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Die Anti-SPD Aktivitäten des BND kamen mit dem Ende der Ära Adenauer nicht an ihr Ende, sondern wurden auf neue Informanten und Operationen gestützt, an denen auch Sozialdemokraten beteiligt waren.
Bild: Gerhard Wessel bemühte als Nachfolger von Reinhard Gehlen ab 1968 um einer Reform des BND, scheiterte dabei jedoch am Widerstand führender Beamter; von J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Auch Karl-Theodor zu Guttenberg erhielt als Chef des Kanzleramts vom BND geheime Informationen über die SPD; von J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Der sozialdemokratische Journalist und MdB Fritz Sänger, hier mit Herbert Wehner und Willy Brandt, wurde von 1948 bis 1979 als V-Mann des BND geführt; von J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Wenzel Jaksch (links), sudetendeutscher Sozialdemokrat, MdB und Präsident des Bundes der Heimatvertriebenen, versorgte Pullach mit Informationen zur Tschechoslowakei; von J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Fried Wesemann wurde 1959 vom Gehlen-Dienst angeworben und gehörte zu dessen bestbezahlten Zuträgern; von J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Auf der SPD-Bundeskonferenz in Bad Godesberg traf Wesemann am 16. November 1967 auf den Brandt-Intimus Leo Bauer. Zwei Wochen später reisten sie zur Gesprächen mit dem PCI nach Rom. Später verriet er den Inhalt dieser vertraulichen Treffen an den BND; von J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Bild: Der Leiter des Ostbüros der SPD, Helmut Bärwald, arbeitete gleichzeitig für den BND. 1971 trat er aus der SPD aus
Bild: BND-Vizepräsident Paul Münstermann (rechts), hier mit BND-Präsident Konrad Porzner, schmuggelte Verschlusssachen aus der BND-Zentrale, um sie anschließend über den ehemaligen BND-Mitarbeiter Kurt Weiß ihrer Partei, der CSU, zuzuleiten; von Frank und Marc Darchinger
Teil 1 des Beitrags von Klaus-Dietmar Henke ist hier zu lesen.
Kurz vor dem Ende der Ära Adenauer fiel BND-Präsident Reinhard Gehlen aus der Gnade des Bundeskanzlers. Heinz Felfe, der bei Globke ein und ausgegangen war, wurde als KGB-Agent enttarnt. Bald darauf zeigte sich Pullachs Verstrickung in die Spiegel-Affäre, die der Kanzler im Bundestag einen Abgrund von Landesverrat nannte. Zudem hatten sich inzwischen die Indizien für schwerwiegende Missstände im Auslandsnachrichtendienst derart verdichtet, dass der Regierungschef wenige Tage vor seinem Rücktritt noch schnell einen persönlichen Revisor nach Bayern beorderte (und damit den einzigen schweren Dissens mit seinem getreuen Globke riskierte). Womöglich hatte es Adenauer auch verstimmt, dass der BND-Präsident mit Beginn der sechziger Jahre, als eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung denkbar wurde, die SPD-Berichterstattung ausdünnte und schließlich ganz einstellte.
Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard zeigte wenig Interesse an Gehlens Arbeit und gar keines an parteipolitischen Geheimoperationen. Die kurze Spanne der Großen Koalition unter Kiesinger/Brandt sah den Gründungspräsidenten dann im Abwehrkampf gegen eine grundstürzende Remedur im BND, die Kanzleramtschef Karl Carstens (CDU) nach Gehlens Pensionierung im Frühjahr 1968 gemeinsam mit dessen Nachfolger Gerhard Wessel einleitete. Die reichte aber nicht hin, um eine Clique höherer Beamter unter Führung des starken Mannes und Ersten Direktors Kurt Weiß (CSU) ihrer zur zweiten Natur gewordenen antisozialdemokratischen Politisierung zu entwöhnen. Gegen Recht und Gesetz versorgten sie profilierte Unionspolitiker weiterhin mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, die auch ihren sozialdemokratischen Widerpart betrafen – nun nicht mehr Adenauer und Globke, sondern Schwergewichte wie Franz Josef Strauß (CSU), den Parlamentarischen Staatssekretär im Kanzleramt Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CSU) oder den Bundestagsabgeordneten Werner Marx (CDU).
