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Eine Ausstellung über eine Philosophin – geht das überhaupt? Ja, geht: Das Deutsche Historische Museum in Berlin widmet Hannah Arendt (noch bis zum 18. Oktober) eine Ausstellung, in der auch Pelzjäckchen und Edelweißbrosche als doch irgendwie überraschende Exponate zu sehen sind.
Warum überhaupt Hannah Arendt? Kein Jahrestag fordert aktuell zum kollektiven Gedenken an sie auf. Kein Briefwechsel, der überraschend aufgefunden worden ist und neue, unbekannte Seiten zum Vorschein brächte. Hannah Arendt fasziniert einfach: ihr Leben, ihr Denken, ihre Widerständigkeit. Zahlreiche Begrifflichkeiten aus ihren Publikationen haben Eingang in das kollektive Bewusstsein gefunden – trotz oder gerade wegen der damit hervorgerufenen Kontroverse: „Die Banalität des Bösen“ etwa, Untertitel ihres Buches über den Organisator der Judenvernichtung Adolf Eichmann. „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ – eine Geschichte und Theorie des Totalitarismus, die sie weltberühmt gemacht hat. Ihre Darstellungen und Stellungnahmen waren alles andere als unumstritten, und bei manchem muss man – aufgrund neuerer Erkenntnisse oder wegen des zeitlichen Abstands – ihren Irrtum zugeben. Dennoch sei das 20. Jahrhundert ohne Hannah Arendt nicht zu verstehen – so das DHM.
Judentum und Antisemitismus
Die Ausstellung orientiert sich an Arendts Forschungsthemen und führt so durch ihr Leben; dabei erfährt man manch erstaunliches Detail. In ihrer frühen Arbeit „Rahel Varnhagen: Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik“ setzte sie sich mit Assimilation und Antisemitismus auseinander. Die Arbeit blieb bei ihrer Flucht 1933 unvollendet und erschien in Deutschland erst 1959. Der Cheflektor des Piper-Verlages störte sich an dem Untertitel und den zahlreichen Verweisen auf das Judentum. Hannah Arendt war zu keinen Kompromissen bereit; auf dem Buchumschlag erschien allerdings ein gekürzter Untertitel: „eine Lebensgeschichte“. Der Lektor war Mitglied der SS und der NSDAP.
Hannah Arendt wuchs in Königsberg in einer Familie säkulärer Juden auf, der Vater verstarb früh. Ihre Mutter erzog die Tochter zu einer selbstbewussten jungen Frau, die ihre Herkunft nicht verbarg: „Der Unterschied bei uns war, daß meine Mutter auf dem Standpunkt stand: Man darf sich nicht ducken! Man muß sich wehren!“ Martha Arendt war sozialdemokratisch orientiert, sie verehrte Rosa Luxemburg und las die „Sozialistischen Monatshefte“. Ihre Wohnung wurde zum Treffpunkt bürgerlich-intellektueller Sozialisten. Wegen eines Konflikts mit Lehrern verließ die hochintelligente Hannah Arendt zunächst ohne Abschluss die Schule und machte erst verspätet als Externe das Abitur.
Loyalität und Widerständigkeit
Moderne Erziehung, politische Theorien, Ermutigung zum Selbstbewusstsein, Unabhängigkeit im Denken wie im Handeln – Rüstzeug für einen schwierigen Lebensweg? Ja, aber auch: Großzügigkeit, Loyalität, Anhänglichkeit. Die Ausstellung präsentiert Hannah Arendt auch als „treue Freundin“ –Freundschaften waren ihr von hohem Wert. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm sie wieder Kontakt auf zu ihrem Doktorvater Karl Jaspers auf, der ihr 1933 die Flucht vor den Nationalsozialisten noch hatte ausreden wollen und der in den Folgejahren dann selbst unter massiven Repressionen gelitten hatte. Arendt unterstützte das Ehepaar Jaspers mit Paketen aus den USA, Jaspers vermittelte Artikel von ihr an die neue gegründete Zeitschrift „Die Wandlung“ – eine der wichtigsten Nachkriegszeitschriften, die sich für geistige Erneuerung, Humanität und Freiheit einsetzte. Eine intensive Freundschaft wurde wieder aufgenommen, die auch nicht durch – einen ebenfalls um die Gunst Jaspers bemühten – Golo Mann irritiert werden konnte. Mann versuchte auch, eine Übersetzung und Veröffentlichung von „Eichmann in Jerusalem“ in Deutschland zu verhindern.
