grund, sich in Zukunft mit Russland „wiederzuvereinigen“. Badzio führt als Beispiel den sowjetischen Historiker N. S. Derschawin an, der 1944 „Der Ursprung des russischen Volkes. Großrussen, Ukrainern, Weißrussen“ veröffentlichte. Badzio argumentiert, dass „das Großmachtkonzept der vorrevolutionären russischen Geschichtsschreibung, die russische chauvinistische Doktrin, wiederhergestellt wird, eine Doktrin, die die Existenz von Ukrainern und Weißrussen als separate ethnische Gruppen leugnet“. Die Stimmen und Ideen von der Ukraine als einer von Russland getrennten Einheit wurden von den Sowjets als „ukrainischer bürgerlicher Nationalismus“ denunziert und von einer großen Anzahl sogenannter „antinationaler Literatur“ bekämpft. All dies, resümierte Badzio, „spielt eine große reaktionäre Rolle in den internationalen Beziehungen des ukrainischen und des russischen Volkes, schadet den Beziehungen zwischen Ukrainern und Russen, stachelt die Bürger zu nationalbewussten Ukrainern auf, erweckt Misstrauen und Intoleranz gegenüber jeglichen Manifestationen der nationalen Würde der Ukrainer“.
In seinem Brief an das Präsidium und das ZK der KPdSU nennt Badzio so viele Beispiele wie möglich für die Russifizierung und den „Ethnozid“ an den Ukrainer:innen, d.h. die direkten Versuche, die Ukrainer:innen als eigenständige Nation zu zerstören. Er führte insbesondere die Situation im Bildungswesen und die Russifizierung durch die Sprachpolitik an. So wurden beispielsweise selbst in Regionen mit einer Mehrheit ukrainischsprachiger Studierender „Universitätsvorlesungen nur von 34 Prozent der Dozenten auf Ukrainisch gehalten“, erläutert Badzio, und an den Universitäten in Charkiw und Odessa „wurden nur 13 bzw. 10 Prozent der Vorlesungen auf Ukrainisch gehalten“, obwohl „Ukrainer dort 55 Prozent der Studenten ausmachten“. Badzio verwendete für sein Buch „Recht auf Leben“ und den offenen Brief offizielle Berichte, die Volkszählung der UdSSR und sogar eine Rede eines ehemaligen Ministers für Hochschulbildung. In Bezug auf die Universitäten in Kyjiw und Charkiw erklärte Badzio, dass dies die einzigen Hochschulen in der Ukraine seien, an denen Fachleute für die staatlichen Planungs- und Rechtsorgane ausgebildet würden und diese Tätigkeiten – gemäß der Verfassung der Ukrainischen SSR – tatsächlich in ukrainischer Sprache durchgeführt werden müssten. „Am Kiewer Landwirtschaftsinstitut“, schreibt Badzio, „sind 78 Prozent der Studenten Ukrainer; in den letzten fünf Jahren haben 90 Prozent aller Absolventen eine Stelle in der Ukrainischen SSR erhalten, aber nur 5 Prozent von ihnen halten Vorlesungen in ukrainischer Sprache.“
Jurij Badzio änderte seine Ansichten im Gefängnis nicht und schrieb kein demütigendes Gnadengesuch – selbst als er Ende der 1980er Jahre die Möglichkeit dazu hatte.
1988 wurde Badzio unter dem Druck des Westens und des gorbatschowschen Reformkurses der „Perestroika“ freigelassen. In jenem Jahr schrieb er einen Text mit dem Titel „Wer bremst die Perestroika, oder wird die sozialistische Revolution über die kommunistische Partei siegen?“, in dem er die Gefahr hervorhebt, die vom organisierten stalinistischen Flügel der KPdSU für die Reformen ausgeht, die Gefahr des russischen Chauvinismus und Totalitarismus. Die Perestroika war aus seiner Sicht keine Schlacht, die bereits gewonnen war. Es bestand die ständige Gefahr einer stalinistischen „Konterrevolution“, und, was wichtig ist, die Perestroika berührte nicht die privilegierten Positionen der Russen in den nationalen Hierarchien, stellte die nationalen Beziehungen nicht infrage. So gesehen war die Perestroika für Badzio eine sehr begrenzte Reform, die die Gefahr in sich barg, die russische imperialistische Politik fortzusetzen oder sie sogar mit neuer Kraft voranzutreiben. Die Alternative war für ihn die sozialistische Revolution (daher der Name: sozialistische Revolution gegen die kommunistische Partei). Dieser Brief wurde der Vorläufer des nächsten wichtigen Textes von Badzio: das „Programm der Ukrainischen Partei des Demokratischen Sozialismus und der Staatlichen Unabhängigkeit“.
