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Als Heinz Kühn am 12. März 1992 verstirbt, widmen ihm die Zeitungen in Nordrhein-Westfalen (und darüber hinaus) ausführliche Nachrufe: Vom „Fußsoldaten der Demokratie“ ist da die Rede, vom „geachteten Landesvater“. Streitlust und Fairness werde ihm bescheinigt, ein heißes Herz und kühler Verstand. Einig ist man sich vor allem darin, dass Kühn ein brillanter Redner war, sprachgewandt und gebildet. In seiner Regierungszeit als Ministerpräsident hat er das Land Nordrhein-Westfalen modernisiert und geprägt.
Heinz Kühn kommt am 18. Februar 1912 in Köln zur Welt. Seine Mutter Elisabeth ist Rheinländerin und gläubige Katholikin, der Vater Hubert ein aus dem Sudetenland zugewanderte Handwerker – ein überzeugter Gewerkschafter und Sozialdemokrat, zudem Leser der sozialdemokratischen „Rheinischen Zeitung“. In diesem Spannungsfeld wächst Heinz Kühn auf; nach der katholischen Volksschule ermöglichen die Eltern dem Sohn den Besuch einer weiterführenden Schule.
Die Familie lebt in der „roten Siedlung“ Grüner Hof in Köln-Mauenheim. Die sozialdemokratische Nachbarschaft und der Einfluss des Vaters lenken den Sohn in die „richtige“ Richtung: der 16-jährige Heinz Kühn schließt sich den Roten Falken an. Seine Eloquenz und sein Organisationstalent machen ihn rasch zu einem der führenden Funktionäre der Sozialistischen Arbeiterjugend in der Region Oberrhein, mit 18 Jahren tritt er in die SPD ein.
Nach der Mittleren Reife 1928 legt Heinz Kühn 1931 das Abitur mit überdurchschnittlichen Noten ab. Sein Berufswunsch: Journalist. Er beginnt ein Volontariat bei der „Rheinischen Zeitung“. Zugleich schreibt er sich – trotz prekärer finanzieller Situation - für Nationalökonomie und Staatswissenschaften an der Universität Köln ein. Auch im Studium engagiert er sich politisch, er schließt sich der Vereinigung Sozialistischer Studenten an sowie dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, einem bewaffneten Schutzbund zur Verteidigung der Republik. Bis zur Machtübernahme der NSDAP tritt er auch als sozialdemokratischer Redner auf. Kein Wunder also, dass Kühn schon früh ins Visier der Nazis geraten ist und fliehen muss.
Die Jahre zwischen 1933 und 1945 verbringt der junge Heinz Kühn im Exil: Nach Aufenthalten im Saarland und in der Tschechoslowakischen Republik kommt er 1936 nach Belgien, wo er – während deutschen Besatzung für fünf Jahre im Untergrund – das Kriegsende erlebt. Er arbeitet in diesen Jahren weiterhin journalistisch, schreibt für Exilzeitungen, knüpft Kontakte im linken Milieu, spricht fließend Englisch und Französisch. Enttäuscht von der SPD, sympathisiert er zeitweise mit der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), später mit dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) – verlässt aber die Partei nicht. Erst 1945 nimmt er Kontakt auf zu Erich Ollenhauer, Willi Eichler und Susanne Miller im Londoner Exil.
Die Rückkehr nach Köln 1946 ist der Beginn einer Bilderbuchkarriere: Zunächst Redakteur in verschiedenen Ressorts der „Rheinischen Zeitung“, ist Heinz Kühn bereits 1949 neben Willi Eichler deren Chefredakteur. Auch parteipolitisch geht es sehr schnell voran: 1948 zieht er in den Düsseldorfer Landtag ein. Seine Dynamik und Kontaktfreude, seine von Scharfsinn, Witz und Schlagfertigkeit geprägte Rhetorik bringen ihm bald eine führende Stellung in der SPD-Fraktion ein und befördern seine politische Karriere. Bis 1954 ist er NRW-Landtagsabgeordneter, von 1953 bis 1963 Bundestagsabgeordneter, von 1957 bis 1962 Mitglied in der Beratenden Versammlung des Europarates, um dann 1962 als Oppositionsführer in den NRW-Landtag zurückzukehren. Unter seiner Führung und durch innovative Wahlkampagnen erringt die NRW-SPD das Profil einer Reformpartei und gewinnt bei den Landtagswahlen stetig mehr Stimmen: 1962 liegt sie erstmals über der 40%- Marke, 1966 zieht sie mit 49,5% als stärkste Partei in den Landtag ein. Zunächst bildet sich abermals eine schwarz-gelbe Koalition, doch bald kommt es zum Bruch: Am 8. Dezember 1966 wird Heinz Kühn Ministerpräsident einer sozial-liberalen Koalition, die als Vorbild für die spätere auf Bundesebene gilt.
