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Eigentlich wollte sie Tänzerin werden. Oder Badegastkind. Schließlich wurde sie eine der bekanntesten deutschen Journalistinnen: als politische Kommentatorin in der ansonsten frauenfreien Redaktion des WDR, als erste Frau, die in das Hochamt des deutschen Journalismus geladen wurde, zu Werner Höfers „Internationalem Frühschoppen“. Carola Stern, engagierte Kämpferin für Frieden und Menschenrechte, wäre am 14. November 95 Jahre alt geworden.
Bild: von J. H. Darchinger / FES
Aus Erika wird Carola
Geboren auf Usedom als Erika Assmus, wuchs sie vaterlos in der Fremdenpension auf, die ihre Mutter führte. Die eleganten, wohlhabenden Badegäste kamen aus der „großen Welt“; ihre eigene Welt beschrieb Carola Stern als reines Matriarchat, geprägt von der mütterlichen Begeisterung für den Nationalsozialismus. Erika wird Jungmädelführerin beim Bund Deutscher Mädel. Das Kriegsende 1945 bringt Ernüchterung und die Flucht in den Harz. Ihren Werdegang von der Bibliothekarin an einem russischen Raketenforschungsinstitut bei Nordhausen über ihre Ausbildung zur Geschichtslehrerin und der Anstellung an der SED-Parteihochschule in Kleinmachnow bis hin zur Flucht 1951 nach West-Berlin und den dahinterliegenden politischen Verschattungen hat sie in ihrer Autobiografie „Doppelleben“ geschildert. Ihre persönlichen Erfahrungen und das Politikstudium am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin machten sie zur anerkannten Expertin für die SED. In Berlin nahm sie auch – aus Angst vor dem langen Arm der DDR – den Namen Carola Stern an.
„Bleiben Sie dabei. Ich rate Ihnen das sehr.“
Fotos von ihr zeigen eine kleine, etwas bieder wirkende Frau, ein freundliches Gesicht, das Zugewandtheit ausstrahlt. Mit adretter Frisur und artigen Blusen sprach sie ihre Kommentare, die auch im WDR nicht durchweg auf Zustimmung stießen. Aufmunterung, sich nicht entmutigen zu lassen, erfuhr sie von Werner Höfer, dem WDR-Fernsehdirektor, höchstselbst: „Sie werden damit noch viel Ärger bekommen. Bleiben Sie dabei. Ich rate Ihnen das sehr.“
Überhaupt hatte in den später 1960er- und 1970er-Jahren eine Aufbruchstimmung den WDR erfasst: In Düsseldorf regierte eine sozial-liberale Koalition, mit Gustav Heinemann war seit 1969 ein Sozialdemokrat deutscher Bundespräsident, Willy Brandt wollte mehr Demokratie wagen und begann mutig seine Entspannungspolitik. Carola Stern war mit allen wichtigen Gestalter_innen dieser Periode in Kontakt und im Gespräch; mit ihrer medialen Präsenz hatte sie nicht nur Bekanntheit, sondern auch Anerkennung errungen. Freundschaft verband sie mit Hilda und Gustav Heinemann, häufig traf man sich in familiärer Atmosphäre. Sie begleitete Willy Brandt auf seinen Wahlkampf- und Auslandsreisen, wurde vom ehemaligen Journalisten Brandt zu Hintergrundgesprächen eingeladen. 1986 bat er sie in den Gründungskreis der Stiftung für Entwicklung und Frieden.
„Das Vernünftigste, was ich in meinem Leben getan habe.“
Sie war da nicht zum ersten Mal „Gründungsmitglied“: 1961 bereits hatte Carola Stern gemeinsam mit Gerd Ruge und weiteren Kolleg_innen die deutsche Sektion von Amnesty International (AI) gegründet. Alle hatten Erfahrung mit repressiven Regimen: der Nazizeit oder dem Stalinismus. Hier gründete sich eine Organisation, die sowohl für verfolgte Kommunist_innen als auch für Antikommunist_innen, für Atheist_innen und für Gläubige eintrat und die die bis dahin eher unbekannte Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zum Leitfaden nahm. Ihr Engagement für AI nannte Carola Stern später „das Vernünftigste, was ich in meinem Leben getan habe“.
Indirekt führte die Arbeit für AI sie zu einer anderen Initiative: Gemeinsam mit Heinrich Böll und Günter Grass gründete sie die Literaturzeitschrift „L 76 – Demokratie und Sozialismus“. Böll kannte sie bereits aus ihren Zeiten als Lektorin beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, mit ihm und seiner Frau Annemarie verband sie später enge Freundschaft. Böll, seinerzeit Präsident des Internationalen PEN, setzte sich seit Jahren für verfolgte osteuropäische Schriftsteller_innen ein. Die Zeitschrift sollte ihnen ein Forum bieten; die ZEIT lobte: „Endlich haben wir wieder eine ernst zu nehmende, qualitätsbewußte, einen großen Leserkreis ansprechende Zeitschrift für Literatur und Politik“.
Bald darauf – 1977 – gründete sie mit Johannes Rau, Erhard Eppler, Inge Aicher-Scholl und zahlreichen anderen Prominenten die Gustav-Heinemann-Initiative: eine Bewegung für Bürgerrechte im Geistes des Bundespräsidenten, für den Rechtsstaat. Unter dem Eindruck des „Deutschen Herbsts“ sah man die Notwendigkeit, sich offensiv für Freiheitsrechte einzusetzen.
„Der mühsame Weg zu mir selbst.“
In ihrem Nachruf schreibt die FAZ 2006 über Carola Stern: „Es gibt wohl keine deutsche Publizistin von vergleichbarer Breitenwirkung im Spannungsfeld von Literatur und Politik“. Ihre persönlichen Überzeugungen, ihr großes Engagement und ihre bemerkenswerte Vernetzung mit (sozialdemokratischen) Akteur_innen ihrer Zeit setzte sie hartnäckig und unermüdlich für Menschen- und Freiheitsrechte ein. Umso erstaunter verfolgt man daher Interviews, in denen sie über ihre Selbstzweifel, ihre Sehnsucht nach Zustimmung und Anerkennung spricht. Sie durchkämpfte schwere persönliche Krisen, verfolgte aber das, was sie selbst „den mühsamen Weg zu mir selbst“ nannte.
Seit Mitte der 1980er-Jahre widmete sich Carola Stern hauptsächlich dem Schreiben; sie veröffentlichte zahlreiche Biografien historischer Frauenfiguren wie Rahel Varnhagen, Johanna Schopenhauer, Helene Weigel oder Marianne Hoppe. Ihr eigenes, wendungsreiches Leben hat sie – sehr offen und selbstkritisch - unter anderem in ihrer Autobiografie „Doppelleben“ nachgezeichnet, in der sie auch ihre Tätigkeit im Auftrag des US-amerikanischen Geheimdienstes in der jungen DDR offenlegt. Der großen Resonanz beim Publikum tat das keinen Abbruch.
Carola Stern verstarb im Januar 2006, kurz nach ihrem 80. Geburtstag.
Ihre Veröffentlichungen in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung finden Sie hier. Akten aus dem Nachlass Carola Sterns befinden sich im Archiv der sozialen Demokratie.
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