Darin entwickelte er eine umfassende sozioökonomische Kritik an der sowjetischen Gesellschaft, in der die Partei eine soziale Klasse gebildet hatte, die als kollektiver Kapitalist die wirtschaftliche Macht ausübte. Aus Sicht Badzios war diese Gesellschaftsform viel reaktionärer als der westliche Kapitalismus, wo konkurrierende Unternehmen für wirtschaftliche Polyarchie und nicht für eine zentralisierte Herrschaft sorgen. Als Antwort auf die Probleme der Sowjetunion entwarf er ein Projekt und schrieb ein Programm, das die Bedeutung des Rechts auf Leben vollständig erobern sollte. Sein Vorschlag war eine umfassende sozialistische und demokratische Reform der Sowjetunion und die Abspaltung und Organisation der Ukraine als unabhängiges Land. Leider wurde dieses Programm nicht in die Tat umgesetzt und eine solche Partei wurde auch nicht gegründet. Allerdings wurde das Programm in gemäßigter und breiterer Form zur Grundlage der schließlich von Badzio mitbegründeten Demokratischen Partei.
Das ursprüngliche Programm beginnt mit einer sehr wichtigen Analyse des nationalen Aspekts der Perestroika und des vorherrschenden russischen chauvinistischen Denkens. Badzio sah nicht nur die Gefahr einer stalinistischen Konterrevolution, sondern warnte auch vor dem Reformprogramm der Perestroika selbst. Auch wenn das Programm der Perestroika damals nur in Umrissen vorlag, zog Badzio eine warnende und alarmierende Schlussfolgerung: Die Perestroika, so schreibt Badzio, „zielt darauf ab, die unantastbare entscheidende historische Errungenschaft des Stalinismus zu bewahren – die Stellung Russlands als Großmacht im Bund der Sowjetrepubliken“. Badzio sah die demokratische Entwicklung eindeutig bedroht durch den russischen Chauvinismus in den baltischen Staaten. Und in der Ukraine zeigte der großrussische Nationalismus seine besondere Aggressivität.
Die ersten Manifestationen der nationalen Wiederbelebung und der patriotisch-demokratischen Selbsttätigkeit der nicht-russischen Völker in der Föderation zeigten, dass der russische Großmachtchauvinismus tief in das Bewusstsein und die Psychologie seiner Träger und Opfer eingedrungen ist und einer der organischen Bestandteile des alten sozio-politischen SYSTEMS (zusammen mit dem Klassenegoismus des Parteistaates) des Mechanismus zur Hemmung der demokratischen Umstrukturierung der sowjetischen Gesellschaft ist.
Im Baltikum erreichte der chauvinistische Egoismus der nicht-einheimischen Bevölkerung, die sich in den so genannten „Zwischenfronten“ organisierte, den Punkt, die republikanische Regierung zu bedrohen und territoriale Ansprüche zugunsten von Russland zu formulieren.
In der Ukraine waren der russische Nationalismus und der Großmachtchauvinismus schon immer von besonderer Aggressivität geprägt. Auch die Perestroika, die bereits vier Jahre alt ist, hat dies bestätigt.
In Rußland ist die Stimme der Großmacht sowohl von offizieller Seite als auch in der Intelligenz und in der breiten Öffentlichkeit deutlich zu hören.
In diesem Text liefert Badzio eine komplexe Analyse der marxistischen und leninistischen Ideologien. Er stellt einen Widerspruch fest, der den Weg zur leninistischen totalitären Interpretation von Marx ebnete, nämlich der Abschaffung der Politik. Dies rühre daher, dass es in der marxistischen Theorie in einer Gesellschaft ohne Klassen auch keinen historischen Konflikt und damit keine Notwendigkeit für einen Staat oder die Demokratie gäbe. Zweitens schaffe der zentralistische Ansatz für die Wirtschaft die Gefahr des Autoritarismus.
Seine Sichtweise war logisch, denn der Fehler des staatenlosen Ansatzes rechtfertigte letztlich die radikalste staatliche Herrschaft, und Badzio agitierte gegen jeden anarchistischen Ansatz. Tatsächlich definierte er die Rolle des demokratischen Staates als direktes Instrument, um demokratische Konflikte auszugleichen, die aus Meinungsverschiedenheiten entstehen, und dessen Existenz sowohl als Voraussetzung als auch Endziel des Sozialismus. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass der Mangel an klarem Verständnis für die Richtung der sozialdemokratischen Transformation im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einem übermäßigen Vertrauen auf den Staat führte, was die Möglichkeit autoritärer Interpretationen schaffen könnte. Eine solche Interpretation manifestierte sich für Badzio im Bolschewismus.
