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PD Dr. Stefan Müller
0228 883-8068
Stefan.Mueller(at)fes.de
Abteilung
Archiv der sozialen Demokratie
Bild: Central-Verein-Zeitung v. 5.1.1933; Scan: Univ.-Bibliothek Frankfurt am Main o. J.
Es wird „nichts anderes möglich sein, als uns an die Sozialdemokratie zu halten, denn die anderen Parteien lassen sich nicht mobilisieren“. Samo Winter, Vorsitzender der Fischacher Ortsgruppe des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.), schrieb im April 1928 mit einem ernsten Anliegen an den C.V.-Vorstand nach Berlin. Der 1893 gegründete Centralverein, mit über 60.000 Mitgliedern die größte jüdische Abwehrorganisation gegen den Antisemitismus, verhielt sich offiziell politisch neutral. Zwischen politischer Neutralität und den realen Verhältnissen vor Ort existierte aber ein Widerspruch, den Winter explizit herausstellen wollte: Anders als die Bayerische Volkspartei wären die Sozialdemokraten in der Vergangenheit bei völkischen Provokationen in Fischach eingeschritten und hätten dadurch antisemitische Unruhen verhindert. Die Antwort des Vorstands war eindeutig. Man pflege gute Kontakte zu allen Parteien, die sich gegen den Judenhass aussprechen, und wolle kein bevorzugtes Verhältnis zur Sozialdemokratie.
Auf den zweiten Blick wird dennoch eine besondere Nähe von Sozialdemokratie und Centralverein deutlich. Das sozialdemokratische Zentralorgan, der Vorwärts, kündigte regelmäßig Veranstaltungen des Centralvereins an und berichtete gelegentlich auch detaillierter, insbesondere wenn als Gäste sozialdemokratische Redner und Rednerinnen auftraten. 1932 gratulierte wiederum Carl Severing, der sozialdemokratische Innenminister Preußens, zum zehnjährigen Bestehen der C.V.-Zeitung. Severing wünschte, „dass [die Zeitung] unbeirrt weiter kämpfen möge für die Gleichberechtigung aller deutschen Staatsbürger, gleichviel welcher Konfession und Rasse, dass sie nicht erlahmen möge im Streit gegen niedrige Verleumdung und Rassenhetze“.
Eine besonders enge Verbindung
Die Beziehung von Centralverein und Sozialdemokratie ging über Grußworte und Veranstaltungshinweise weit hinaus. Vielmehr befanden sich C.V. und SPD am Ende der Weimarer Republik in einer politischen Lage, die sie zu Verbündeten in der Abwehr des Nationalsozialismus, im Kampf für die Republik und der Verteidigung der Bürgerrechte der deutschen Jüdinnen und Juden machte. Als der Centralverein 1929 das Büro Wilhelmstraße gründete, entwickelte sich eine aktive Zusammenarbeit mit der SPD. Das Büro dokumentierte Aussagen von NS-Größen, analysierte nationalsozialistische Agitation sowie das Auftreten der NSDAP-Politiker in den Parlamenten und publizierte Materialsammlungen als Argumentationshilfe für die Gegenrede. Hans Reichmann, im sozialdemokratisch dominierten Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold organisiert, und Walter Gyßling, selbst Mitglied der SPD, leiteten die Arbeit des Büros, dessen Arbeitsergebnisse wiederum Eingang in die sozialdemokratische Presse fanden.
Mit dem Bedeutungsverlust der linksliberalen DDP in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre änderte sich zudem das Wahlverhalten der deutschen Jüdinnen und Juden. Die in ihrer Mehrheit aus bürgerlich-liberalem Milieu stammenden deutsch-jüdischen Wähler_innen gaben ihre Stimme zunehmend der SPD. Diese Wählerwanderung war möglich, weil die Partei zu diesem Zeitpunkt auf eine fast 40-jährige Tradition der Aufklärung gegen den Antisemitismus zurückblicken konnte. Sie ging im Wesentlichen auf August Bebels Rede beim Kölner Parteitag 1893 zurück. Diese Tradition und eine politische Weltanschauung, die statt auf der Betonung konfessioneller Unterschiede auf sozioökonomischen Analysen beruhte, verhinderten die Ausbreitung des Antisemitismus in der SPD. „Die politischen und sozialen Ziele der Arbeiterbewegung sind völlig unabhängig von der religiösen Überzeugung und den weltanschaulichen Meinungen ihrer einzelnen Glieder“. Der Satz stammt aus einem Antrag Rudolf Hilferdings, den die Delegierten des Kieler Parteitags 1927 annahmen. Inhaltlich neu war er insofern, als dass er das sozialdemokratische Verhältnis zur Religion entspannte. Die Beziehung zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Sozialdemokraten beschrieb er stärker, als dass er sie veränderte. Denn schon im Kaiserreich eröffnete die SPD Emanzipationsräume, die sich durch geringe Bedeutung von Herkunft in einer ansonsten stark herkunftsorientierten Gesellschaft und einer egalitären Zukunftsvision auszeichneten, die Gleichberechtigung und Teilhabe versprachen. Zählt man die Reichstagsabgeordneten und Funktionsträger der Partei, die aus einem jüdischen Elternhaus stammten, so wird dies offenbar. Ihre Zahl lag deutlich über dem statistischen Durchschnitt.
