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"Parlament der Arbeit": Deutscher Gewerkschaftsbund vor 70 Jahren gegründet

"Ehret die Arbeit!" - Mit Pathos beginnt der Gründungskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Ferdinand Freiligraths Hymne auf den Arbeiter ist der Auftakt zum ersten „Parlament der Arbeit“, das vom 12. bis zum 14. Oktober 1949 in München stattfindet.

Bild: DGB Gründungskongress 1949 von AdsD/FES

Ehret die Arbeit!

Wer den wucht’gen Hammer schwingt,
wer im Felde mäht die Ähren,
wer ins Mark der Erde dringt,
Weib und Kinder zu ernähren;
(…)

Jedem Ehre, jedem Preis!
Ehre jeder Hand voll Schwielen!
Ehrem jedem Tropfen Schweiß,
Der in Hütten fällt und Mühlen!
(…)

Mit Pathos beginnt er: der Gründungskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der sehr jungen Bundesrepublik Deutschland. Ferdinand Freiligraths Hymne auf den Arbeiter ist der Auftakt zum ersten "Parlament der Arbeit", das vom 12. bis zum 14. Oktober 1949 in München stattfindet.

487 Delegierte aus 16 Einzelgewerkschaften versammeln sich hier und repräsentieren die rund fünf Millionen Gewerkschaftsmitglieder in Westdeutschland. 487 Delegierte – die wohl kaum die gesellschaftliche Wirklichkeit im Nachkriegsdeutschland widerspiegeln: Nur 14 (!) Frauen sind darunter; nur ein Drittel der Delegierten ist unter 50 Jahre alt, nur 26 unter 40 Jahre und nur 2 Delegierte unter 30 Jahre. Obwohl die Gruppe der Männer, die bereits vor 1933 gewerkschaftlich organisiert und aktiv waren, durch den Krieg erheblich dezimiert worden war, sind die älteren Gewerkschafter deutlich überrepräsentiert. Und auch Hans Böckler, der auf dem Kongress zum ersten Vorsitzenden des neuen DGB gewählt wird, ist zu diesem Zeitpunkt bereits 74 Jahre alt.

Das Ziel: eine gerechte Gesellschaft!

Keine Jugendbewegung also, die hier tagt – und dennoch will man Neues wagen: eine gerechte Gesellschaftsordnung soll begründet werden! Von diesem Willen geprägt sind dementsprechend die "Wirtschaftspolitischen Grundsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes", die verabschiedet werden.
Man fordert:

  •  "Mitbestimmung der organisierten Arbeitnehmer in allen personellen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Wirtschaftsführung und Wirtschaftsgestaltung."
  •  "Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum, insbesondere des Bergbaues, der Eisen- und Stahlindustrie, der Großchemie, der Energiewirtschaft, der wichtigen Verkehrseinrichtungen und der Kreditinstitute."

Und erkennt: "Eine solche wirtschaftspolitische Willensbildung und Wirtschaftsführung verlangt eine zentrale volkswirtschaftliche Planung, damit nicht private Selbstsucht über die Notwendigkeiten der Gesamtwirtschaft triumphiert."

Der Beginn: kontrolliert

Der Weg zu diesem Gründungskongress ist langwierig: überlebende Gewerkschafter werden zwar schon recht bald nach Kriegsende aktiv. Aber unterschiedlich sind die Vorstellungen über die zu gründenden Gewerkschaften: Sind Berufsverbände oder Industriegewerkschaften (ein Betrieb – eine Gewerkschaft!) die geeignete Organisationsform? Soll es eine zentralistische Einheitsgewerkschaft geben oder den föderalen Zusammenschluss von autonomen Einzelgewerkschaften in einem Gewerkschaftsbund? Gelingt es, Arbeiter, Angestellte und Beamte im gemeinsamen Interessenverband zu vertreten?  In einem ist man sich indes einig: Die weltanschaulich und parteipolitisch getrennten Richtungsgewerkschaften der Vorkriegszeit sollen der Vergangenheit angehören und stattdessen religiös neutrale und parteipolitisch unabhängige Organisationen gebildet werden.
Außerdem treffen die Gewerkschafter in den Besatzungszonen auf sehr unterschiedliche Unterstützung seitens der Alliierten. In der britischen Zone sind erste Gründungen schon im August 1945 möglich – allerdings nur auf lokaler Ebene.  In der Amerikanischen und vor allem in der Französischen Besatzungszone geht die Entwicklung schleppender voran; bis zum Frühjahr 1947 haben sich dann aber Landesverbände gebildet, die etwa Bayerischer Gewerkschaftsbund, Freier Gewerkschaftsbund Hessen oder Allgemeiner Gewerkschaftsbund Rheinland-Pfalz heißen. Ein trizonaler Gewerkschaftsrat verbindet über die Westzonen hinweg. In der russischen Besatzungszone hat sich bereits im Februar 1946 der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund konstituiert.