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts formulierten die Ideologen des sozialistischen Umbaus der Gesellschaft, einschließlich der marxistischen Ideologen, ihr Projekt als die Idee der Sozialdemokratie. Daher auch der Name der politischen Parteien: sozialdemokratisch, soziale Demokratie. Es ging darum, die von den bürgerlichen Revolutionen eingeführte politische Demokratie auf die Sphäre der sozioökonomischen Beziehungen auszudehnen – durch die Abschaffung des kapitalistischen Privateigentums und die Verstaatlichung der Produktionsmittel, d. h. ihre Überführung in das Eigentum des Staates, der nach der siegreichen proletarischen Revolution angeblich zum Ausdruck der Interessen des Volkes werde. Die messianische Utopie des Kommunismus, die von den Koryphäen des Marxismus in ein wissenschaftliches Gewand gekleidet wurde, führte in keiner Weise zu einer Konkretisierung der Vorstellungen über die sozialistischen Produktionsprinzipien und das gesellschaftliche Leben im Allgemeinen [...]
Die Auffassung von den sozioökonomischen Grundlagen des Sozialismus führte zu politischem Extremismus und Autoritarismus. Der Bolschewismus wurde zu einer Manifestation dieser Tendenz in Russland. [...]
Demokratie bedeutet die Koexistenz, Interaktion und Konfrontation zweier Kräfte, zweier gesellschaftlicher Subjekte: des Staates (Staatsgewalt) und der Zivilgesellschaft, des Staates und des Volkes. Nach der Marxschen Theorie ist der Staat eine Organisation der politischen Macht der herrschenden Klasse. Das Proletariat, das die Bourgeoisie besiegt hat, wird zum Ausdruck der Interessen aller Arbeiter, die Ausbeutung verschwindet, die Gesellschaft wird zu einer klassenlosen; die Notwendigkeit eines Staates verschwindet, die Selbstverwaltung des Volkes ist total, die Freiheit ist allumfassend. Daraus ergibt sich die paradoxe Schlussfolgerung: Die Demokratie (die Macht des Volkes) ist so weitreichend und umfassend, dass sie sich selbst (als Maß für die Souveränität des Volkes gegenüber den staatlichen Behörden) verleugnet. Die Demokratie verschwindet, löst sich auf in der Selbstverwaltung der Menschheit. Die Idee vom Tod des Staates ist der Kern des kommunistischen Ideals. [...]
Lenin betrachtete die Diktatur der Partei (ihre führende Rolle, ihre führende Stellung im System der politischen Macht) als ein integrales inneres Element der Diktatur des Proletariats, als ihre ideologische Seele und organisatorische Form. Nach der Logik der kommunistischen Theorie sollte mit dem Tod der Diktatur des Proletariats, mit ihrer Verwandlung in einen „Nationalstaat“, auch die Diktatur der Partei sterben und schließlich die Partei selbst, denn der Kommunismus ist eine klassenlose Gesellschaft, also unpolitisch, sozial monolithisch, frei von Konfrontationen gesellschaftlicher Gruppeninteressen: Die Macht, die über Menschen verfügt, wird durch die Macht, die über Dinge verfügt, ersetzt (F. Engels), der Staat stirbt, landet auf dem Müllhaufen der Geschichte.
Dieser Argumentation folgend betrachtete er die KPdSU auch nicht als eine politische Partei, sondern als eine soziale Klasse. Diese Sicht vertrat Badzio lange Zeit und dies sollte seine Politik stark beeinflussen. Für Badzio war die Errichtung des Stalinismus und des Parteienstaates nicht nur ein politischer Prozess, sondern auch eine soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Arbeiter:innen, Bäuer:innen, technische, kulturelle und alle anderen Werktätigen wurden zu Zwangsarbeiter:innen des Staates, während die Partei zum allumfassenden und dominierenden Arbeitgeber wurde.
Ein Ausdruck seiner Analyse ist auch, dass er den demokratischen Westen viel näher an einem demokratischen Sozialismus sah, als die UdSSR. Für ihn ist der Sozialismus von Natur aus demokratisch, da der Sozialismus eine Erweiterung der Demokratie ist. Den Begriff „demokratischer Sozialismus“ verwendet er also nur zur Unterscheidung vom „realen Sozialismus“ – einer Formation, die nach Badzio dem „sozialistischen Feudalismus“ nähersteht.
Der sowjetische Sozialismus wurde als antidemokratische Gesellschaft geboren und etabliert. Die Herausbildung einer Parteidiktatur, die Einschränkung und Aushebelung der Parteiendemokratie, der Aufstieg des Stalinismus – der Prozess ist politisch und sozial: politisch und sozioökonomisch zugleich. Die unmittelbaren Produzenten und Arbeiter, die Bauern, die Intelligenz – wurden zunehmend von den Produktionsmitteln entfremdet und wurden zu Lohnarbeitern des Staates (der Staatspartei). Nachdem die Partei das Machtmonopol erlangt hatte und zu einer antidemokratischen Unternehmensorganisation geworden war, verwandelte sie sich in einen kollektiven Eigentümer der Produktionsmittel, verlor also den Charakter einer Partei und wurde als eine neue ausbeuterische soziale Klasse der Gesellschaft wiedergeboren.