Bei den Anti-SPD-Aktivitäten des BND nach Adenauer gewannen zwei sozialdemokratische Innenquellen Bedeutung: Fried Wesemann und Helmut Bärwald – nicht jedoch (wie manchmal vermutet) die SPD-Bundestagsabgeordneten Fritz Sänger und Wenzel Jaksch, die vom Dienst ebenfalls als Informanten geführt wurden. Der NS-Gegner Sänger gehörte seit 1920 der SPD an und arbeitete als prominenter Publizist auch als Wahlkampfhelfer für Willy Brandt. Der Gehlen-Dienst führte ihn von 1948 bis 1979 als V-Mann. Sänger plauderte mit Pullach über Gott und die Welt und wollte gerne in Erfahrung bringen, was nicht in der Zeitung stand. Seine Auskünfte aus der SPD gingen aber nicht über das hinaus, was den Medien zu entnehmen war. Einem Parteifreund schrieb er einmal, ihm sei klar, dass es im BND „ganz überwiegend nur Gegner der Sozialdemokratie und überhaupt eindeutiger demokratischer Wirklichkeit“ gebe (II, S. 622).
Wenzel Jaksch, maßgebender sudetendeutscher Sozialdemokrat und Emigrant, hatte ebenfalls Beziehungen zum BND, die über Routinekontakte hinausgingen. Seit 1953 Bundestagsmitglied, half er dem Dienst als Kenner Osteuropas und „Tipper“ für die Auslandsaufklärung. Als der Präsident des Bundes der Heimatvertriebenen 1966 starb, waren von ihm in Pullach etwa 70 Meldungen zumeist aus tschechoslowakischem Kontext aufgelaufen. Hinweise, dass er als Mitglied des SPD-Vorstands zu dessen nachrichtendienstlicher Ausforschung beigetragen hat, finden sich in den Akten nicht.
Fried Wesemann war ein anderes, gefährliches Kaliber. Er stammte aus einem sozialdemokratischen Elternhaus, war kurz Referent Schumachers und sein erster Biograf gewesen, machte in verschiedenen Zeitungen Karriere und gehörte in den Fünfzigern zu den profiliertesten Publizisten des Landes. Von seinem Freund Siegfried Ziegler als „Presse-Sonderverbindungen“ betreut, fiel Wesemann früh mit wohlwollenden Artikeln über den Gehlen-Dienst auf. 1959 warb der BND den als Spiegel-Korrespondent in Paris weilenden Publizisten als seinen V-Mann 7382 an. Der auf großem Fuß lebende Wesemann fand Gefallen an seiner Agententätigkeit und wurde trotz schwacher Arbeitsergebnisse mit etwa 350.000 DM Nebenher-Salär zu einem der bestbezahlten Zuträger. Man darf darin eine Art Entschädigung für den Schiffbruch sehen, den er bei der Ausspähung von Willy Brandt und Egon Bahr erlitt.
Anfang Mai 1967 war Fried Wesemann auf Initiative Herbert Wehner zum Informationsdirektor beim SPD-Parteivorstand berufen worden. In der obersten Etage der „Baracke“ jetzt wieder eine Innenquelle zu haben, gewann für Gehlen und Weiß erhebliche Bedeutung, da sich in der Koalitionsregierung die Spannungen wegen der von Außenminister Brandt forcierten, von den Pullacher Granden im Einklang mit maßgebenden Unionspolitikern bekämpften Ost- und Deutschlandpolitik zusehends verschärften. In Vorbereitung für den Fall, dass sich nach der Bundestagswahl 1969 die Chance für einen außenpolitischen Neustart eröffnen sollte, hatte sich der SPD-Vorsitzende frühzeitig nach politischen Kräften umgesehen, die bei der Anbahnung eines Dialogs mit dem Osten behilflich sein konnten. Zu diesen als Makler ausersehenen Kräften gehörten die italienischen Kommunisten, die seit längerem für eine blockübergreifende Entspannungspolitik eintraten.
