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Vor 75 Jahren beginnt die Erfolgsgeschichte der sozialistischen Jugendbewegung in (West-) Deutschland neu und knüpft damit an ihre Tradition vor dem Zweiten Weltkrieg an. Auf der ersten SPD-Jugendkonferenz im Juli 1946 in Nürnberg wird aus den beiden Kinder- und Jugendorganisationen der Sozialdemokratie – der „Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde“ und der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ - die gemeinsame Organisation der „Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken“ für Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 20 Jahren.
Die Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken ist heute ein unabhängiger und selbstorganisierter politischer und pädagogischer Kinder- und Jugendverband in der Tradition der Arbeiterbewegung. Das war jedoch nicht immer so.
Nach der Jahrhundertwende 1904 wird im Berliner Grunewald die Leiche eines Lehrlings gefunden. Nach einer polizeilichen Untersuchung stellt sich heraus, dass er Suizid begangen hat, da er von seinem Lehrmeister schwer misshandelt wurde. Da dies kein Einzelfall im Wilhelminischen Kaiserreich ist, beschließen 24 sozialistisch orientierte junge Arbeiter, einen Verein für Lehrlinge und jugendliche Arbeiter zu gründen. Sie wollen die besonderen Interessen der Arbeiterjugend gegenüber den Unternehmen vertreten und gleichzeitig einen Ort für Gemeinschaft und politische Diskussion schaffen. Daraus entsteht fünf Jahre später – vom Parteivorstand der SPD eingerichtet – die „Zentralstelle für die Arbeitende Jugend Deutschlands“. Mit der „Arbeiter-Jugend“ gibt sie eine eigene Zeitschrift heraus, die von 1909 bis zum Verbot 1933 monatlich erscheint und eine Auflage von bis zu 100.000 Exemplaren erreicht.
Im Laufe des Ersten Weltkriegs wird das Band zwischen der SPD und ihrer sozialistischen Jugendbewegung weitgehend zerrissen, da die Jugendlichen mit der Beteiligung der Sozialdemokratie an den Kriegsanstrengungen des Wilhelminischen Reichs nicht einverstanden sind. Die sozialistische Jugend steht für ein pazifistisches und sozialrevolutionäres Weltbild. Nach den Wirren der Novemberrevolution und den Rätebewegungen, nach der Spaltung der SPD und der Gründung der KPD gelangt die sozialdemokratische Landschaft der Weimarer Republik wieder in ruhigere Wasser und es gründen sich zwei Arbeiterkinder- und -jugendorganisationen als Teil der SPD: 1922 die „Sozialistische Arbeiterjugend“ (SAJ) und 1923 die „Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde Deutschlands“. Sie entwickeln sich mit mehr als hunderttausend Mitgliedern schnell zum stärksten deutschen Jugendverband. Die Bezeichnung „Falken“ wird Mitte der 1920er Jahre von den österreichischen Kinderfreunden übernommen: die SAJ nennt dann die Gruppe der 14 bis 16-Jährigen „Rote Falken“. Große Anziehungskraft haben die ersten Kinderrepubliken, jährliche Ferienzeltlager, an denen viele tausend Kinder teilnehmen. Frei von autoritären Erziehungsmaßnahmen und restriktiven pädagogischen Konzepten üben sie durch Selbstverwaltung die Instrumente einer sozialen Demokratie ein. Gemeinschaft, Abenteuer und sozialistische Selbstbewusstsein sind inklusive, wie ihrer Lieder zeigen:
Auf Rote Falken, auf!
Wir kommen aus der dumpfen Stadt,
die wenig Licht und Freude hat.
Wir kommen aus den Dörfern an,
auch dort hält Not das Volk in Bann.
Auf, Rote Falken, auf!
Zum Lichte geht der stolze Lauf!
Vorwärts! Im Kampf gegen Nacht und Not
Führt uns die Fahne leuchtend rot.
(Aus dem Liederbuch von 1930)
1933 werden die Falken landesweit durch das NS-Regime verboten. Die Führungspersonen werden inhaftiert, müssen ins Exil fliehen oder gehen in den Widerstand. Viele SPD-Politiker der ersten Stunde nach dem Zweiten Weltkrieg haben hier ihre politischen Wurzeln, unter anderem Willy Brandt und Erich Ollenhauer.
Im zerstörten Nachkriegsdeutschland bilden sich schnell unabhängig und spontan zahlreiche neue regionale sozialistische Jugendorganisationen. Organisiert werden sie von den ehemaligen Mitgliedern der SAJ und der Kinderfreunde. Noch werden offiziell von den Alliierten keine politischen Organisationen zugelassen, jedoch können Gruppen, die sich für kulturelle Jugendarbeit einsetzen und den Geist des Nationalsozialismus hinter sich lassen, bestehen. Auf dem ersten Parteitag der SPD 1946 in Hannover wird festgestellt, dass die „jungsozialistische Arbeit“ überall schon begonnen hat. Es soll ein Delegiertentreffen stattfinden, und noch im selben Monat bittet Erich Ollenhauer den letzten SAJ-Sekretär Erich Lindstaedt, aus seinem schwedischen Exil zurückzukommen und mit dem Aufbau der Jugendorganisation zu beginnen. Vom 26. bis 28. Juli 1946 wird in Nürnberg eine unabhängige, einheitliche und sozialistische Kinder- und Jugendorganisation als Nachfolgeorganisation der SAJ und der Kinderfreunde gegründet. Ziel ist es, die Nachkriegskinder und -jugendlichen vor geistiger und körperlicher Verwahrlosung zu schützen. Ebenso sollen ihnen sozialistische Ideen, Verantwortungsfreudigkeit, kameradschaftliches Miteinander und die Möglichkeit einer aktiven Interessensvertretung nahegebracht werden. Unter dem noch vorläufigen Namen „Falken – Sozialistische Jugendbewegung“ gibt es nun nur noch eine gemeinsame Organisation für alle Altersgruppen, die sich nach Altersstufen untergliedert: Nestfalken, Jungfalken, Wanderfalken, Sturmfalken und Rote Falken.
Und wieder singen die Falken:
Wir wandern nicht zur Lust allein,
wir wandern, um einst stark zu sein.
Mit jedem Schritt mit jedem Tritt
zieht unser Zukunftswille mit.
(Aus dem Liederbuch von 1946)
Heute ist die Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken ein unabhängiger und selbstorganisierter, politischer und pädagogischer Kinder- und Jugendverband in der Tradition der Arbeiterbewegung. Sie fordern das Ende der Ausbeutung des Menschen durch andere Menschen. Sie bekämpfen alle Formen von Herrschaft und sprechen sich gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen Sexismus und Homophobie aus. Ihr zentraler sozialistischer Ansatz ist, dass in unserer kapitalistischen Welt menschliche Bedürfnisse nicht im Mittelpunkt stehen, sondern allein der wirtschaftliche Profit. Sie stehen für ein antikapitalistisches, antirassistisches und antipatriarchalisches Weltbild, für ein solidarisches Leben in Freiheit und Gleichheit.
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