Badzio schreibt sehr kühn über die Notwendigkeit einer sozialistischen Marktwirtschaft, er schreibt von staatlichen, individuellen und genossenschaftlichen Wirtschaftsakteuren, die an die Stelle von zentraler Planung und privatem Eigentum treten sollen. Seine Idee war es, die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer:innen und Verbraucher:innen in Genossenschaften mit Marktelementen zu verbinden. Die Planung sollte keine allumfassende Rolle in der Gesellschaft spielen. Badzio sprach sich aber auch gegen eine einfache Umstrukturierung der ukrainischen Wirtschaft in Richtung Kapitalismus aus, da dies – angesichts der geringen Produktivität und der schlechten Infrastruktur – nur zu Entwicklungen führen würde, wie wir sie aus der ursprünglichen kapitalistischen Akkumulation des 18. Jahrhunderts kennen. Mit dieser Analyse sagte er die katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen und die mit Gewalt ausgetragenen Machtkämpfe in den 1990er und 2000er Jahren sehr präzise voraus. Obwohl Badzio den liberalen Kapitalismus für fortschrittlicher hielt als den sowjetischen Sozialismus, setzte er sich für eine sozialistische Vision ein. Allerdings gab er sich keinen Illusionen hin, dass sein Programm des demokratischen Sozialismus in der postsowjetischen Gesellschaft eine Mehrheit finden würde. Das hielt ihn aber nicht davon ab, Wahlkampf zu machen. Sozialdemokrat:innen, schreibt er, sollten sich davon nicht abschrecken lassen.
Der demokratische Sozialismus wendet sich gegen die „wirtschaftliche Freiheit der Bourgeoisie“ – als gleiches Recht auf Eigentum (und die ungleiche Möglichkeit, Eigentümer der Produktionsmittel zu werden, mehr noch: als die Unmöglichkeit, Eigentümer für alle direkten Produzenten zu sein) – und bekräftigt die gleiche Möglichkeit der freien Verwaltung auf der Grundlage des gleichen Eigentums an den Produktionsmitteln durch einen demokratischen Staat, durch Belegschaften und individuelle Produzenten. In Abwesenheit des kapitalistischen Privateigentums und unter den Bedingungen der politischen Demokratie werden die Arbeitsbeziehungen vergesellschaftet. Das Staatseigentum wird zum Eigentum der gesamten Gesellschaft, da der Staat ihren Willen in seiner Tätigkeit verkörpert (da es keine gesonderte dominante soziale Klasse – die Klasse der Eigentümer – gibt). Kooperatives Eigentum (Eigentum von Arbeitskollektiven), das an der Bildung des Wirtschaftsmarktes teilnimmt, unterstützt und entwickelt das materielle Interesse des Produzenten und führt gleichzeitig nicht zur Spaltung der Gesellschaft in Eigentümer und Lohnarbeiter. Individuelles Eigentum, wenn es sich durch die persönliche Arbeit des Eigentümers, ohne Lohnarbeiter, verwirklicht, ist harmonisch in die sozialistische Struktur der Wirtschaft eingeflochten und stellt eine der Formen der wirtschaftlichen Freiheit dar, eine wirtschaftliche Garantie der politischen Freiheit.
[...] Unsere Partei misstraut den Versuchen, einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft auf dem Weg der Wiederherstellung des kapitalistischen Privateigentums zu finden. In einer entmenschlichten und von bürokratischer Atherosklerose gezeichneten Gesellschaft, in einem Land mit einer niedrigen Produktionskultur und einer schwachen sozialen Infrastruktur würde ein solcher Weg zu einer Wiederholung der Schwierigkeiten der ursprünglichen kapitalistischen Akkumulation mit all ihren negativen sozialen Folgen führen, vor allem zu einer neuen sozialen Klassendifferenzierung der Gesellschaft. Dem ukrainischen Volk würde die Schwächung der nationalen Konsolidierung drohen, die noch lange nicht abgeschlossen ist.
[...] Vielleicht wird sich der demokratische Sozialismus in der Praxis nicht bewähren, und die Gesellschaft wird zur wirtschaftlichen Freiheit auf der Grundlage des kapitalistischen Privateigentums zurückkehren müssen. – Eine solche Aussicht erschreckt die Sozialdemokraten nicht und schwächt ihre Bemühungen im Kampf für den demokratischen Sozialismus nicht.