Erste geheime Kontakte zur PCI kamen mit Wissen Brandts und Wehners im September 1967 zustande. Zwei Monate später reiste eine dreiköpfige SPD-Delegation nach Rom, der neben Brandts Vertrautem Leo Bauer und dem Präsidiumsmitglied Egon Franke auch Fried Wesemann angehörte. Da man es vermieden hatte, Bundeskanzler Kiesinger und den mit ganz kurzen Drähten zum BND gesegneten Freiherrn zu Guttenberg vorab zu informieren, beide jedoch von Pullach über die Fortschritte der SPD/PCI-Sondierungen auf dem Laufenden gehalten wurden, kam es zwischen den Regierungsparteien zu einem schwerwiegenden, von ihren publizistischen Kombattanten nach Kräften befeuerten Zerwürfnis.
Fried Wesemann hatte dem BND im Januar 1968 den entscheidenden Bericht über das Tete-a-tete in Rom erstattet, dieser sogleich Carstens und Guttenberg eingeschaltet. Das Drama von Intrige, Vertrauensverlust und Vaterlandsverrat begann. Kurt Weiß wusste da schon länger, dass man sich in der SPD-Spitze über Wesemanns hohen Lebensstandard wunderte. In der „Baracke“ wurde seine Stellung in dem Maße prekärer, wie sich die römische Affäre ausweitete. Nach Brandts Eingeständnis, er hätte den Kanzler wohl besser vorab informiert, trat eine gewisse Beruhigung ein. Doch anders als einige Jahre zuvor für Siegfried Ortloff und Siegfried Ziegler eröffnete sich für Fried Wesemann kein Ausweg. Unter den drei zur PCI Abgesandten trauten die Genossen den Verrat nur ihrem Kommunikationsdirektor zu. Da dieser natürlich bestritt, irgendeinen Anteil an der Affäre zu haben, gestaltete sich die sofort vollzogene Trennung von ihm etwas mühselig. Wesemann überschüttete Brandt umgehend und noch Jahre danach mit Beteuerungen seiner Unschuld – wie der SPD-Chef denn damit fertig werde, ihn jetzt „beruflich ruiniert und in materieller Not zu wissen“? (II, S. 537 f.) Materiell weit vom Ruin entfernt, arbeitete der Kommunikationsdirektor a.D. weiter für den BND, tat sich auch da mit larmoyanten Enttäuschungsgesängen hervor und kassierte 1981 schließlich ein „Abschiedsgeld“ in Höhe von 35.000 DM.
Der „Fall Bärwald“, der 1974/75 im Guillaume-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags zur Sprache kam, galt den Sozialdemokraten nach drei Jahrzehnten immer dringenderer Vermutungen als ein erster unstreitiger Beweis für die illegale Ausforschung ihrer Partei durch den Auslandsnachrichtendienst. Tatsächlich jedoch war dieser Verrat (neben dem Wesemanns) nicht mehr als eine punktuelle Fortführung der Anti-SPD-Aktivitäten nach dem Ende der unentdeckt gebliebenen Ortloff/Ziegler-Operation.
Helmut Bärwald (eigentlich Helmut Fränzel) gehörte am rechten Rand der SPD zu jenen militanten Kämpfern gegen den Kommunismus, die sich gerade noch im demokratischen Spektrum bewegten. Nach der erzwungenen Vereinigung von KPD und SPD hatte er sich in Leipzig einer Widerstandsgruppe angeschlossen, die eng mit dem Ostbüro der West-SPD verbunden war. 1948 in den Westen geflohen, spielte er bei dem sozialdemokratischen Betreuungs-, Propaganda- und Informationsdienst sogleich eine führende Rolle, musste sich aber nolens volens damit abfinden, dass die Partei diese Aktivitäten zunehmend einschränkte. 1966 gelangte Bärwald an die Spitze des vor allem von Wehner beargwöhnten Büros. Da war er dem BND bereits seit sechs Jahren in großer Mitteilsamkeit verbunden. Nach und nach steigerte er sich in eine erbitterte Gegnerschaft gegen die Entspannungspolitik, in der er nichts als Verrat am Kampf gegen den Kommunismus sah. Mit einigem Mediengetöse, doch ohne dass seine BND-Anbindung öffentlich wurde, quittierte Bärwald 1971 seinen Dienst bei der SPD und verließ sie bald auch.
