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Die deutsche Arbeiterbewegung entstand im Ausland. In den 1830er- und 1840er-Jahren bildeten sich an zahlreichen westeuropäischen Orten Handwerker- und Arbeitervereine sowie demokratische Gesellschaften – dazu zählt auch der vor 175 Jahren Ende August gegründete „Deutsche Arbeiterverein in Brüssel“.
Die Städte, in denen sich Deutsche im Ausland in Vereinen zusammenfanden, waren vielfältig. Sie reichten von den Metropolen London, Paris und Brüssel bis hin zu kleinen Orten wie dem Schweizer Biel, wo sich in den 1830er-Jahren eine rege Vereinskultur wandernder deutscher Handwerksgesellen etablierte. Generell stellten diese Orte sowohl Treffpunkte des politischen Exils als auch Stationen der Arbeitsmigration des 19. Jahrhunderts dar. Hier trafen Akademiker, Intellektuelle und politisch Engagierte, die auf der Flucht waren, mit Handwerksgesellen auf der Walz und Arbeitern auf der Suche nach Arbeit zusammen. Im Oktober 1846 lebten beispielsweise knapp 2.200 Deutsche in Brüssel, davon rund die Hälfte Handwerker, Arbeiter, Tagelöhner, Hausangestellte – und zehn Prostituierte. Diese westeuropäischen Orte entwickelten sich zu Experimentierfeldern sozialer Bewegungen und Organisationen. Sie bildeten im Vormärz – also der Zeit vor der März-Revolution von 1848 – Ausgangspunkte für die Geschichte der Arbeiterbewegung. Sie waren „Hitzezonen demokratischer, sozialistischer und revolutionärer Gärung“ wie der Historiker Thomas Welskopp diese im Ausland aktiven Vereine treffend charakterisierte.
Für die von kommunistischen Gedanken beeinflusste Arbeiterbewegung entwickelte sich Mitte der 1840er-Jahre Brüssel zu einem Zentrum. Dort war Karl Marx Anfang 1845 eingetroffen, nachdem die französischen Behörden ihn aus Paris ausgewiesen hatten. Neben seiner akademisch-journalistischen Arbeit wurde Marx in Brüssel auch in der sozialistisch-kommunistischen Arbeiterbewegung aktiv. Gemeinsam mit Friedrich Engels gründete er 1846 in der belgischen Hauptstadt das „Kommunistische Korrespondenz-Komitee“. Es entwickelte sich im gleichen Jahr zu einer Bühne der Auseinandersetzungen um die zukünftige ideologische Ausrichtung einer sozialistisch-revolutionären Arbeiterbewegung. Auf der einen Seite standen dabei (neben zahlreichen anderen) die Ideen von Wilhelm Weitling, auf der anderen Seite die von Karl Marx. Weitling erkannte einen scharfen Klassengegensatz in der Gesellschaft, setzte auf eine politische und soziale Revolution. Marx erschienen Weitlings Ideen als utopisch, unrealistisch, der konkreten Situation nicht angemessen – und sie hielten den angeblichen wissenschaftlichen Standards der marxschen Analyse nicht stand. Eine von Eitelkeiten, vom Kampf um Aufmerksamkeit und Publizität, von gegenseitigen Kränkungen und von ideologischer Verbissenheit bestimmte Debattenkultur war die Folge, die Kompromisse und Meinungsausgleich nicht zuließ. Es waren intellektuelle Hahnenkämpfe, in denen männliche Ehre und Mut im argumentativen Schlagabtausch unter Beweis gestellt wurden. In der Auseinandersetzung mit Weitling konnte sich Marx durchsetzen, und der fast ein Jahrzehnt lang die politisch interessierten Handwerksgesellen begeisternde „Handwerkersozialist“ Wilhelm Weitling verschwand von der politischen Bühne.
Neben den ideologischen Grabenkämpfen zeichnete sich das „Kommunistische Korrespondenz-Komitee“ darüber hinaus durch eine aktive Vermittlungs- und Vernetzungsarbeit in Westeuropa aus. Es entstand ein Geflecht, an dem unter anderem die kommunistischen und Arbeitervereine in Paris und London beteiligt waren, aber auch die „Fraternal Democrats“, ein internationaler Zusammenschluss von Demokraten in London. Zwar funktionierte das Netzwerk des „Kommunistischen Korrespondenz-Komitees“ leidlich. Doch trotz des Bedeutungsverlusts von Wilhelm Weitling waren die Vorstellungen von Marx in den großen deutschen Gemeinden in London, Paris oder Brüssel unter Handwerkern und Arbeitern noch keineswegs mehrheitsfähig. So kam auf Kongressen der Kommunisten im Jahr 1847 die Idee auf, ein breitenwirksames Programm zu formulieren, aus dem sich das „Manifest der Kommunistischen Partei“ entwickeln sollte.