Das Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus und der Staatlichen Unabhängigkeit enthält auch ungewöhnliche, aber sehr wichtige Positionen zu landwirtschaftlichen und religiösen Fragen. Es verweist auf die feindliche und politisch motivierte Rolle der russischen Kirche in der Ukraine und ruft zur Unterstützung der ukrainischen Kirche auf. Die Trennung von Staat und Kirche ist zwar wichtig, aber es gibt auch ein unterschwelliges Bedürfnis nach Säkularismus und Unterstützung für die religiöse Wiederbelebung, die in der Sowjetunion unterdrückt wurde. Das hört sich zunächst wie ein Widerspruch an – Notwendigkeit des Säkularismus und Unterstützung der religiösen Wiederbelebung – aber das ist es nicht. Die Partei war nicht religiös und trat für die Trennung von Kirche und Staat ein. Sie verstand Religion jedoch als normale menschliche Aktivität und Forderung und betrachtete ihre Wiederbelebung sowohl als „einen wichtigen Faktor als auch eine unvermeidliche Folge der Demokratisierung der Gesellschaft“. Außerdem wäre die Entwicklung einer ukrainischen Nationalkirche ein Gegenstück zur russisch-orthodoxen Kirche, die stets eine chauvinistische und anti-ukrainische Position einnahm (und immer noch einnimmt). In der Agrarfrage verweist die Partei auf die Notwendigkeit, sich dem „Kapitalismus auf dem Dorf“ entgegenzustellen, der die Kultur und die landwirtschaftliche Lebensweise der Ukraine zerstören würde, indem er die Dörfer in die völlige Armut treiben und die Hyperindustrialisierung sowohl des landwirtschaftlichen Lebens als auch die ungesunde Urbanisierung und die Schädigung der Umwelt vorantreiben würde. Die Notwendigkeit besteht darin, harmonische Beziehungen zwischen der Natur, den Dörfern und den Städten zu schaffen, was für den Autor unter dem Motiv des Profits unmöglich ist.
Letztendlich sagt das Programm viel über die Notwendigkeit der ukrainischen Unabhängigkeit aus. Die staatliche Unabhängigkeit würde dazu beitragen, dem über Jahrhunderte gewachsenen ukrainischen Minderwertigkeitsgefühl entgegenzuwirken, dem Gefühl, immer an zweiter Stelle zu stehen. Das gleiche Recht auf Unabhängigkeit für Russ:innen, Ukrainer:innen und alle anderen Nationen würde letztlich den Beziehungen zwischen den Nationen zugutekommen. Die Russ:innen wiederum würden auf diesem Weg von ihren chauvinistischen Haltungen befreit werden. Die Befreiung vom großrussischen Chauivismus wäre auch eine Befreiung für die Russ:innen und nicht nur für die Ukrainer:innen.
Wir verstehen, dass die Idee der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine psychologisch sehr schwierig für die Russen und für einen Teil der russifizierten Ukrainer ist. Aber wir glauben, dass dies ein Argument für die Idee ist, nicht gegen sie. Wenn das ukrainische Volk sein Recht (rechtlich und moralisch) auf staatliche Unabhängigkeit von Russland nicht wahrnimmt und keine Anstrengungen unternimmt, es zu verwirklichen, wird es nicht in der Lage sein, sich psychologisch aufzurichten, den klebrigen Schlamm der Gefühle von Zweitrangigkeit und Minderwertigkeit abzuwaschen, den Schlamm, den die jahrhundertelange nationale Unterdrückung auf unseren Körpern hinterlassen hat. Dasselbe gilt für die Russen: Da sie sich nicht von „ihren“ Nicht-Republiken, insbesondere von der Ukraine, „befreit“ haben, werden sie den Komplex des „älteren Bruders“ (oder sogar „Vaters“), der bei Ukrainern und Weißrussen besonders stark ausgeprägt ist, nicht loswerden können. Die Demokratisierung der ukrainischen und russischen Gesellschaften erfordert eine angemessene psychologische und weltanschauliche Grundlage: ein entwickeltes Gefühl für innere Freiheit, ein Gefühl für die Gleichheit der Menschen und Nationen. Die Propagierung des Prinzips des Selbstbestimmungsrechts der Völker, einschließlich des verfassungsmäßigen Rechts auf Austritt der Unionsrepubliken aus der UdSSR, die Förderung der Idee der staatlichen Unabhängigkeit des Volkes als programmatische Forderung der Bürgerbewegung – eine solche politische Position kann, wenn sie ruhig und unvoreingenommen behandelt wird, auch im Rahmen der offiziellen Ideologie der Perestroika als konstruktiv angesehen werden.
Das Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus und der Staatlichen Unabhängigkeit wurde nicht verwirklicht. Die Geschichte war zu schnell, als dass dies geschehen konnte, und 1991 erlangte die Ukraine schließlich ihre Unabhängigkeit. Die radikale Unabhängigkeitsbewegung und mit ihr die erste moderne ukrainische Partei – die Volksbewegung der Ukraine – trat bei den ersten Wahlen gegen den Kandidaten der Kommunistischen Partei der Ukraine (Krawtschuk) an.