Nun heißt es, Erwartungen der Wählerinnen und Wähler zu erfüllen und die angekündigten Reformen umzusetzen. Schon in der Opposition hatte Kühn Vorschläge zur Modernisierung des Bildungswesens gemacht; jetzt soll die Volksschule reformiert und in Grund- und Hauptschule getrennt werden. Hauptkonfliktpunkte werden die Einführung von Gemeinschaftshauptschulen (ohne konfessionelle Prägung) als Regelschule sowie die Abschaffung von Zwergschulen. Die Katholische Kirche protestiert massiv und sieht nicht nur den Elternwillen gefährdet, sondern nichts weniger als demokratische Grundrechte und Menschenrechte verletzt. Durch lange geschickte Verhandlungen mit der CDU und eine klare Positionierung gegenüber den Bischöfen gelingt es Heinz Kühn 1968, die Proteste niederzuringen und die nötigen Mehrheiten im Parlament herzustellen.
Hieran schließen sich weitere grundlegende Reformen im Bildungswesen an: Zunächst erfolgt die Entkonfessionalisierung der Lehrerausbildung an den Pädagogischen Hochschulen. Universitäten in Dortmund und Bielefeld werden eröffnet, durch die Schaffung von Fachhochschulen werden Ingenieurschulen oder höheren Fachschulen aufgewertet. Die Gründung von weiteren Fachhochschulen, von fünf Gesamthochschulen sowie die Einrichtung der Fernuniversität Hagen sollen die Chancengleichheit und Durchlässigkeit im Bildungswesen erhöhen, allen sozialen Schichten den Zugang zu universitärer Bildung erleichtern – eine Politik, von der vor allem Kinder aus sozialdemokratischen Milieus oder bildungsfernen Schichten profitieren sollten.
Die Reformpolitik der sozial-liberalen Koalitionen unter Heinz Kühn meistert die Bergbaukrise der 1960er-Jahre und leitet einen tiefgreifenden Strukturwandel im Ruhrgebiet ein. Der Ausbau des Verkehrswegenetzes unterstützt Industrie und Wirtschaft. Die kommunale Gebietsreform schafft mehr Effizienz in der Verwaltung, ist allerdings nicht bei allen Betroffenen gleichermaßen beliebt.
1978 übergibt Heinz Kühn – politisch wie gesundheitlich angeschlagen – das Amt des Ministerpräsidenten an Johannes Rau und widmet sich anderen Ämtern im Europaparlament, als Ausländerbeauftragter der Bundesregierung und – ab 1983 – als Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung. In dieser Funktion vertritt er die Stiftung u.a. auf zahlreichen Auslandsreisen und kann damit an eine seiner frühen Leidenschaften, die auswärtige Kulturpolitik, anknüpfen. Zum 100. Todestag von Karl Marx eröffnet er 1983 in Peking eine Karl-Marx-Ausstellung der FES; eine mehrtägige Polenreise 1984 verbindet er mit einer Kranzniederlegung anlässlich des 120. Todestages von Ferdinand Lassalle an dessen Grabmal und erinnert in einer seiner glänzenden Reden an den Führer der frühen Arbeiterbewegung. Anlässlich des 60. Geburtstags der Friedrich-Ebert-Stiftung 1985 hält Heinz Kühn im Rahmen der Festveranstaltung eine Rede über die Bedeutung politischer Bildung.
Am 12. März 1992 verstirbt Heinz Kühn kurz nach seinem 80. Geburtstag in Köln. Seine Heimatstadt ehrt ihn mit einer Straßenbenennung. Die Heinz-Kühn-Stiftung des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich die Förderung junger Journalisten zur Aufgabe gemacht. Das Kölner Heinz-Kühn-Bildungswerk widmet sich der politischen Erwachsenenbildung und verfolgt damit „die Förderung des Föderalismus und des europäischen Einigungsprozesses, die Festigung des demokratischen Verantwortungsbewusstseins, die Verbesserung der kritischen Urteilsbildung und die Zusammenführung unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Gruppen.“
Gabriele Rose
Das AdsD verfügt über einen umfangreichen Bestand aus dem Nachlass von Heinz Kühn.
Der Journalist Heinz Kühn hat zahlreiche Bücher und Aufsätze hinterlassen. Eine Übersicht der Bestände in der Bibliothek im AdsD findet sich hier.
Die Saarbrücker Exilzeitung „Deutsche Freiheit“, in der Heinz Kühn 1933 veröffentlicht hat, liegt digital vor.
Seinen Beitrag „Zu neuen Ufern“ darin finden Sie hier.
Die Bibliothek des AdsD bewahrt auch die Brüsseler Exilzeitung „Freies Deutschland“, in der Heinz Kühn zwischen 1937 und 1939 veröffentlichte.
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