Im Pariser Exil hatte Hannah Arendt Erich Cohn-Bendit kennengelernt – einen jüdischen Rechtsanwalt und Trotzkisten; dem Sohn Daniel bot sie später finanzielle Unterstützung an. In New York wurde ihre Wohnung zum Treffpunkt deutscher Emigranten, alte und neue Freunde trafen hier aufeinander. Mit der amerikanischen Autorin Mary McCarthy etwa verband sie eine 25-jährige Freundschaft, ihr freundschaftlich-philosophischer Briefwechsel erlangte Weltruhm. Die Namen ihrer Freundinnen, Freunde und Weggefährten bilden ein eigenes Who is Who des 20. Jahrhunderts.
Ihr Buch über den Jerusalemer Eichmann-Prozess kostete sie allerdings zahlreiche Freundschaften; ihre Positionen brachten ihr den Vorwurf ein, „Israel nicht zu lieben“, arrogant, kalt und gefühllos zu sein. Ihre Bewertung der Judenräte als Kollaborateure der Nazis schien die Opfer auf die Ebene der Verfolger zu rücken; Arendt wurde Verrat vorgeworfen. Ihr zum Teil ironischer Tonfall war vielen Leser_innen unangemessen bis unerträglich. Eine regelrechte Hetzkampagne brach gegen sie los. Der Blick in die Originalausgaben des „New Yorker“ mit den Texten eng gedruckt zwischen Lifestyle-Annoncen ist heute auf andere Weise befremdlich.
Exkurs: Restitution
Die staatenlose Jüdin Hannah Arendt hatte 1944 im amerikanischen Exil die Leitung der „Commission on European Jewish Cultural Reconstruction“ übernommen. Die Organisation machte es sich zur Aufgabe, eine Liste jüdischer Kulturschätze zu anzufertigen, die während Krieg und Besatzung unzerstört geblieben waren. Dazu wurden jüdische Flüchtlinge interviewt, die etwa in Museen oder Bibliotheken gearbeitet hatten und sich an Konfiszierungen und Plünderungen erinnerten. 1949 kam Arendt für vier Monate nach Deutschland, um sich dort einen Überblick über restituierbare Kulturgüter zu verschaffen. Unzählige Bände aus jüdischen Bibliotheken, Zeremonien- und Kunstgegenstände wurden durch die Arbeit der Kommission bewahrt und restituiert.
Hannah Arendt – aktuell wie nie?
Totalitarismus, Antisemitismus, Flucht und Staatenlosigkeit, der Eichmann-Prozess, der Zionismus, das politische System und die Rassentrennung in den USA, Studentenproteste und Feminismus: Das sind die – nach wie vor oder mehr denn je aktuellen - Themen, an denen das DHM Hannah Arendts Denken vorstellt: anhand vielfältiger Dokumente, aber vor allem anhand zahlreicher akustischer und filmischer Zeugnisse. Dabei ein legendäres TV-Gespräch mit Günter Gaus aus dem Jahr 1964, das wegen seiner Länge (das Zweier-Gespräch dauerte über eine Stunde) und der Kette-rauchenden Arendt gegen alle heutigen Sehgewohnheiten steht und inzwischen zum YouTube-Hit avanciert ist. „Sie redet über Flüchtlingshilfe, über rechte Bewegungen und was es heißt, existenziell angegriffen zu sein. Da werden sich viele auch vor dem aktuellen Hintergrund angesprochen fühlen. Sie spricht darüber, wie man sich zu Politik stellt“, so Götz Bachmann, Professor für digitale Kulturen. Und genau das erklärt wohl, warum eine Ausstellung zu Hannah Arendt möglich ist – auch ohne „besonderen“ Anlass.
Gabriele Rose
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