Während die Volksbewegung eine starke Kampagne gegen die Kommunistische Partei der Ukraine startete, mit Wahlslogans, wie „Bürger gegen Partokraten!“, unterstützte Badzio basierend auf seiner Analyse der sowjetischen Gesellschaften ein solches Vorgehen nicht. Für ihn war die Kommunistische Partei eine sozioökonomische Klasse und keine politische Einheit, und in ihr gab es sowohl Nationaldemokrat:innen als auch Anhänger:innen der totalitären und russischen Herrschaft. Die Ideen des Programms der Partei des Demokratischen Sozialismus wurden, wenn auch in gewisser Weise abgemildert, zur Grundlage für eine neue Partei: die Demokratische Partei der Ukraine, welche sich eine sozialdemokratische Plattform gab und Werte eines humanen Sozialismus vertrat. Die Demokratische Partei unterstützte im Unterschied zur Volksbewegung die Kandidatur Krawtschuks. Sie sah die Notwendigkeit, alle nationalen Kräfte unter Krawtschuk zu vereinen, um gegen die Bedrohung durch den russischen Chauvinismus zu kämpfen.
Die Volksbewegung sprach sich gegen seine Kandidatur aus, da er ein Funktionär der kommunistischen Partei war, der die Ukrainer:innen nur wenige Jahre vor der Unabhängigkeit unterdrückt hatte. Chornovil, ein Kandidat der Volksbewegung, plädierte für eine Ukrainisierung, kühne demokratische Reformen, Dezentralisierung und Umgestaltung der ukrainischen Gesellschaft, eine diplomatische Neuausrichtung; ihrer Meinung nach könnte Kravchuk Reformen und Veränderungen nur sabotieren. Für die Demokratische Partei war Krawtschuk zwar nicht die ideale Persönlichkeit, aber er stellte einen Anfang für eine unabhängige ukrainische Staatlichkeit dar. Die Demokratische Partei argumentierte insofern, dass Krawtschuk beim Aufbau neuer staatlicher Institutionen unterstützt werden müsse, um sich gegen die radikalen prorussischen Kräfte zu konsolidieren, die Krawtschuk zu dieser Zeit angriffen. Badzio, der zum Hauptideologen der nationaldemokratischen Krawtschuk-Befürworter wurde, argumentierte, dass der größte Teil der Volksbewegung so sehr in den Kampf gegen vertieft war, dass er den Kampf für vergaß. In seinem berühmten Text „Regierung, Opposition und Staat der Ukraine heute: Gedanken gegen den Strom“ sagt er, dass die Zeit des Zerstörens vorbei sei, jetzt sei es „Zeit zum Aufbauen“ und rief zu einer „konstruktiven, nicht destruktiven Opposition“ auf.
Das neue Parteiprogramm versuchte, die verschiedenen progressiven Tendenzen der ukrainischen Geschichte zusammenzufassen. Die Partei berief sich auf den Nationaldichter Taras Schewtschenko, die demokratisch-sozialistischen Publizist:innen, Historiker:innen und Literat:innen Iwan Franko, Lesja Ukrainka, Mykhailo Pawlyk sowie schließlich auf die beiden führenden Persönlichkeiten der ukrainischen Revolution von 1917 bis 1920, Mykhailo Hruschewskyi und Wolodymyr Wynnytschenko. Insgesamt knüpfte die neue Partei außerordentlich stark an die sozialdemokratische Arbeiterbewegung der Ukraine aus der Zeit vor 1917 an. Und bemerkenswerterweise nahm sie sogar Bezug auf emanzipatorische Motive, die sie auch in der kommunistischen Partei sahen, da einige ihrer Mitglieder nicht aufgrund ihrer politischen Überzeugungen, sondern Parteimitglieder waren aufgrund der Privilegien, die die Mitgliedschaft in der Sowjetunion mit sich brachte.
Manifest der Demokratischen Partei (Auszug)Wir wollen den Wunsch von Taras Schewtschenko und seinen Kollegen, eine Partei in Form der Kyryl- und Methodius-Bruderschaft zu gründen, zur ideologischen Grundlage der neuen Partei machen, wir wollen den Radikalismus von Iwan Franko und den Sozialdemokratismus von Lesja Ukrainka übernehmen. Wir wollen unser nationales Denken, die staatlichen Programme von Mykhailo Drahomanov und Mykhailo Pavlyk, Volodymyr Vynnychenko und Mykhailo Hrushevskyi in unser Programm aufnehmen [...] Wir werden nach guten Absichten und guten Motiven in den Aktivitäten jeder Partei suchen, einschließlich der Kommunistischen Partei der Ukraine.
Manifest der Demokratischen Partei (Auszug)
Wir wollen den Wunsch von Taras Schewtschenko und seinen Kollegen, eine Partei in Form der Kyryl- und Methodius-Bruderschaft zu gründen, zur ideologischen Grundlage der neuen Partei machen, wir wollen den Radikalismus von Iwan Franko und den Sozialdemokratismus von Lesja Ukrainka übernehmen. Wir wollen unser nationales Denken, die staatlichen Programme von Mykhailo Drahomanov und Mykhailo Pavlyk, Volodymyr Vynnychenko und Mykhailo Hrushevskyi in unser Programm aufnehmen [...] Wir werden nach guten Absichten und guten Motiven in den Aktivitäten jeder Partei suchen, einschließlich der Kommunistischen Partei der Ukraine.