Antisemitismus innerhalb der Sozialdemokratie
So glänzend diese Bilanz ist, die Geschichte hat ihre Schattenseiten. In den sozialdemokratischen Reihen fanden sich auch Antisemiten und Geltungspolitiker, die rassistische Ressentiments schürten. Einer von ihnen hieß August Winnig, war 1919/20 Oberpräsident von Ostpreußen und sprach den deutschen Jüdinnen und Juden ihre nationale Zugehörigkeit ab. Kritikwürdig waren auch die Positionen der Mehrheitssozialdemokratie zur Frage, ob man den vor antisemitischer Gewalt geflohenen Jüdinnen und Juden aus Osteuropa Asyl gewähren sollte. Schließlich setzte die von Samo Winter gelobte bayerische Sozialdemokratie einen Tiefpunkt, als sie im Januar 1930 zusammen mit der NSDAP für ein Verbot koscheren Schlachtens stimmte.
Aber es spricht für das Aufklärungsniveau im sozialdemokratischen Milieu, dass im Vorwärts und in der Freiheit Kritik an Winnigs Äußerungen laut wurde und dass sich die USPD gegen die mehrheitssozialdemokratische Auffassung vom Primat der Staatsbürgerschaft stellte, den vom Antisemitismus Verfolgten Asyl gewähren wollte und jeden Antisemitismus ablehnte, unabhängig davon, ob der sich gegen die bürgerliche Gleichberechtigung der deutschen oder gegen die verfolgten osteuropäischen Jüdinnen und Juden richtete.
Emanzipation ist keine Einbahnstraße. Es würde das Wirken jüdischer Sozialdemokraten auf ein reines Mitmachen reduzieren, wenn unerwähnte bliebe, dass sie es waren, die die Entwicklung maßgeblich mitgestalteten. Sie taten dies in den Anfangsjahren der Sozialdemokratie wie Ferdinand Lassalle, in der sozialistischen Theoriebildung wie Eduard Bernstein und Rosa Luxemburg, in der Antikriegspolitik wie Hugo Haase, in der Schulpolitik wie Kurt Löwenstein und in der Wirtschaftspolitik wie Fritz Naphtali. Die Geschichte der Sozialdemokratie erzählen heißt auch, über die politische Geschichte der deutschen Juden zu sprechen. Ausgehen muss diese Erzählung von den Worten Friedrich Engels, der im April 1890 an Isidor Ehrenfreund schrieb:
„Viele unserer besten Leute sind Juden. Mein Freund Victor Adler, der jetzt seine Hingebung für die Sache des Proletariats im Gefängnis in Wien abbüßt, Eduard Bernstein, der Redakteur des Londoner ‚Sozialdemokrat‘, Paul Singer, einer unserer besten Reichstagsmänner – Leute, auf deren Freundschaft ich stolz bin, und alles Juden! Bin ich doch selbst von der ‚Gartenlaube‘ zum Juden gemacht worden, und allerdings, wenn ich wählen müßte, dann lieber Jude als ‚Herr von‘!“
Christian Dietrich
Literatur:
Den Abschluss unserer Reihe "Jüdische Menschen in der Arbeiter_innenbewegung – emanzipatorische Kohäsionskräfte" bildet ein Gastbeitrag von Stefan Braun zu Elias Laub.
Manuel Campos berichtet von seinem Weg aus Portugal nach Deutschland, den Erfahrungen von Migrant:innen in der Bundesrepublik seit den 1970er-Jahren und seinem Engagement in der IG Metall.
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Die Erfahrungen im Umgang mit den Republikanern zeigen, warum es in liberalen Demokratien so schwierig ist, rechtsextreme Parteien zu beobachten und zu verbieten. Der Historiker Moritz Fischer argumentiert in einem Gastbeitrag, warum die Bewertung durch den Verfassungsschutz oft ein Teil des Problems ist.