Der Weg: mit Hindernissen

Neben diesen politischen Einschränkungen sind auch die allgemeinen Rahmenbedingungen - gelinde gesagt - nicht einfach: der tägliche Daseinskampf im zerstörten Deutschland erschwert den Einsatz für weit gesteckte Ziele aller Art. Fast alle Verkehrsverbindungen sind unterbrochen, die Industrieproduktion zum größten Teil zum Erliegen gekommen, eine geregelte Lebensmittelversorgung kaum vorhanden. Die ökonomisch willkürliche Festlegung der Zonengrenzen, die unausgeglichene Wirtschaftsstruktur der Besatzungszonen und ein nur begrenzt funktionierendes Bewirtschaftungssystem haben die mangelhafte Versorgung der Bevölkerung zur Folge.
Arbeiter, Angestellte und Beamte zögern mit politischem und gewerkschaftlichem Engagement. Bevölkerungszuwächse und der Anstieg des Arbeitskräftepotentials führen nicht zu einem entsprechenden Anstieg des gewerkschaftlich organisationsfähigen Potentials: Frauen, Flüchtlingen und Vertriebenen oder Jugendlichen, die nur die Nazi-Zeit erlebt hatten, liegt ein gewerkschaftliches Engagement fern.

Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 und die damit verbundene klare Abgrenzung gegenüber der Sowjetisch Besetzten Zone geben nun den Gewerkschaften den Rahmen zur Gründung der neuen Dachorganisation "Deutscher Gewerkschaftsbund". Die Konstituierung des DGB ist nicht einfach der Zusammenschluss der bisherigen Zonen- und Landesgewerkschaftsbünde, sondern eine Neugründung durch die Industriegewerkschaften. Dementsprechend entsenden die 16 Einzelgewerkschaften ihre Delegierten; nicht dabei die "Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG)", die als berufsständische Organisation der Angestellten für sich bleibt.

Der Erfolg: begrenzt?

Die SPD und auch große Teile der CDU stimmen in den Gründungsjahren der BRD mit den wirtschaftspolitischen Forderungen der Gewerkschaften zunächst überein. Dennoch gelingt es den Gewerkschaften nicht, diese zu realisieren. Die paritätische Mitbestimmung kann nur in der Eisen- und Stahlindustrie durchgesetzt werden. Ein volkwirtschaftlicher Gesamtplan ist sehr bald ideologisch verpönt. Und die Idee, Schlüsselindustrien in Gemeineigentum zu überführen, stößt heute auch bei Gewerkschaftern auf Widerstand.


Die Bibliothek des Deutschen Gewerkschaftsbundes wurde in den 1990er Jahren in die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung integriert. Hier finden sich u.a. die Protokolle der ersten Gewerkschaftskonferenzen, die Zeitungen der zonalen Gewerkschaftsbünde sowie umfangreiche Literatur zur Geschichte der Gewerkschaften nach 1945.

Weiteres zur Gewerkschaftsgeschichte finden Sie auch hier:

Internetportal "gewerkschaftsgeschichte.de" der Hans-Böckler-Stiftung

Gewerkschaftsportal der Johannes-Sassenbach-Gesellschaft

Gewerkschaftsgeschichte "Bewegte Zeiten" des DGB

 


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