Die neue Partei hatte mäßigen Erfolg, wurde aber im Laufe der Jahre von eher pro-russischen Mitgliedern unterwandert und scheiterte. Die anhaltende pro-ukrainische Haltung von Badzio bedeutete, dass er die Partei verließ und wieder zu einem überparteilichen Intellektuellen wurde.
Badzio und seine Generation von Dissident:innen organisierten eine moralische, demokratische Opposition gegen den sowjetischen Totalitarismus und hatten großen Einfluss auf die nationale und politische Wiederbelebung der Ukraine. Sie stellten ihre gesamten intellektuellen Fähigkeiten zur Verfügung, um die Unabhängigkeit der Ukraine in ihrer schwächsten Phase zu sichern.
Wiederholt warnte Badzio vor der russischen Bedrohung für die ukrainische Unabhängigkeit. In einem Interview aus dem Jahr 2010 erwähnte er einen Plan der frühen Jelzin-Regierung, wonach die östlichen Teile der Ukraine zu Russland zurückkehren und die westlichen ukrainischen Gebiete vor die „Wahl“ gestellt werden sollten, ein Teil Polens werden oder eine „Autonomie“ im Rahmen der geopolitischen Realitäten zu erhalten. Badzio resümierte, dass die Ukraine Glück hatte und etwas mehr Zeit bekam, wenn man das so sagen kann, dadurch dass Russland mit dem ersten Tschetschenienkrieg beschäftigt war. Diese chauvinistische Politik wurde auch von Jelzins Nachfolger, Wladimir Putin, verfolgt. In demselben Interview sagte Badzio, Russland nutze die frühere Russifizierung eines großen Teils der ukrainischen Bevölkerung mit dem Ziel, einen zuverlässigen Brückenkopf für seinen Einfluss in der Ukraine zu gewinnen. Russlands strategisches Ziel, so Badzio, sei es, „die Existenz der Ukraine als unabhängiger Staat zunächst zu einer rechtlichen und politischen Fiktion zu machen und sie dann zu einem günstigen Zeitpunkt aufzuspalten“. Heute kann jeder sehen, dass die ukrainische Kritik an Russland prophetisch war.
Die Abwahl Juschenkos und die Machtübernahme durch Viktor Janukowitsch im Februar 2010 wurde zu einer echten Bedrohung für die ukrainische Gesellschaft. So wurden extrem antidemokratische Gesetze durchgesetzt und das berühmte, von Janukowitsch geförderte „Sprachengesetz“ bedeutete für viele Aktivist:innen die Fortsetzung der Russifizierungspolitik. Die politischen Maßnahmen Janukowitschs führten die Ukraine in einen Zustand der Banditen-Oligarchie und in Abhängigkeit von Russland, ähnlich wie die Lage jetzt in Belarus ist. Die folgende Passage ist ein Auszug aus einem Interview mit Jurij Badzio aus dem Jahr 2010 (Jurij Badzio: „Russland wird uns kein zweites Mal aus seinen Fängen lassen“, Interview mit Jurij Badzio von Olexander Gavrosh, 29. April 2010)
Interviewer: Also, Herr Jurij Badzio, wir haben den vierten Präsidenten der Ukraine.
Badzio: Eigentlich haben wir einen Rückkampf. Und es gibt allen Grund zu der Annahme, dass wir derzeit eine Besatzungsverwaltung haben. Und in der Ukraine kann man weitgehend von einem nationalen Erwachen sprechen, denn die repressive Politik der alten kommunistischen Regierung hatte die Russifizierung eines großen Teils der Bevölkerung der Ukraine zur Folge. Und das heutige Russland nutzt dies aus, mit dem klaren Ziel, einen verlässlichen Brückenkopf für seinen Einfluss in der Ukraine zu gewinnen. Das strategische Ziel ist es, die Existenz der Ukraine als unabhängigen Staat zunächst zu einer rechtlichen und politischen Fiktion zu machen und sie zu einem günstigen Zeitpunkt aufzuspalten.
Interviewer: Ist alles wirklich so intensiv?
Badzio: Diese Ideen werden in der russischen Gesellschaft sowohl auf der Ebene der Regierung als auch der öffentlichen Meinung geäußert. Was soll man sagen, wenn der berüchtigte Dugin weiterhin den Lehrstuhl an der Moskauer Universität leitet, der offen erklärt, dass ein Gebilde wie die Ukraine künstlich und hoffnungslos sei und von der politischen Landkarte Europas verschwinden sollte.
Interviewer: Und was sollte dann passieren?