Der wahre Grund für Bärwalds Flucht aus der SPD wurde durch eine Untersuchung klar, die Kanzleramtschef Horst Ehmke angeordnet hatte. Der BND-Präsident bestätigte seine Anbindung an den Dienst, nachdem bei einer Bonner Außenstelle seine SPD-Dossiers entdeckt und beschlagnahmt worden waren. Um die Angelegenheit geräuschlos zu bereinigen, beendete Wessel die Zusammenarbeit mit Bärwald und löste auch den Außenstellenleiter ab, der Unionspolitiker mit diesen Materialien versorgt hatte. Sie enthielten unter anderem Personenklärungen zu Willy Brandts Wahlkampfteam oder etwa die Beschreibung von Rivalitäten bei der Postenverteilung nach dem Wahlsieg 1969; in der „Baracke“, so weiter, verhärte sich die Konfrontation zwischen einem Linkskartell und einem Rechtskartell; Ahlers, Bahr, Ehmke, Schmidt, Wehner – alle erhielten ihre Kopfnoten. Da Bärwald nie zum engeren Führungskreis der Partei gehörte, erreichten seine geheimen Mitteilungen aber nie die Spitzenqualität Ortloff’scher Berichterstattung. Nach seiner Abkehr von der Sozialdemokratie landete die abgeschaltete Innenquelle des BND schließlich bei der militant rechtskonservativen Publizistik.
Auch wenn Gehlen und seine ebenfalls vorgeladenen Mitarbeiter vor dem Guillaume-Ausschuss emphatisch verneinten, irgendetwas Unrechtmäßiges getan zu haben, konnten sie die Existenz der SPD-Berichte nicht wegerklären. Die Konturen der politischen Inlandspionage des BND zeichneten sich jetzt erstmals etwas deutlicher ab. Dennoch hat der Untersuchungsausschuss das Lügengespinst aus Falschaussagen, Irreführungen und Halbwahrheiten, mit dem die beamteten Agenten ihre geheimen Dienste verhüllten, nur ein wenig lockern, nicht aber zerreißen können. Die enorme Breite der parteipolitischen Ausforschungen durch den BND blieb ebenso verborgen wie die Tatsache, dass die Instrumentalisierung des Auslandsnachrichtendienst von höchster Stelle ausgegangen war. Noch immer ahnte niemand oder hätte es überhaupt für möglich gehalten, dass der BND-Präsident das Bundeskanzleramt umfassend mit den neuesten Nachrichten aus den Führungsgremien des politischen Hauptgegners versorgt hatte und Bundeskanzler Adenauer diesen Informationsvorsprung bei der Bekämpfung der SPD über Jahre hinweg höchstpersönlich zu nutzen pflegte.
Das Kapitel der gesetz- und auftragswidrigen Intervention des Auslandsnachrichtendienstes in die Innenpolitik wurde erst Mitte der 1990er-Jahre geschlossen. Denn da sah sich Friedrich Bohl, Helmut Kohls Kanzleramtschef, dazu veranlasst, Paul Münstermann, dem wegen seiner die Grenzen des Grotesken ignorierenden Machenschaften zugunsten führender Unionspolitiker aus seinem Amt entfernten BND-Vizepräsidenten, den in seiner Selbstverständlichkeit schwerlich überbietbaren Grundsatz ins Stammbuch zu schreiben, „wonach der Beamte dem ganzen Volk, nicht einer Partei zu dienen hat“ (II, S. 1378).
Klaus-Dietmar Henke
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke, Jahrgang 1947, ist Zeithistoriker und war Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND. Am 29. Februar 2024 stellt er in Bonn seine jüngste Studie "Adenauers Watergate. Die Geheimoperation des BND gegen die SPD-Spitze" vor. Weitere Informationen hier
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