Doch die kommunistischen Ideen brauchten nicht nur eine wirkungsvolle Programmatik, sondern auch eine breitere personelle Basis. In dieser Situation entstand vor 175 Jahren Ende August 1847 der „Deutsche Arbeiterverein in Brüssel“, an dessen Gründung Marx, Engels und zahlreiche weitere Exilanten beteiligt waren. Eine Massenorganisation sollte sich aus dem Arbeiterverein nicht entwickeln. Doch zählte er nach der Gründungsversammlung mit 37 Mitgliedern im Oktober bereits 70 Mitglieder, und zu den Veranstaltungen des Vereins kamen oft über 100 Gäste. Vorsitzender („Präsident“) wurde Karl Wallau (1823–1877), Mitglied des „Bundes der Kommunisten“, Setzer bei der „Deutschen Brüsseler-Zeitung“ und in den 1870er-Jahren Bürgermeister von Mainz. „Es wird hier ganz parlamentarisch diskutirt“, schrieb Marx am 26. Oktober 1847 an den Dichter Georg Herwegh. Die Mitglieder trafen sich im Gasthaus „Le Cygne“ (Der Schwan) in unmittelbarer Nähe zum repräsentativen Brüsseler Rathaus. Die „Deutsche-Brüsseler-Zeitung“ berichtete am 28. Oktober 1847:
„Sonntags giebt jedesmal irgend ein Mitglied eine Uebersicht der wichtigsten Ereignisse, die während der letzten 8 Tagen in Deutschland und andern Ländern vorgekommen. Darauf folgt Gesang, Deklamation und andere gesellschaftliche Unterhaltung. Diese Sitzung ist bisher auch von Damen zahlreich besucht gewesen. Mittwochs Abends wird irgend eine Frage erörtert, die 8 Tage zuvor von einem Mitgliede aufgestellt und von der Majorität genehmigt worden. Wir erwähnen der lehrreichen und belebten Debatten über den Einfluß des Maschinen- und Fabrikwesens auf die Lage der arbeitenden Klassen, über das Schutzzoll- und Freihandels-System u. s. w.“
Während der Silvesterfeier 1847 des „Deutschen Arbeitervereins“ hielt der Präsident Wallau „eine ‚feurige Eröffnungsrede‘ über die Grundsätze der ‚brüderlichen Demokratie‘“ sowie der Verbrüderung der Nationen. Karl Marx als Vizepräsident „lobte die freiheitliche Mission Belgiens in Europa“.
Neben diesen typischen gesellig-politischen Aktivitäten für Arbeitervereine im Ausland kam dem „Deutschen Arbeiterverein in Brüssel“ darüber hinaus eine Bedeutung zu, weil dessen Mitgliedern einen wichtigen Einfluss auf die Gründung der „Association Démocratique“ nahmen. Mit dieser neuen demokratischen Gesellschaft drohte die Gefahr, dass eine Konkurrenzorganisation zur kommunistischen Brüsseler Bewegung entstehen konnte. Da Wallau als Vorsitzender des Arbeitervereins eingeladen war, motivierte er zusammen mit Marx und Engels 30 Arbeitervereins-Mitglieder, an dem Gründungsbankett der „Association Démocratique“ teilzunehmen. Bankette waren in den 1840er-Jahren eine übliche Versammlungsform, um polizeilicher Überwachung oder gar dem behördlichen Verbot zu entgehen. Die Festveranstaltung verlief nicht nach dem Willen der Einberufenden. Vielmehr gelang es den Vertretern des Arbeitervereins, Friedrich Engels als stellvertretenden Vorsitzenden der demokratischen Gesellschaft durchzusetzen. Da allerdings schon absehbar war, dass Engels die Stadt in Kürze verlassen würde, schlug er als seinen Stellvertreter Karl Marx vor. Auch dieser Schachzug gelang. Im weiteren Verlauf des Jahres 1847 bis in den April 1848 hinein, als Marx Brüssel in Richtung des revolutionären Deutschlands verließ, übernahm die „Association Démocratique“ sowie der „Deutsche Arbeiterverein in Brüssel“ weiter die wichtige internationale Vernetzungsarbeit für die noch junge, kleine kommunistische Bewegung. Beide Organisationen stehen so als ein Beispiel für die Wurzeln der deutschen Arbeiterbewegung im Ausland im Vorfeld der Revolution von 1848.
Jürgen Schmidt
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