Badzio: Anfang der 1990er Jahre entwarf Migranjan, der eine Abteilung in Jelzins Regierung leitete, einen Plan für die Rückkehr der Zentral- und Ostukraine zu Russland, während die westukrainischen Gebiete vor die „Wahl“ gestellt wurden: entweder Autonomie in der neuen geopolitischen Realität oder Zugehörigkeit zu Polen. Die Unabhängigkeit war für niemanden vorgesehen.
Interviewer: Nächstes Jahr werden wir den 20. Jahrestag der Unabhängigkeit feiern. Wie würden Sie die Entwicklung der Ukraine in dieser Zeit charakterisieren?
Badzio: Der zweite Präsident Kutschma [1994—2004] ging [1994] mit dem Slogan der Annäherung an Russland in die Wahlen. Mit seinem Amtsantritt begann eine neue Periode in der ukrainischen Geschichte. Doch 1994 wurde die Ukraine durch die russische Aggression gegen Tschetschenien, oder besser gesagt, durch den russisch-tschetschenischen Krieg gerettet. Dadurch entfernte sich die Gesellschaft von der Idee einer Annäherung an Russland, und auch für Kutschma verschärfte sich die Situation drastisch.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass Russland von Anfang an das strategische Ziel verfolgte, den Status quo des Imperiums wiederherzustellen. Und die Ukraine hatte nicht nur eine sehr starke politische und psychologische Position, sondern auch ein fertiges politisches Umfeld. Und hier war das Gesetz über die Außenpolitik der Ukraine aus dem Jahr 2003 ein entscheidender Moment in Kutschmas Entwicklung. Das Gesetz, das den künftigen Beitritt der Ukraine zur NATO ankündigte. [Die Ukraine sollte 2008 der Nordatlantischen Allianz beitreten.] Dies wurde unter Kutschma beschlossen, und Juschtschenko hat sich mehr als einmal darauf bezogen [...]
Interviewer: Kann Janukowitsch sich weiterentwickeln, so wie Kutschma es seinerzeit getan hat?
Badzio: Kann er. Vielleicht wird Janukowitschs egoistisches Motiv überwiegen und er wird sich allmählich seiner Verantwortung gegenüber dem Staat bewusst. In der Partei der Regionen sind eine ganze Reihe ernsthafter Unternehmer vereint. Und sie sind daran interessiert, einen Markt zu haben und normale Beziehungen zum Westen zu unterhalten, ohne eine Provinz Russlands zu werden. Aber dieser Faktor erfordert eine aktive Politik der ukrainischen Kräfte. Wenn dies nicht geschieht, wird uns Russland nicht ein zweites Mal aus seinen Fängen entlassen.
Badzios Analyse liefert uns eine mögliche alternative Vision der ukrainischen Entwicklung sowie Erkenntnisse über die Gefahren des Übergangs zum Mainstream-Kapitalismus, indem er gangbare Alternativen aufgezeigt hat. Auch wenn er am Ende seines Lebens seine Ansichten vom Sozialismus zugunsten allgemeiner, sozial orientierter Ansichten abschwächte, disqualifiziert dies nicht seine Erkenntnisse und sein Wissen, das die Ukrainer:innen in seinen Schriften finden können.
Das Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus und der staatlichen Unabhängigkeit bietet eine alternative Vision für die Entwicklung der Ukraine und hat die Aussicht, eine neue Generation der ukrainischen Intelligenz zu inspirieren, für eine gerechte Zukunft zu kämpfen. Leider sind die im Programm genannten Probleme größtenteils immer noch aktuell und werden in der ukrainischen Gesellschaft immer wieder aufgeworfen – und der gewählte Weg des chaotischen kapitalistischen Übergangs hat die meisten Probleme nicht gelöst, sondern neue geschaffen. Für die Ukrainer:innen gilt es, neue Wege aus der Stagnation des Neoliberalismus zu finden, wozu Badzios Analyse und Ideen eine große Hilfe sein könnten.
Seine große Entschlossenheit im Kampf für nationale Freiheit, Unabhängigkeit und die Wiederbelebung der unabhängigen ukrainischen Kultur sowie seine Analyse des russischen Imperialismus und seiner Assimilationspolitik sind etwas, von dem moderne Sozialdemokrat:innen, Sozialist:innen, Grüne, Arbeiter:innen, Sozial- und Menschenrechtsaktivist:innen viel lernen können. Für ihn waren die Bedrohung durch den russischen Imperialismus und seine Ambitionen klar – schon lange bevor Putin an die Macht kam, was nun schockierende Einblicke in das gibt, was all die Jahre lang ignoriert wurde und uns allen die Möglichkeit gibt, diese Ignoranz zu reflektieren.
Vladyslav Starodubtsev, Historiker für osteuropäische Arbeitergeschichte und linke politische Geschichte sowie sozialer und politischer Aktivist bei der NGO "Sotsialnyi Rukh" (Soziale Bewegung).